Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Insektenrückgang hat erhebliche wirtschaftliche Folgen“
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) fordert, Umgang mit Pflanzenschutzmitteln zu überdenken
BERLIN - Im Sommer wurde die Nachricht von einem dramatischen Insektensterben noch angezweifelt. Jetzt gibt es mit einer Langzeitstudie Bestätigung von Seiten der Wissenschaft. Mit der Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat sich Andreas Herholz unterhalten.
Wie bedrohlich ist die Entwicklung?
Die Folgen des Insektenrückgangs sind in der Tat gravierend und besorgniserregend. Er bedeutet nicht nur einen großen Verlust für die biologische Vielfalt, sondern hat auch erhebliche wirtschaftliche Folgen, vor allem in der Landwirtschaft, denn weltweit werden über 80 Prozent der Nutzpflanzen von Bienen, Schmetterlingen und anderen Insekten bestäubt. Die machen das ganz umsonst. Wenn wir diese kostenlose Arbeitsleistung nicht mehr bekommen, wer soll das dann übernehmen und bezahlen?
Wo liegen die Ursachen für den Rückgang der Insektenpopulation um fast 75 Prozent?
Es spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Die Intensivierung der Landwirtschaft spielt gewiss eine Rolle, denn sie reduziert den Lebensraum für Insekten. Mehr als die Hälfte unseres Landes wird landwirtschaftlich genutzt. Es werden große Mengen von Pestiziden eingesetzt und es gibt zu wenig Blühstreifen und Hecken. Hinzu kommt ein übermäßiger Einsatz von Insektiziden und von Totalherbiziden wie Glyphosat. Es gibt zudem bestimmte Wirkstoffe, von denen wir wissen, dass sie ganz speziell für Bienen giftig sind, die sogenannten Neonicotinoide.
Was muss geschehen, damit das Aussterben nicht noch weiter voranschreitet?
Die aktuellen Studien zeigen, dass wir dringend den grundsätzlichen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln überdenken müssen. Ein „Weiter wie bisher“können wir uns schlicht nicht leisten. Aktuell wird etwa auf EU-Ebene über Glyphosat und Neonicotinoide diskutiert. Bei letzteren geht es bereits um ein Verbot der weiteren Anwendung. Meine Meinung ist hier ganz eindeutig: Wir müssen dieses Verbot unterstützen. Wir müssen aber auch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, die mit immer noch 40 Prozent des EUHaushalts die Rahmenbedingungen für unsere Landwirtschaft setzt, verändern, um den Artenschwund in der Agrarlandschaft, der nicht nur die Insekten betrifft, aufzuhalten.
Der Deutsche Bauernverband bezweifelt die Seriosität der Untersuchung. Braucht es weitere Studien?
Es gibt gesicherte Erkenntnisse, wir wissen aber noch nicht alles, um das Insektensterben zu erklären. Deshalb habe ich ja im eigenen Haus weitere Forschungen veranlasst. Aber das mindert nicht den Wert und die Aussagekraft der vorliegenden Untersuchung, die wissenschaftlich sehr fundiert und umfassend ist. Sie ist über einen langen Zeitraum und auf der Basis umfangreicher und geprüfter Daten erstellt worden. Im Übrigen wird das Insektensterben nicht nur durch diese eine Studie belegt. Es ist auch in den bundesweiten Roten Listen dokumentiert.