Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Pultstar und Ökobauer
Der britische Dirigent John Eliot Gardiner wird 75
BONN (KNA) - Er gilt als Instanz, wenn es um historisch korrekte Aufführungen von Bach-, Monteverdioder Händel-Werken geht. Und Kraft tankt er auf dem Bauernhof: Am heutigen Freitag wird der britische Dirigent John Eliot Gardiner 75 Jahre alt.
Musik studieren? Nein, daran hatte John Eliot Gardiner kein Interesse. Lieber machte er in Cambridge einen Master in Geschichte und beschäftigte sich nebenbei mit Arabisch und mittelalterlichem Spanisch. Musik machen wollte er aber durchaus. Vor allem die Marienvesper von Monteverdi hatte es ihm angetan. Und weil kein Chorleiter dem Autodidakten sein Ensemble anvertraut hätte, gründete der 21-jährige Hobbymaestro kurzerhand seinen „Monteverdi Choir“. 1964 dirigierte Gardiner in Cambridge erstmals Monteverdis Meisterwerk. Es sollte der Beginn einer Weltkarriere sein.
Am 20. April 1943 im südenglischen Fontmell Magna geboren, wuchs der junge Mann in einem mu- sikbegeisterten bäuerlichen Haushalt auf. Nach dem Auftritt mit seinem Chor studierte Gardiner dann doch Musik – bei Thurston Dart in London und bei der legendären Nadia Boulanger in Paris. Zum Monteverdi Choir gesellte sich bald ein Monteverdi Orchestra, das sich 1978 den neuen Namen English Baroque Soloists gab. 1969 debütierte Gardiner an der English National Opera, 1973 am Royal Opera Covent Garden. Von 1981 bis 1990 leitete der Brite in Göttingen die Händel-Festspiele, von 1983 bis 1988 war er zudem Musikdirektor an der Oper von Lyon. Und 1998 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter.
Untrennbar ist Gardiners Name mit der Entwicklung der historischen Aufführungspraxis seit den 1960erJahren verbunden. Sein Repertoire umfasst Werke von Berlioz und Offenbach ebenso wie die großen Sinfonien von Schumann und Brahms. Nur mit der Musik Richard Wagners kann er sich bis heute nicht anfreunden. Wagners Musik sei giftig, sagte er einmal in einem Interview. „Sie saugt einen leer.“
Bei alledem ist Gardiner, obwohl er Ende der 1980er-Jahre mit dem Orchestre Revolutionnaire et Romantique ein weiteres Originalklangensemble gegründet hat, kein Dogmatiker. Ein ganz besonderes Projekt hat sich Gardiner zur Jahrtausendwende vorgenommen: die „Bach Kantaten Pilgerreise“. Beginnend mit dem Weihnachtstag des Jahres 1999 und endend an Silvester 2000 hat er auf einer ausgedehnten Tournee durch Deutschland, Italien, Großbritannien und die USA sämtliche erhaltenen Bachkantaten zu Gehör gebracht.
Zur Ernte zu Hause
Gläubig im kirchlichen Sinn ist Gardiner nicht. „Wenn ich überhaupt irgendwelche religiösen Gefühle habe, dann nur dank der Musik. Ich glaube fest an die Synergie, die sich einstellt, wenn man Musik in schönen historischen Gebäuden macht, aber ich bin kein überzeugter Christ“, sagte er in einem Interview.
So rund wie beruflich lief es in Gardiners Privatleben nicht immer. Zwei Ehen scheiterten, seit 2001 ist er mit Isabella de Sabata verheiratet. Eine Konstante freilich gibt es: die Liebe zur Landwirtschaft. In der englischen Grafschaft Dorset betreibt er einen Bio-Bauernhof. Seinen Auftrittskalender passt er dem bäuerlichen Jahreskreis an. Zur Erntezeit und wenn die Lämmer kommen ist er am liebsten zu Hause.