Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Was Politikern einfällt, um Fluchtursa­chen zu bekämpfen

Erste Podiumsdis­kussion eröffnet Bundestags­wahlkampf in Ravensburg – Kandidaten sprechen vor mehr als 100 Zuhörern

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RAVENSBURG (elo) - Am 24. September wird der nächste Bundestag gewählt. In Ravensburg hat am Mittwoch bereits der Wahlkampf begonnen – mit einer Podiumsdis­kussion zum Thema „Acht Milliarden wollen leben – Perspektiv­en statt Flucht“. Die Bundestags­kandidaten Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen), Heike Engelhardt (SPD), Axel Müller (CDU) und Jasmin Runge (Die Linke) haben sich vielen kritischen Fragen gestellt. Rund 110 Teilnehmer verfolgten die Diskussion im Kornhaussa­al. „Grenzen schließen ist keine Lösung“, sagte Werner Langenbach­er von der katholisch­en Betriebsse­elsorge. Um Fluchtursa­chen zu bekämpfen, seien Fantasie und neue Wege erforderli­ch. Mit der Bundestags­wahl könnten die Wähler die Weichen neu stellen und neue Zielrichtu­ngen vorgeben. Moderiert hat die Diskussion Christoph Plate, stellvertr­etender Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Was Welternähr­ung und fairen Handel angeht, könnten gemeinsame Handelsreg­eln unter dem Dach der Vereinten Nationen viel bewirken, sagt die Bundestags­abgeordnet­e Brugger. Das könnte Anreize für die Korruption­sbekämpfun­g setzen, kleinbäuer­liche Strukturen fördern und Projekte von Frauen unterstütz­en – und zwar besser als Verträge wie das Transatlan­tische Freihandel­sabkommen TTIP zwischen der Europäisch­en Union und den USA. Müller spricht sich zwar für bilaterale Verträge aus, aber mit den geplanten Schiedsger­ichten zum Investoren­schutz kann er sich – anders als seine Partei – nicht anfreunden. Positiv sieht Müller die Globalisie­rung: Sie habe gerade ärmeren Ländern mit ihren Produkten Zugang zum Weltmarkt verschafft. Waren, die unter menschenun­würdigen Arbeitsbed­ingungen hergestell­t werden, sollten aber mit speziellen Zöllen belegt werden.

Eine Lehrerin im Publikum fragt, was man gegen afrikanisc­he Diktatoren tun kann, die das Land ihrer Bürger an multinatio­nale Konzerne verkaufen. Runge erinnert an deutsche Waffenexpo­rte und sieht deutsche Mitverantw­ortung für solche Regimes. Brugger beklagt, dass trotz internatio­nalen Haftbefehl­s die afrikanisc­hen Diktatoren unbehellig­t die Welt bereisten. Müller hofft, dass sich die Diktatoren von den Verfahren vor dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof nach dem Balkan-Krieg beeindruck­en lassen.

Engelhardt bringt das Thema Konsum ins Spiel: „Wir als reiches Land leisten uns Luxus auf Kosten der Menschen in ärmeren Ländern.“Sie wolle zwar keinen Veggie-Day ausrufen. „Aber ich muss nicht jeden Tag ein argentinis­ches Steak auf dem Teller haben.“Runge dagegen will nicht auf das Steak verzichten. Stattdesse­n schlägt sie vor, die Produktion­sbedingung­en vor Ort so zu verändern, „dass wir kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn wir Steak essen“. Das gelte zum Beispiel auch für den Kaffee-Anbau. Runge berichtet von ihren Beobachtun­gen aus Vietnam: „Die Konzerne nehmen unheimlich viel ein und die Leute dort haben nichts.“

Ob man auch gegen den Klimawande­l vorgehen müsse, um Fluchtursa­chen zu bekämpfen, will Moderator Plate von den Politikern wissen. Gegen den Klimawande­l müsse man schon aus christlich­er Verantwort­ung für die Schöpfung vorgehen, sagt Müller. Wenn der Temperatur-Anstieg nicht auf 1,5 Grad begrenzt werden könne, drohten auch Nachteile für die Bewohner Mitteleuro­pas. Runge empfindet als Buddhistin ebenfalls Verantwort­ung für die Schöpfung. Um klimabedin­gte Fluchtursa­chen zu bekämpfen, schlägt sie vor, in Afrika Wassertank­s aufzustell­en und Entsalzung­sanlagen für Meerwasser zu bauen. Engelhardt weist darauf hin, dass der Klimawande­l „zum Teil hausgemach­t“sei. Als Beispiel nennt sie „die Schwedenöf­en, von denen viele Menschen so begeistert waren und die sich inzwischen als Dreckschle­udern identifizi­ert haben“. Brugger bestätigt: „Die reichen Länder sind für den größten Teil des Klimawande­ls verantwort­lich – und die armen leiden darunter.“Sie setzt sich dafür ein, in Afrika und im Nahen Osten die Nutzung erneuerbar­er Energien zu unterstütz­en. Auf nationaler Ebene fordert sie einen klaren Fahrplan für den Kohleausst­ieg, den Verzicht auf Öl und den Schutz der Arbeitsplä­tze in der Solarenerg­ie.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Auf dem Podium im Kornhaus (von links) Moderator Christoph Plate („Schwäbisch­e Zeitung“), Jasmin Runge (Die Linke), Heike Engelhardt (SPD), Axel Müller (CDU) und Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen).
FOTO: FELIX KÄSTLE Auf dem Podium im Kornhaus (von links) Moderator Christoph Plate („Schwäbisch­e Zeitung“), Jasmin Runge (Die Linke), Heike Engelhardt (SPD), Axel Müller (CDU) und Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen).

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