Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nur vermiedener Müll ist guter Müll
Nirgendwo in Europa wird der Müll so konsequent getrennt wie in Deutschland. Laut einer Auswertung des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts bringt jeder Deutsche jährlich rund 415 Kilogramm Wertstoffe in den Recyclingkreislauf ein. Mehr als 99 Prozent der Kunststoffabfälle werden wiederverwertet. Außerdem produzieren wir so wenig Haushaltsabfälle, dass wir auch beim Restmüll-Ranking zu den Besten gehören. Alles in allem klingt das ziemlich preisverdächtig.
Ein genauerer Blick auf die positiven Zahlen zeigt jedoch anderes. Denn mehr als die Hälfte der genannten 99 Prozent werden energetisch wiederverwertet, also verbrannt. Ein zweites Leben als Polyesterpulli oder Parkbank bleibt dem Müll verwehrt. Bis zum verhängten Importverbot verschiffte Deutschland als einer der weltweit größten Müllexporteure riesige Mengen an Plastikabfall nach China – 2016 waren das rund 850 Tausend Tonnen. Das Perfide daran: Diese Exporte werden in der deutschen Statistik als vollständig recycelt verbucht.
Ein anderes Problem sind die Müllstrudel in den Ozeanen. Über die Flüsse gelangt Plastikabfall vor allem aus Asien und Afrika ins Meer, wo Wale, Fische und Vögel den Müll auffressen. Auch wenn Deutschland und Europa nicht zu den Hauptverursachern gehören, ist es richtig, dass die westliche Welt mit gutem Beispiel vorangeht. Im Herbst hat die Europäische Union Einweg-Plastikartikel verboten. In Deutschland gilt seit Januar ein neues Verpackungsgesetz mit strikteren Recyclingvorgaben. Selbst der Lebensmitteldiscounter Aldi hat nun eine Maßnahme mit Symbolkraft angekündigt: Von April an gibt es die Salatgurke nur noch ohne Plastikhülle.
Doch reicht das aus? Ein Blick in die eigene Tonne gibt Aufschluss: Habe ich die hart gewordene Käsescheibe im Biomüll entsorgt oder hängt die jetzt mit Verpackung im Plastikmüllsack? Steht eine Tasse Filterkaffee auf meinem Schreibtisch oder findet sich im Mülleimer darunter ein Coffee-to-go-Becher? Klar ist: Wir müssen bei uns selbst anfangen. Und klar ist auch: Nachhaltig wiederverwerteter Müll ist gut, vermiedener Müll ist besser.