Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Theresa May droht die nächste Schlappe
Nach der Ohrfeige durchs Oberhaus demonstrierte das Londoner Brexit-Ministerium demonstrativ Gelassenheit. Die zweite Parlamentskammer habe am Mittwochnachmittag keineswegs für Großbritanniens Verbleib in einer Zollunion mit der EU gestimmt; das Votum verpflichte die Regierung lediglich dazu, ihre Position zu erläutern. Und die sei eindeutig: „Wir verlassen die Zollunion und treffen eine ambitionierte neue Zollvereinbarung“, sagte Minister David Davis.
Das stellte höchstens die halbe Wahrheit dar, wie sich tags darauf zeigte. In Wirklichkeit hatten die Oberhäusler, darunter immerhin ein Viertel aller konservativen Mitglieder, mit 348 zu 225 Stimmen den harten Brexit-Kurs der Regierung von Premierministerin Theresa May durchkreuzt. Dieser sieht noch immer den Austritt aus der EU, ihrem Binnenmarkt und der gemeinsamen Zollunion vor. Man wolle auch nicht, wie von der Labour-Opposition gefordert, in einer Zollunion mit Brüssel bleiben, heißt es aus der Downing Street, sondern eben eine ganz neuartige Vereinbarung, die den Bedürfnissen der britischen Wirtschaft entspreche.
Das sei weder realistisch noch notwendig, argumentieren hingegen der frühere beamtete Staatssekretär John Kerr oder Chris Patten, Ex-Kabinettsminister und letzter Gouverneur von Hongkong, die die Ablehnungsfront vom Mittwoch organisierten. Der Wirtschaft sei am Besten mit dem Verbleib in der Zollunion gedient; zudem löse diese auch das knifflige Problem der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik im Süden der grünen Insel. Jede Einschränkung des Grenzverkehrs könnte das Zusammenleben der diversen Gruppen in der einstigen Bürgerkriegsprovinz wieder erschweren.
Brexit wieder Hauptthema
Kein Zweifel: Mit der Abstimmung im Oberhaus steht Brexit wieder an der Spitze der politischen Tagesordnung. Einige Wochen lang dominierten der Kampfstoff-Anschlag von Salisbury gegen den Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter, der resultierende Streit mit Russland sowie der Militärschlag gegen Syrien die Schlagzeilen. Stattdessen geht es nun erneut um das zukünftige Verhältnis zum Kontinent, zumal nach der Osterpause auch die Verhandler in Brüssel wieder zusammensitzen.
Die Rebellion der Oberhäusler hat jene konservativen Unterhaus- Abgeordneten ermutigt, die der Regierungslinie skeptisch gegenüberstehen. Zwölf haben schon einmal dem Fraktionszwang widerstanden – und da Theresa May sich nur mittels der nordirischen Unionisten an der Macht hält, könnte ihr schon bald in der entscheidenden Parlamentskammer eine erneute Schlappe ins Haus stehen. Eine wachsende Zahl ihrer Fraktionskollegen, macht sich die konservative Brexit-Rebellin Anna Soubry Mut, verstehe jetzt die Vorteile einer engen zukünftigen Zusammenarbeit mit der EU.
Eine mächtige Phalanx einflussreicher Ausschuss-Vorsitzender beantragte am Donnerstag eine Debatte samt Abstimmung bereits für kommende Woche. Andere erwarten den Showdown erst für die Zeit nach Pfingsten. Die angebliche Gelassenheit der Regierung wirkt plötzlich wie gefährliche Selbstgefälligkeit.