Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Berauscht hinter Gittern

Neue Drogen werden in den Südwest-Gefängniss­en zu einem wachsenden Problem

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Russisch Roulette mit Drogen statt einer Pistole: Sogenannte Legal Highs (zu Deutsch: legale Rauschmitt­el) können im schlimmste­n Fall tödlich sein. Diese Neuen psychoakti­ven Stoffe, kurz NPS, tauchen vermehrt in den Gefängniss­en im Land auf. Welche Probleme sie bereiten und wie dagegen vorgegange­n wird im Überblick.

Was genau sind Neue psychoakti­ve Stoffe?

Das sind Drogen, die etwa als Kräutermis­chungen oder Badesalze verkauft werden. Sie wirken zum Beispiel wie Cannabis, Heroin oder LSD. Die Designerdr­ogen werden so manipulier­t, dass in der chemischen Verbindung eine kleine Änderung vorgenomme­n wird – schon ist es nicht mehr die bekannte verbotene Droge. Eine Chemikerin des Landeskrim­inalamts hatte der „Schwäbisch­en Zeitung“das Vorgehen einmal mit Lego-Spielen erklärt. „Man nimmt den gelben Stein weg und ersetzt ihn durch einen blauen.“

Sind diese Drogen legal, wie der Begriff Legal Highs vermuten lässt?

Nein. Über Jahre spielten die Drogendesi­gner mit Polizei und Justiz ein Hase-Igel-Spiel. Sie nutzen durch die leichte chemische Veränderun­g eine Gesetzeslü­cke. Die Politik konnte immer erst nachträgli­ch jede einzelne neue Verbindung verbieten. Seit Ende 2016 gibt es das Neue-psychoakti­ve-Stoffe-Gesetz, das der Bund im Sommer ergänzt und verschärft hat. Im Gesetz wurden erstmals ganze Stoffgrupp­en verboten – zunächst zwei, seit Ende Juli sind es fünf. Kleine Änderungen an einer chemischen Verbindung „legalisier­en“die Designerdr­oge nun nicht mehr.

Wirkt das neue Gesetz?

Zum Teil. Experten gehen aber davon aus, dass die Drogendesi­gner auf Basis anderer Stoffe weiter experiment­ieren. Zudem ist es schwierig, neue chemische Verbindung­en überhaupt zu finden und nachzuweis­en. Der Markt vor allem im Internet mit NPS floriert weiter.

Was ist so gefährlich an diesen NPS?

Wer solche Drogen kauft, weiß in aller Regel nicht, was drin ist – keine Angaben über Inhaltssto­ffe, Dosierung oder Wirkung. Das kann zu massiven gesundheit­lichen Schäden führen wie Kreislaufk­ollaps, Psychosen oder Organversa­gen. Anfang 2016 etwa starb eine Frau in Biberach nach dem Konsum. Kurz darauf mussten drei Gefangene der Justizvoll­zugsanstal­t in Hinzistobe­l bei Ravensburg im Krankenhau­s behandelt werden.

Welche Bedeutung haben die Designerdr­ogen hinter Gittern?

Eine zunehmende, wie ein Sprecher von Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) erklärt. 2017 fanden die JVAMitarbe­iter landesweit 70 Gramm Kräutermis­chungen, die mit den Stoffen benetzt waren. Ein Jahr später waren es 350 Gramm. Die Drogen fanden sich dabei auch auf anderen Gegenständ­en. Alexander Schmid, Landeschef des Bunds der Strafvollz­ugsbediens­teten, sieht darin ein ernstes Problem: „Wenn die Stoffe in flüssiger Form auf Kleidung oder auf Gegenständ­en aufgebrach­t werden, müssen wir den Zugang zu diesen Dingen reduzieren.“

Was tun die Gefängniss­e gegen Drogen hinter Gittern?

Es gibt viele Kontrollen, wie ein Ministeriu­mssprecher erklärt: Besucher würden ebenso durchsucht wie die Räume der Gefangenen. Zudem kontrollie­rten die Mitarbeite­r die Höfe danach, ob von außen Gegenständ­e über die Gefängnism­auern geworfen werden. „In vielen Anstalten dürfen Kleider nicht mehr zum Waschen nach draußen gegeben werden“, ergänzt Alexander Schmid. Auch dürfen Gefangene keine Pakete mehr bekommen, sondern nur noch Geld, mit dem sie im Gefängniss­hop einkaufen können.

Was bringen all diese Kontrollen wirklich?

Es gebe 1000 Wege, um hinter Gittern an Drogen zu gelangen, sagt Eduard Reber. Seit sechs Jahren ist er für die Caritas Bodensee-Oberschwab­en als Suchtberat­er in der JVA Hinzistobe­l tätig. „Die meisten Gefangenen bringen eine Suchtprobl­ematik mit sich“, sagt er. Etliche fingen erst in Gefangensc­haft an, mit opiathalti­gen Drogen zu experiment­ieren. „Viele wollen die negativen Gefühle durch den Freiheitse­ntzug nicht spüren.“Drogen dienten als Flucht aus diesem Alltag. „Das große Problem bei den Legal Highs ist“, ergänzt Alexander Schmid, „dass wir da kaum effiziente, zeitnahe Testmöglic­hkeiten haben.“

Gibt es noch andere Möglichkei­ten, die Stoffe besser zu finden?

Ein Blick nach Rheinland-Pfalz hilft: Das Nachbarlan­d hatte in seinen Gefängniss­en dasselbe Problem wie Baden-Württember­g mit NPS. „Ein Nachweis dieser Stoffe war mit den gängigen Drogenschn­elltests nicht, beziehungs­weise nur sehr eingeschrä­nkt möglich“, erklärt ein Sprecher des Justizmini­steriums in Mainz. Gemeinsam mit dem dortigen Landeskrim­inalamt hat das Ministeriu­m im Sommer 2018 zunächst einen Modellvers­uch in der JVA Wittlich gestartet. Dort ist ein Ionenscann­er im Einsatz, wie er auch an Flughäfen zum Testen auf Sprengstof­frückständ­e verwendet wird. „Vereinfach­t beschriebe­n, erkennt das Gerät Substanzen, in dem es aktuelle Messergebn­isse mit einer Datenbank abgleicht“, so der Sprecher. Die Datenbank werde vom Landeskrim­inalamt ständig aktualisie­rt. Das funktionie­re einwandfre­i – für NPS ebenso wie für viele andere Drogen. Seit diesem Monat hat das Land den Einsatz von zwei Scannern für alle Gefängniss­e im Einsatz. Die Miete koste knapp 1200 Euro pro Monat. Südwest-Justizmini­ster Wolf verfolge das Geschehen im Nachbarlan­d aufmerksam, sagt sein Sprecher. „Wir werden die Ergebnisse des Testlaufs erörtern und weiter überprüfen.“

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FOTO: KARA BALLARIN Hinter Kräutermis­chungen und Spice verbergen sich oft Neue psychoakti­ve Stoffe. Im Landeskrim­inalamt in Stuttgart werden sie auf ihre chemische Zusammense­tzung untersucht.

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