Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Virus Annenmaykantereit
Kölner Band spielt vor ausverkaufter Ravensburger Oberschwabenhalle
RAVENSBURG - Über diese junge Band reden gerade alle. Kulturmagazine berichten in Regelmäßigkeit. Das Konzert am Donnerstagabend in der Ravensburger Oberschwabenhalle ist ausverkauft. Das sollte man sich mal angucken, denke ich mir, das Phänomen Annenmaykantereit, da muss ja was dahinterstecken, wenn die Jungs fast nur in ausverkauften Hallen auftreten.
Vier junge Kölner Männer stehen auf der Bühne: Sänger Henning May, Gitarrist Christopher Annen, Schlagzeuger Severin Kantereit und das neue Bandmitglied, dessen Namen sich nicht im Bandnamen niederschlägt, Bassist Malte Huck. Vor fünf, sechs Jahren haben sie angefangen, Musik zu machen, auf der Straße, so wie die Kelly Family, und jetzt, da verkaufen sich ihre zwei Scheiben wie zwei warme Semmeln.
Ja, und dann geht es eigentlich auch schon vielversprechend los, das Konzert, der Sound klingt so wie die zwei, drei Lieder, die der Kulturmagazingucker eben so kennt. Aber je länger der Abend dauert, umso eintöniger wird es. Irgendwie klingt alles dann doch gleich. Die ganze Musik von Annenmaykantereit dreht sich um die eigentümlich tiefrauhe Stimme des Sängers May herum. Bisweilen dröhnt sie wie der Sutra-Gesang tibetischer Mönche beim Gebetsmühlendrehen.
Nun, es gibt auch andere Bands, deren Sänger eine so dominante Stimme hat, dass sie die Unverwechselbarkeit ausmacht, Tom Waits, Rio Reiser, Udo Lindenberg. Aber die Formel für die musikalische Stärke einer Gruppe lautet nun mal: Ziehe den Sänger ab und hör dir an, was übrig bleibt. Annenmaykantereithuck weniger May ergibt einen durchschnittlichen Umsonst-und-Draußen-Headliner, der sicherlich auch Spaß machen kann. Und zugestanden: Die Fans feiern die Jungs. Laut und deutlich. Und sie fordern am Ende auch brav Zugaben. Denjenigen also, die vom AnnenmaykantereitFieber bereits angesteckt sind, gefällt das Konzert sichtlich. Mir aber nicht.
Ansteckungsgefahr droht Dazu ist mir die Musik zu eintönig und die Buben auf der Bühne zu uncharismatisch. Aus den Ansagen erfährt der Konzertgänger nicht viel: Wir schreiben unsere Texte selber, betont May mehrfach, nicht so wie Andreas Bourani. Hm. Wem erzählt er das eigentlich? Den tausend Fans, die seinetwegen gekommen sind? Die wissen vermutlich, dass May seine Texte selber schreibt. Vermutlich mit ein Grund, warum sie hier sind.
Also ich persönlich finde es ja gut, wenn Musiker ihren Fans etwas von sich erzählen. Aber da erzählt May lieber, dass sie den einen Song, den sie eigentlich gar nicht mehr spielen wollten, nun extra doch noch spielen, weil ein Facebook-Kommentator gewünscht hatte, dass sie diesen einen Song nicht mehr spielen. Ooookay, wenn das so ist: Ich wünsche mir, dass Annenmaykantereit alle ihre Songs nicht mehr spielen. Spielen sie ihr jetziges Repertoire demnach für den Rest ihres Lebens? Für die Fans, die sich mehr versprechen, doch wohl hoffentlich nicht.
Was also macht das Infektiöse von Annenmaykantereit eigentlich aus? Warum sind so viele angesteckt? Das Publikum ist schwierig zu beschreiben, da ist alles vertreten. Junge Dinger, die gleich beim ersten Song ohnmächtig aus der ersten Reihe gezogen werden, alte Männer, die es sich gemütlich auf den Sitzplätzen machen, also alle Altersklassen, die zwischen Hipsterhüten und umgedrehten Kappen alles tragen.
Ich glaube mittlerweile, dass es die Texte sein müssen, in denen sich die Menschen wiederfinden. Sie sind launisch, entnervt, widerspenstig, ziemlich egozentrisch – die Wörter „Ich“und „Du“sind gefühlt die einzigen verwendeten Personalpronomen – großmaulig und ziemlich eingebildet. Das trifft den Zeitgeist. Nie, finde ich ziemlich junger Mensch, haben die Leute mehr über alles gemault als heute – und hatten gleichzeitig noch nie so wenig Grund dazu.
Und irgendwie ist das der Eindruck, der mir am Ende bleibt, als ich, während die Zugabe läuft, meine Tasche von der Garderobe hole: Annenmaykantereit ist der musikalische Ausdruck einer Masse aufgebrachter Wüteriche.