Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ende einer deutschen Institution
Die „Lindenstraße“verstand sich immer als Spiegel der Gesellschaft – Aus Kostengründen ist 2020 Schluss
KÖLN (dpa) - Aus Sicht der „Lindenstraßen“-Fans muss es im Nachhinein als böses Omen erscheinen, dass Hans Beimer Anfang September plötzlich in einer Waldhütte zusammensackte und seinen letzten Atemzug tat. Wenige Wochen nach dem Tod dieser zentralen Figur kündigte der Westdeutsche Rundfunk (WDR) am Freitag nun aus Kostengründen das Ende der ganzen Serie an – der am längsten laufenden des deutschen Fernsehens.
Die letzte Folge wird im März 2020 über den Bildschirm gehen, nach mehr als 34 Jahren. Produzent Hans W. Geißendörfer (87) und seine Tochter und Nachfolgerin Hana (34) reagierten verärgert: „Wir sind bestürzt und können nur unser Unverständnis zum Ausdruck bringen.“In Zeiten von Rechtsruck und Ausländerfeindlichkeit sei die Serie „wichtiger denn je“. ein, indem sie einen Vietnamesen als alternativen Kanzlerkandidaten zu Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) aufstellte. Am Sonntag der Bundestagswahl im vergangenen Jahr reagierten die Bewohner sogar auf das erst kurz zuvor bekannt gewordene Ergebnis: Die Macher hatten dafür verschiedene Szenarien gedreht und die passende Variante aktuell eingefügt.
Zuschauer wollten sich einmieten
Geißendörfer verfolgte von Anfang an das Ziel, dass die Zuschauer die Bewohner der „Lindenstraße“als Nachbarn sehen sollten. Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwamm. Irene Fischer-Probst, Darstellerin von Heins Beimers Freundin Anna Ziegler, wurde im Supermarkt als „Ehebrecherin“beschimpft. CSU-Politiker Peter Gauweiler verklagte 1988 die „Lindenstraße“, weil ihn eine Bewohnerin als „Faschisten“bezeichnet hatte. Manche Zuschauer wollten sich sogar einmieten in der Münchner Vorortstraße, die doch nur als Kulisse auf einem WDR-Gelände am Stadtrand von Köln existiert.
Und nun doch das Ende – wie konnte das geschehen? Es hat eben auch mit der Geschichte der Bundesrepublik zu tun. Als die „Lindenstraße“startete, hatten die ÖffentlichRechtlichen gerade erst Konkurrenz bekommen, RTL war noch ganz jung. Damals, in den 80ern, sahen im Schnitt zwölf Millionen Menschen zu. Zum Schluss waren es nur noch gut zwei Millionen.
Immerhin, ein gutes Jahr wird die Serie noch weitergehen, so lange läuft der aktuelle Produktionsvertrag. Und dann ist es natürlich so: Erst wenn eine Serie Geschichte ist, wird sie wirklich zum Kult. Es ist fast, als habe Vater Beimer das alles vorausgesehen. Seine letzten Worte kurz vor seinem Tod vor wenigen Wochen lauteten: „Das ist kein Ende, das ist erst der Anfang.“
Penner Harry: Als kulturbeflissener Nachbar ohne Wohnsitz kommentierte der Übersetzer, Hörbuchsprecher und Gelegenheitsschauspieler Harry Rowohlt die Erlebnisse der Lindensträßler. Sein markanter grauer Rauschebart ist seit 2013 nur noch Erinnerung.
Jo Zenker: Er ist längst weit weg von der Familie und der Lindenstraße – angeblich in Hollywood. Darsteller Til Schweiger hat seit dem Serien-Abschied 1992 tatsächlich im Filmgeschäft international Karriere gemacht. (dpa)