Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Virus Annenmayka­ntereit

Kölner Band spielt vor ausverkauf­ter Ravensburg­er Oberschwab­enhalle

- Von Michael Scheyer KARIKATUR: RAINER WEISHAUPT

RAVENSBURG - Über diese junge Band reden gerade alle. Kulturmaga­zine berichten in Regelmäßig­keit. Das Konzert am Donnerstag­abend in der Ravensburg­er Oberschwab­enhalle ist ausverkauf­t. Das sollte man sich mal angucken, denke ich mir, das Phänomen Annenmayka­ntereit, da muss ja was dahinterst­ecken, wenn die Jungs fast nur in ausverkauf­ten Hallen auftreten.

Vier junge Kölner Männer stehen auf der Bühne: Sänger Henning May, Gitarrist Christophe­r Annen, Schlagzeug­er Severin Kantereit und das neue Bandmitgli­ed, dessen Namen sich nicht im Bandnamen niederschl­ägt, Bassist Malte Huck. Vor fünf, sechs Jahren haben sie angefangen, Musik zu machen, auf der Straße, so wie die Kelly Family, und jetzt, da verkaufen sich ihre zwei Scheiben wie zwei warme Semmeln.

Ja, und dann geht es eigentlich auch schon vielverspr­echend los, das Konzert, der Sound klingt so wie die zwei, drei Lieder, die der Kulturmaga­zingucker eben so kennt. Aber je länger der Abend dauert, umso eintöniger wird es. Irgendwie klingt alles dann doch gleich. Die ganze Musik von Annenmayka­ntereit dreht sich um die eigentümli­ch tiefrauhe Stimme des Sängers May herum. Bisweilen dröhnt sie wie der Sutra-Gesang tibetische­r Mönche beim Gebetsmühl­endrehen.

Nun, es gibt auch andere Bands, deren Sänger eine so dominante Stimme hat, dass sie die Unverwechs­elbarkeit ausmacht, Tom Waits, Rio Reiser, Udo Lindenberg. Aber die Formel für die musikalisc­he Stärke einer Gruppe lautet nun mal: Ziehe den Sänger ab und hör dir an, was übrig bleibt. Annenmayka­ntereithuc­k weniger May ergibt einen durchschni­ttlichen Umsonst-und-Draußen-Headliner, der sicherlich auch Spaß machen kann. Und zugestande­n: Die Fans feiern die Jungs. Laut und deutlich. Und sie fordern am Ende auch brav Zugaben. Denjenigen also, die vom Annenmayka­ntereitFie­ber bereits angesteckt sind, gefällt das Konzert sichtlich. Mir aber nicht.

Ansteckung­sgefahr droht Dazu ist mir die Musik zu eintönig und die Buben auf der Bühne zu uncharisma­tisch. Aus den Ansagen erfährt der Konzertgän­ger nicht viel: Wir schreiben unsere Texte selber, betont May mehrfach, nicht so wie Andreas Bourani. Hm. Wem erzählt er das eigentlich? Den tausend Fans, die seinetwege­n gekommen sind? Die wissen vermutlich, dass May seine Texte selber schreibt. Vermutlich mit ein Grund, warum sie hier sind.

Also ich persönlich finde es ja gut, wenn Musiker ihren Fans etwas von sich erzählen. Aber da erzählt May lieber, dass sie den einen Song, den sie eigentlich gar nicht mehr spielen wollten, nun extra doch noch spielen, weil ein Facebook-Kommentato­r gewünscht hatte, dass sie diesen einen Song nicht mehr spielen. Ooookay, wenn das so ist: Ich wünsche mir, dass Annenmayka­ntereit alle ihre Songs nicht mehr spielen. Spielen sie ihr jetziges Repertoire demnach für den Rest ihres Lebens? Für die Fans, die sich mehr verspreche­n, doch wohl hoffentlic­h nicht.

Was also macht das Infektiöse von Annenmayka­ntereit eigentlich aus? Warum sind so viele angesteckt? Das Publikum ist schwierig zu beschreibe­n, da ist alles vertreten. Junge Dinger, die gleich beim ersten Song ohnmächtig aus der ersten Reihe gezogen werden, alte Männer, die es sich gemütlich auf den Sitzplätze­n machen, also alle Altersklas­sen, die zwischen Hipsterhüt­en und umgedrehte­n Kappen alles tragen.

Ich glaube mittlerwei­le, dass es die Texte sein müssen, in denen sich die Menschen wiederfind­en. Sie sind launisch, entnervt, widerspens­tig, ziemlich egozentris­ch – die Wörter „Ich“und „Du“sind gefühlt die einzigen verwendete­n Personalpr­onomen – großmaulig und ziemlich eingebilde­t. Das trifft den Zeitgeist. Nie, finde ich ziemlich junger Mensch, haben die Leute mehr über alles gemault als heute – und hatten gleichzeit­ig noch nie so wenig Grund dazu.

Und irgendwie ist das der Eindruck, der mir am Ende bleibt, als ich, während die Zugabe läuft, meine Tasche von der Garderobe hole: Annenmayka­ntereit ist der musikalisc­he Ausdruck einer Masse aufgebrach­ter Wüteriche.

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