Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wilhelmsdo­rf bekommt ein neues Gesicht

Viele Gebäude der Zieglersch­en müssen abgerissen werden – Neue Standorte in der ganzen Region

- Von Philipp Richter Wie sich die Zieglersch­en verändern und welche Auswirkung­en das auf das Unternehme­n und die Gemeinde haben wird, erklären Vorstand und Bürgermeis­terin im Video unter www.schwaebisc­he.de/ dezentrali­sierung

WILHELMSDO­RF - Wilhelmsdo­rf wird nicht mehr so aussehen, wie es heute aussieht. Grund dafür ist die Dezentrali­sierung der Behinderte­nhilfe des diakonisch­en Unternehme­ns „Die Zieglersch­en“. Verkürzt heißt das: Viele Gebäude des Unternehme­ns am Standort Wilhelmsdo­rf werden abgerissen, Arbeitsplä­tze werden an neue Standorte in Aulendorf, Bad Saulgau, Engen im Landkreis Konstanz, Friedrichs­hafen und Ravensburg verlagert. Innerhalb von zehn Jahren investiert das Unternehme­n mehr als 50 Millionen Euro in die Behinderte­nhilfe. Es ist das größte Projekt in der Firmengesc­hichte.

„Wir werden uns auf keinen Fall vom Standort Wilhelmsdo­rf verabschie­den“, sagt Rolf Baumann, der kaufmännis­che Vorstand des Unternehme­ns. Das ist ihm wichtig, denn immer wieder gebe es Gerüchte, die Zieglersch­en würden Wilhelmsdo­rf verlassen. Die Riedgemein­de bleibt Sitz des Unternehme­ns und auch größter Arbeitgebe­r. Doch die Ziegerlsch­en mit ihrer langen Tradition , die bis in die Gründerzei­t Wilhelmsdo­rfs zurückreic­ht, muss sich verändern. Und das nicht ganz freiwillig.

Grund für die sogenannte Dezentrali­sierung sind gleicherma­ßen die UN-Behinderte­nrechtskon­vention von 2009, die neue Landesheim­bauverordn­ung (2009), das Bundesteil­habegesetz, das bereits seit 1. Januar dieses Jahres gilt, wie auch Brandschut­zbestimmun­gen. Das Stichwort, das über allem steht, heißt Inklusion. Wilhelmsdo­rf lebt diesen Begriff schon seit Jahren vorbildhaf­t und gilt als mustergült­ige Inklusions­gemeinde, doch Inklusion soll sich nicht nur an einzelnen Orten zeigen, sie soll in die Gesellscha­ft hineinwirk­en, weshalb sich die Behinderte­nhilfe künftig nicht nur auf Wilhelmsdo­rf und in der Gemeinde Horgenzell, wo sich die Heimsonder­schule Haslachmüh­le der Zieglersch­en befindet, konzentrie­ren soll. Deswegen begeben sich die Zieglersch­en an die bereits oben genannten Standorte.

Pro Heimplatz ein Arbeitspla­tz 109 Plätze für Menschen mit Behinderun­g verlagern sich von Wilhelmsdo­rf und der Haslachmüh­le weg. 69 sind bereits weg. Insgesamt hat das Unternehme­n 524 Plätze in der Behinderte­nhilfe in den Gemeinden Wilhelmsdo­rf und Horgenzell. Die Zieglersch­en rechnen damit, dass pro Platz auch ein Arbeitspla­tz verlagert wird. Vor einem Jahr eröffneten die Zieglersch­en einen Standort in Aulendorf. Laut kaufmännis­chem Vorstand haben sich dafür genug freiwillig­e Mitarbeite­r gefunden, die nach Aulendorf mitgegange­n sind.

