Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Irlandfrage ist weiter ungelöst
Es gibt noch viele weiße Stellen im Vertragsentwurf für den Brexit, den EU-Verhandlungsführer Michel Barnier am Mittwoch in Brüssel vorgelegt hat. Grau gekennzeichnet sind bislang nur die Artikel 4 bis 35, in denen es um die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien geht, und die Passagen, in denen finanzielle Verpflichtungen Großbritanniens gegenüber der EU und umgekehrt festgelegt werden.
Damit sind wichtige Bereiche nicht abgedeckt, über die man sich bislang nicht geeinigt habe oder für die man keine Zeit fand. Dazu gehören zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen den Behörden oder die Abwicklung von öffentlichen Aufträgen. In der EU-Kommission geht man davon aus, dass die meisten Fragen schnell und einvernehmlich mit den Briten geklärt werden können. Eine Verhandlungsrunde in der nächsten Woche soll den größten Teil dieser Themen abräumen.
Barnier will schnelle Lösungen
Barnier hat es derweil eilig. 13 Monate bleiben bis zum Ausstieg aus der Europäischen Union. Bis dahin muss das Austrittsabkommen fertig und ratifiziert sein. Ohne ein solches Abkommen könne es auch keine Übergangsregelung geben. Das größte, ungelöste Problem bleibt die Irlandfrage. Barnier und der britische Verhandlungsführer David Davis hatten sich im Dezember darauf verständigt, dass es auch nach dem Brexit keine Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland geben soll. Die Regierung in London hat bislang aber nicht verraten, wie sie das in Einklang bringen will mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit in der Handelspolitik.
London will sich nach dem Ende der Übergangsfrist weder an die Regeln des Binnenmarktes halten noch in der europäischen Zollunion bleiben. Die EU müsste sicherstellen, dass aus Großbritannien nur Waren in die Republik Irland eingeführt werden, die verzollt sind und den im EUBinnenmarkt geltenden Standards genügen. Das wäre nur an der inneririschen Grenze oder zwischen Irland und dem Rest des Vereinigten Königreiches möglich. Eine Lösung für dieses Problem könne im Rahmen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und Großbritannien gefunden werden, sagte Barnier. Auch eine Ausnahmeregelung sei denkbar. Es sei jedoch wenig wahrscheinlich, dass man sich darauf rechtzeitig verständigen werde. Die EU bietet daher eine „Auffanglösung“an. Sie würde am Ende der Übergangsperiode vorläufig automatisch in Kraft treten. Die Irlandfrage könne nicht erst in einem umfassenden Abkommen zwischen der EU und den Briten gelöst werden, sagte Barnier: „Wir brauchen eine Regelung, die funktioniert, wenn wir das nicht rechtzeitig schaffen.“
Die EU schlägt vor, dass Nordirland auch nach der Übergangsfrist praktisch im Binnenmarkt bleibt. Die Briten müssten für alle Waren, die in Nordirland auf den Markt kommen, die technischen und hygienischen Standards der EU anwenden und auch die gleichen Zölle erheben. Britische Waren, die auf der irischen Insel verkauft werden, müssten im Hafen von Belfast kontrolliert werden, damit sie über die innerirische Grenze transportiert werden können.