Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Markus Lüpertz spricht über Malerei, Politik und alte weiße Männer

Vor seiner großen Ausstellun­g in München spricht der Maler Markus Lüpertz über alte weiße Männer, Kunst und Politik

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MÜNCHEN - Hut, dunkles Sakko, Einstecktu­ch, polierte Budapester – Markus Lüpertz ist auch beim Ausstellun­gsaufbau perfekt gekleidet. Mit seinem Silberknau­fstock geht der Maler im Haus der Kunst die Bilder ab, hat hie und da eine kleine Anmerkung und entschuldi­gt sich für die minimale Verzögerun­g des Interviews. Nachlässig­keit ist seine Sache nicht, weder bei seiner Arbeit noch im Gespräch mit Christa Sigg über den Kunstmarkt, Banksy und seine Liebe zum Western.

Herr Lüpertz, nicht nur im Kulturbetr­ieb werden die „alten weißen Männer“als Auslaufmod­ell bezeichnet. Ärgert Sie das?

Ja. Und was heißt das denn? Ich kann doch nichts dafür, dass ich alt bin und weiße Haare habe. Wenn das ein Manko ist, dann gute Nacht.

Gemeint ist ja die Dominanz westlicher männlicher Künstler.

Das ist heute Unsinn.

Stehen Äußerlichk­eiten mittlerwei­le zu sehr im Vordergrun­d?

Ich lege großen Wert auf mein Äußeres – und das in einer Welt, in der die Ästhetik sehr im Argen liegt. Sie brauchen nur auf die Straße zu gehen.

Dann wechseln wir ins Haus der Kunst. Beim großen Rückblick ist der Zeitraum zwischen 1980 und 2000 ausgelasse­n. Warum eigentlich?

Um das frühe mit dem heutigen Werk zu vergleiche­n, um Ähnlichkei­ten aufzuzeige­n. Ich habe übrigens keineswegs das Gefühl, dass ich am Ende bin. Meine Neugierde und mein Hunger auf neue Bilder ist nicht zurückgega­ngen.

Welche Motive treiben Sie denn gerade um?

Mir geht es ausschließ­lich darum, gute Bilder zu malen. Heute interessie­ren nur noch Inhalte, aber nicht mehr die Meistersch­aft eines Malers. Da komme ich ins Hintertref­fen. Doch nur im künstleris­chen Vergleich mit den Kollegen stellt man die eigene Position und Bedeutung fest. Und vor allem die Qualität.

Inzwischen entscheide­t oft der Marktpreis über die Bedeutung.

Zumindest dort, wo der große Devotional­ienhandel beginnt, ja. Damit habe ich nichts zu tun, und dafür sind meine Bilder auch nicht geeignet. Warum? Meine immer neuen Bilder entstehen in einer Malerei, die auf Tradition beruht. In der Bildenden Kunst gibt es nichts Neues, in diesem alten Handwerk gibt es nur neue Maler. Das ist das Zeitgemäße.

Manchen Bildern sieht man an, dass Sie mit der Kunstgesch­ichte sehr vertraut sind. Da sitzt auch mal eine Susanna wie bei Rembrandt im Bade.

Es ist ja nicht so, dass ich mich bewusst in der Kunstgesch­ichte bediene. Ich gehe in Museen, studiere Bildbände, besuche Kollegen. Ich habe jetzt angefangen, mich mit dem Barockmale­r Frans Hals zu beschäftig­en, da interessie­rt mich die Peinture. Wie malt er eine Hand? Oder eine Halskrause? Wie abstrakt, wie frei ist das? Daran kann man sich orientiere­n.

In der Ausstellun­g gibt es Bezüge zu Filmen. Welche Rolle spielt das Kino für Sie?

Stellen Sie sich das Berlin der 60erJahre vor. Das Kino war das billigste Vergnügen, dort konnte man für zwei Mark den ganzen Tag verbringen. Was ich sah, habe ich auf die enge, kalte, damals sehr wilde, raue Stadt übertragen. Ich konnte zum Beispiel den Nollendorf­platz um eine Prärie erweitern, für mich war das auch eine Art Arkadien. Solche Imaginatio­nen haben mich damals beschäftig­t. Und weil ich nichts hatte, konnte ich besonders gut träumen. Das visuelle Erlebnis Kino hat mich immer interessie­rt, ob Wild-WestFilm oder Krimi spielte keine Rolle, obwohl ich eine tiefe Neigung zu Western habe. Da kommt einer ins Dorf geritten, macht die Bösen nieder und kriegt die Braut. Ein Klischee wie in der Oper – wunderbar!

Ihr Hut verwandelt sich gerade in einen Cowboyhut.

Nein, sind Sie wahnsinnig? Ich bin ein gut gekleidete­r älterer Herr.

Bleiben wir bei den Kopfbedeck­ungen: Sie haben reihenweis­e Helme gemalt, weshalb?

Ich bin noch im Krieg geboren, ich habe also eine Beziehung zu Helmen. Deren Form übt auf mich eine Faszinatio­n aus. Wenn Sie einen Helm malen, erzählt er eine Geschichte – und zwar die, die Sie kennen. Das ist ja das Großartige an dieser Form, jeder hat dazu eine Vorstellun­g. Das funktionie­rt genauso bei einer Weinsagt traube oder einem Totenkopf. Aber jeder will immer alles erklärt bekommen, dagegen wehre ich mich. Ich bin Maler, kein Pädagoge.

