Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
App warnt Autofahrer vor Wildwechsel
Der kostenlose „Wildwarner“beschränkt sich bislang vorwiegend auf Bayern – Ausweitung auf ganz Deutschland geplant
Aus Schaden wird man klug. Dass diese Redewendung stimmt, kann Alfons Weinzierl aus leidvoller Erfahrung bestätigen. Im Dezember 2014 war er nachts mit seinem Auto und einem Freund gerade auf dem Nachhauseweg, als plötzlich ein Reh auf die Fahrbahn lief. Der Zusammenprall war unvermeidbar. „Die ganze Abwicklung des Wildunfalls war unheimlich kompliziert. Das fing schon bei der Frage an, wo wir uns eigentlich gerade mit dem Auto befinden – und dann hatten wir auch noch den falschen Jäger angerufen“, erinnert sich Weinzierl. Das brachte die beiden jungen Leute auf eine Idee: „Wir wussten damals noch nicht wirklich, was wir nach dem Studium beruflich machen wollten. Dann kam uns der Einfall, einen Wildwarner für Smartphones zu entwickeln“, erzählt der 30 Jahre alte Niederbayer.
Die kostenlose App „Wildwarner“haben mittlerweile mehr als 30 000 Autofahrer auf ihren Handys installiert. Sie wertet Tempo, Standort und Uhrzeit aus und warnt dann vor einem möglichen Wildwechsel. Damit sei die App den WildwechselVerkehrsschildern, die das ganze Jahr aufgestellt sind, weit überlegen, meint Weinzierl. „Die Schilder werden von den Autofahrern praktisch gar nicht mehr wahrgenommen.“
Die Warnungen berechnet die App mit einem komplexen Algorithmus. „Wenn etwa in einem Gebiet bekannt ist, dass es dort vor allem zur Dämmerung häufigen Wildwechsel gibt, warnt die App abends, aber eben nicht zur Mittagszeit“, erläutert Betriebswirt Weinzierl. Als Grundlage dienen alle polizeilich gemeldeten Wildunfälle in Bayern der vergangenen acht Jahre. Bayerns Verkehrsministerium hat den Entwicklern über eine halbe Million Datensätze zur Verfügung gestellt. Außerhalb Bayerns greift die App auf Meldungen der Jäger zurück, die Gefahrenstellen über die Webseite wuidi.com in das System eintragen können.
Kein Blick aufs Display nötig
Damit der für Android- und AppleGeräte verfügbare Wildwarner straßenverkehrstauglich ist, holten sich die Macher die Polizei mit ins Boot. Die App meldet Wildwechsel-Stellen akustisch, durch Vibrieren oder Blinken der Handy-LED. Auf das Display muss man nicht schauen. Wer einen Wildunfall hat, erfährt in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung, was danach zu tun ist. Außerdem kann direkt über die App der zuständige Revierpächter oder die nächstgelegene Polizeistation angerufen werden.
Mehrere Preise und Auszeichnungen haben Weinzierl, sein Studienfreund Alexander Böckl, der damals mit im Auto saß, und der Informatiker Jozo Lagetar mit der App gewonnen. Darunter im vergangenen Jahr den Deutschen Mobilitätspreis. Mittlerweile ist sogar eine eigene Firma mit Sitz im niederbayerischen Geiselhöring (Landkreis StraubingBogen) daraus entstanden.
Mit Beginn des Frühjahrs und nach der Umstellung auf die Sommerzeit ist die App besonders häufig im Einsatz. „Die damit gemeldeten Wildunfälle steigen dann merklich an“, sagt Weinzierl. Thomas Schreder vom Bayerischen Jagdverband kennt den Grund dafür: „Durch die Zeitumstellung ändert sich unser Lebensrhythmus, dadurch ändern sich auch die Hauptverkehrszeiten, und das fällt mit den Aktivitäten des Wildes zusammen.“Statistisch verursacht alle zwei Minuten ein Wildtier auf Deutschlands Straßen einen Unfall. Der jährliche Versicherungsschaden beläuft sich dabei auf über 650 Millionen Euro.
„Angesichts 46,5 Millionen registrierter Pkw ist ein Wildunfall hierzulande dennoch ein extrem seltenes Ereignis“, meint ADAC-Experte Christian Buric. Nach Informationen des Automobilclubs gibt es derzeit in Deutschland keine vergleichbare App wie den „Wildwarner“. Autofahrer, so Buric, sollten sich aber nicht nur auf den digitalen Assistenten verlassen. Der beste Schutz gegen Wildunfälle seien angepasste Geschwindigkeit und vorausschauendes Fahren in Waldgebieten – und das zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Die Erfinder tüfteln schon an der nächsten Version: „Zusammen mit der Hochschule Deggendorf und der Universität Freiburg wollen wir mithilfe von künstlicher Intelligenz mögliche Wildwechsel-Gefahrenstellen für das gesamte Bundesgebiet berechnen“, sagt Weinzierl. Das Projekt wird durch das Bundesverkehrsministerium gefördert.
Aber auch die Jäger zeigen sich erfinderisch: Forscher haben herausgefunden, dass Wild die Farbe Blau abschreckend findet, ebenso bestimmte Gerüche. „Wir setzen deshalb jetzt immer häufiger eine Kombination aus blauen Reflektoren und Duftstoffen ein, die an Ästen oder Baumstämmen in der Nähe von Straßen aufgetragen werden“, sagt Jäger Schreder. Diese Kombination habe sich bislang gut bewährt. (dpa)
Downloadseite für die App: http://dpaq.de/dSOU9