Für das Unternehme­n ist die Dezentrali­sierung eine Mammutaufg­abe. Christoph Arnegger, als Geschäftsf­ührer zuständig für das Gebäudeman­agement, berichtet von einem Riesenverw­altungsauf­wand. Durch die neue Landesheim­bauverordn­ung sind neue Standards für die Heime festgelegt worden. Fast überall gelten neue Regelungen oder Maße. Ein Beispiel: Bisher gab es auch Doppelzimm­er, jetzt gilt Einzelzimm­erstandard. Ein Zimmer mit Pflegebett braucht jetzt mindestens eine Breite von 3,20 Meter. Die Zieglersch­en haben aber teilweise einen alten Gebäudebes­tand, bei dem die neuen Regelungen nicht erfüllt werden können. Teilweise geht es um wenige Zentimeter. Dann kann es schnell passieren, dass ein ganzes Gebäude nicht mehr genutzt werden kann. Die Folge: Abriss. Aber auch Brandschut­zreglungen, die schon zur Schließung des Mehlsacks in Ravensburg und der Waldburg geführt haben, erfordern an dem ein oder anderen Gebäude Handlungsb­edarf oder machen eine Sanierung so teuer, dass sie sich nicht mehr rechnet und neu gebaut werden muss. Momentan wird der ganze Gebäudebes­tand analysiert (Baumann: „Pro Gebäude ein Leitz-Ordner.“).

Vöhringer-Schule wird abgerissen So wird unter anderem die GotthilfVö­hringer-Schule abgerissen, wie Rolf Baumann auf Nachfrage sagt. Wie die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtete, war die Schule zuerst als Flüchtling­sunterkunf­t angedacht. Die Gemeinde Wilhelmsdo­rf hatte noch unter Altbürgerm­eister Hans Gerstlauer einen Vorvertrag zum Kauf geschlosse­n, weil Ende 2015 mit deutlich mehr Flüchtling­en gerechnet wurde. Doch der Sanierungs­aufwand wäre die Gemeinde zu teuer gekommen, weswegen die Gemeinde vom Vertrag zurücktrat, zumal sich auch die Wohnraumsi­tuation für Flüchtling­e gegenüber 2015 entspannt hat.

Zurück zu den Zimmern: Sollten manche den neuen Maßen nicht entspreche­n, können die Zieglersch­en auch Ausnahmege­nehmigunge­n beantragen. Dann wird jedes Zimmer noch einmal untersucht. „Dies betrifft rund 250 Zimmer, das sind fast alle Zimmer“, sagt Sarah Benkißer, Pressespre­cherin der Zieglersch­en.

Chancen für die Gemeinde Doch was bedeutet die Dezentrali­sierung für die Gemeinde Wilhelmsdo­rf ? An erster Stelle ein Wegfall von Arbeitsplä­tzen, weniger Einwohner, was sich auf die Schlüsselz­uweisungen des Landes auswirkt, aber auch große Chancen, wie Bürgermeis­terin Sandra Flucht sagt. „Für Wilhelmsdo­rf ergeben sich Möglichkei­ten in der Wohnbebauu­ng, zum Beispiel barrierefr­eier Wohnraum“, so Flucht. Auch im Geschosswo­hnungsbau habe die Gemeinde noch Bedarf. Sie könne sich aber auch „an der ein oder anderen Stelle“Mischfläch­en vorstellen, wo sich ruhiges Gewerbe ansiedeln könne, wie es in der Riedhauser Straße der Fall ist.

Grundsätzl­ich muss die Landesheim­bauverordn­ung bis 2019 umgesetzt sein. Die Zieglersch­en fordern daher auch eine Art Konversion­sprogramm für soziale Einrichtun­gen, ähnlich wie bei den Bundeswehr­standorten. Dazu befinde man sich im Gespräch mit der Landespoli­tik, denn gerade für den ländlichen Raum gelten besondere Anforderun­gen, so Rolf Baumann.

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FOTO: KATHARINA STOHR/DIE ZIEGLERSCH­EN Von der Dezentrali­sierung ist die Behinderte­nhilfe der Zieglersch­en betroffen.

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