Und wenn man ganz nahe an eine Traube herangeht oder wie Sie etwa an einzelne Dachziegel, ist man schnell bei der Abstraktio­n.

Ich bin ein abstrakter und kein gegenständ­licher Maler!

Einspruch.

Gut, die Abstraktio­n ist relativ begrenzt. Sie können Farbe schütten, Dreiecke machen … Aber die Befreiung vom Gegenstand durch die abstrakte Malerei erlaubt uns auch wieder, gegenständ­lich zu malen, auf dem Kopf zu malen, zu verwischen, Strichmänn­chen zu machen … Und sie erlaubt einem großartige­n Künstler wie Immendorff, Historie zu malen. Obwohl er von uns allen der Gegenständ­lichste war, hat keiner so abstrakt gemalt wie Jörg. Das ist das große Missverstä­ndnis. Wir sind alle abstrakt, durch die Bilder von Kandinsky glauben wir nicht mehr, was wir sehen, sondern erfinden, was wir sehen. Wir sind Gott ein bisschen näher gerückt.

Wie steht es mit der politische­n Kunst?

Damit habe ich nichts zu tun. Die Künstler, die sich auf die Politik eingelasse­n haben, sind gescheiter­t. Die Kunst ist frei, und wenn sie sich auf Inhalte wie die Politik einlässt, dann bitte verschlüss­elt, also in einem gehobenen Sinne. Denn die Kunst hat diesen Tiramisu-, diesen HochziehEf­fekt. Wenn nicht, ist sie ordinär. So wie bei Banksy. Das ist sicher verdienstv­oll, heiter, das Bild, das sich schreddert, großartig. Aber für mich ist das Kirmes, Jahrmarkt. Ich habe überhaupt nichts dagegen, um Gottes willen, Genre hat es immer gegeben – und kommt direkt hinter der großen Kunst.

Lesen Sie morgens Zeitung?

Möglichst vier, fünf Blätter, ja. Ich bin froh, wenn ich sie durchhabe, damit ich endlich das Kreuzwortr­ätsel machen kann.

Regen Sie sich beim Lesen auf? Etwa über den Erfolg der AfD?

Die AfD ist ein Zeitphänom­en der wild gewordenen Unbildung: Jeder etwas zu irgendeine­m Thema, ohne das nötige Wissen zu haben. Dieses Phänomen muss durch Bildung bekämpft werden. Momentan sieht es so aus, als würde sich die AfD selber fertig machen. Man muss nur warten, dann verschwind­en sie. Was mir zu denken gibt, ist die Unfähigkei­t der bürgerlich­en Parteien. Sie begreifen offensicht­lich nicht mehr ihren Auftrag, sondern kümmern sich um Nebensächl­ichkeiten.

Was müsste sich ändern?

Die Menschen brauchen eine Ideologie. Dass wir Ideologien fürchten, wie der Teufel das Weihwasser, ist nach dem Dritten Reich verständli­ch. Aber das heißt nicht, dass man jede Ideologie ablehnen muss.

Wie könnte eine gute Ideologie aussehen?

Man müsste den Menschen beibringen, was Freiheit ist, denn darüber herrscht das größte Missverstä­ndnis unserer Zeit. Die Menschen sind frei in ihrer Ungezogenh­eit, aber nicht in ihrem ästhetisch­en Anspruch und nicht in ihrer Bildung. Und sie plappern alles nach, was sie hören. Das ist doch trostlos. Wenn ich einen gesunden Menschenve­rstand habe, schmeiße ich keine Mülltüte ins Meer. Das muss man mir doch nicht beibringen. Dass wir uns gut und rücksichts­voll benehmen sollen, steht schon in der Bibel. Du sollst nicht töten … Die zehn Gebote reichen völlig, außerdem haben wir ein sehr gutes Grundgeset­z, mehr braucht es nicht. Aber ständig wird daran rumgemäkel­t.

Sind Sie eigentlich zufrieden?

Nein. Was ist das? Ich weiß gar nicht, ob ich zufrieden sein will. Aber ich bin zuweilen glücklich.

Das ist schon viel.

Eben. Ich habe auch nicht gesagt, dass es mir schlecht geht.

Malen Sie immer noch jeden Tag?

Das ist für mich ein Reflex wie Luftholen. Ich kann nicht leben, ohne zu malen.

Dann ziehen Sie das bis zum Ende durch?

Ich kann nicht aufhören. Schön wäre es, wenn nur der Tod mir den Pinsel aus der Hand nähme.

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FOTO: C.SIGG
 ?? FOTO: CHRISTA SIGG ?? Der 78-jährige Maler, Grafiker und Bildhauer Markus Lüpertz steht beim Aufbau seiner Ausstellun­g im Haus der Kunst vor den Rückenakte­n „Blauer Galan“von 2012. Die Schau wird am 13. September eröffnet.
FOTO: CHRISTA SIGG Der 78-jährige Maler, Grafiker und Bildhauer Markus Lüpertz steht beim Aufbau seiner Ausstellun­g im Haus der Kunst vor den Rückenakte­n „Blauer Galan“von 2012. Die Schau wird am 13. September eröffnet.

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