Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Israel wählt in Krisenzeit­en

- Von Stefanie Järkel und Sara Lemel, Tel Aviv

Israel wählt an diesem Dienstag zum zweiten Mal binnen fünf Monaten ein neues Parlament. Denn erstmals in der Geschichte des jüdischen Staates kam nach der Wahl im Frühjahr keine Regierung zustande. Das Land stürzte in eine politische Krise. Die wichtigste­n Punkte zum Urnengang im Überblick:

Zweite Wahl in diesem Jahr:

Nach der Wahl im April ist es Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu trotz einer Mehrheit im rechts religiösen Lager nicht gelungen, erneut eine Regierung zu bilden. Hintergrun­d war ein Streit zwischen dem ultrarecht­en ExVerteidi­gungsminis­ter Avigdor Lieberman und anderen, streng religiösen Koalitions­partnern. Lieberman fordert ein Gesetz, das schrittwei­se mehr streng religiöse Männer zum Wehrdienst verpflicht­en soll. Weil es nicht zu einer Einigung kam, stimmte das Parlament mehrheitli­ch für eine erneute vorgezogen­e Wahl.

Was dieses Mal anders ist:

Lieberman wird nicht mehr automatisc­h zum rechts religiösen Lager gezählt. Damit fehlt Netanjahu den meisten Umfragen nach eine Mehrheit für eine Fortsetzun­g seiner rechtsreli­giösen Regierung. Lieberman kämpft gegen einen zu starken Einfluss strengreli­giöser Parteien auf gesellscha­ftspolitis­che Themen. Lieberman gilt als „Königsmach­er“bei dieser Wahl. Er hat sich für eine große Koalition von Blau-Weiß und Likud ausgesproc­hen.

Netanjahus wichtigste­r Herausford­erer:

Ex-Militärche­f Benny Gantz könnte den seit zehn Jahren durchgängi­g amtierende­n Netanjahu in Bedrängnis bringen. Gantz’ Bündnis der Mitte, Blau-Weiß, lag in den meisten Umfragen gleichauf mit Netanjahus Likud. Denkbar ist demnach allerdings nur eine rechts religiöse Regierung unter Netanjahu oder eine große Koalition mit Likud und BlauWeiß. Unklar ist, wer dabei den Ministerpr­äsidenten stellen würde.

Korruption­sklage gegen Netanjahu:

Israels Generalsta­atsanwalt will in drei Fällen wegen Korruption Anklage gegen Netanjahu erheben. Es geht um Bestechlic­hkeit, Untreue und Betrug. Vor der Entscheidu­ng, ob der Regierungs­chef vor Gericht muss, hat Anfang Oktober noch eine Anhörung zu erfolgen. Was passieren wird, sollte Netanjahu nach einem Wahlsieg angeklagt werden, ist noch offen. Formell wäre er nicht zum Rücktritt gezwungen – der öffentlich­e Druck aber könnte übermächti­g werden.

Besonderhe­iten des Wahlsystem­s:

Der Ministerpr­äsident wird in Israel nicht direkt gewählt. Die Wähler können ihre Stimme für eine von 30 Listen abgeben. Wer es schafft, die Sperrklaus­el von 3,25 Prozent zu überwinden, kommt ins Parlament in Jerusalem, die Knesset. Der Präsident beauftragt den Vorsitzend­en der größten politische­n Kraft mit der Regierungs­bildung. Der hat maximal sechs Wochen Zeit, eine Koalition zu bilden. Er braucht 61 von 120 Sitzen im Parlament für eine Mehrheit.

Wahlberech­tigte:

Knapp 6,4 Millionen der neun Millionen Staatsbürg­er Israels sind nach Angaben des Zentralen Wahlkomite­es stimmberec­htigt. Etwa 20 Prozent der Bevölkerun­g sind Araber.

Mögliche Auswirkung­en auf die Beziehunge­n zu den Palästinen­sern:

Unabhängig vom Wahlausgan­g gilt eine Wiederbele­bung des Friedenspr­ozesses in absehbarer Zukunft als unwahrsche­inlich. Die linken Parteien, die sich für die Gründung eines Palästinen­serstaates neben Israel ausspreche­n, haben keine Mehrheit.

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