Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bruderhaus-Café eröffnet Mitte 2018
Psychisch Kranke und Anwohner sollen in der Holbeinstraße 32 ungezwungen miteinander in Kontakt kommen
RAVENSBURG - Die Firma Reisch ist nebenan schon kräftig am Buddeln, sollen auf dem Bezner-Areal doch mehr als 50 neue Wohnungen entstehen. Bald geht es auch im 1200 Quadratmeter großen Gebäude der Bruderhaus-Diakonie in der Holbeinstraße 32 los: Mitte Februar werden in Klinkerbau die Innenwände rausgerissen. Wenn der Umbau des 115 Jahre alten Backsteinhauses fertig ist, können dort ab Mitte 2018 psychisch kranke Menschen arbeiten. Außerdem geht dann ein öffentliches Café samt kleinem NahversorgerLädchen an den Start. Am Freitag, 17. Februar, lädt die Bruderhaus-Diakonie Interessierte zu einem Infotag vor Ort.
Weil die Ravensburger Fairhandelsgenossenschaft dwp, in deren Räumen in der Hinzistobler Straße die Bruderhaus-Werkstätten momentan noch untergebracht sind, den Platz selber braucht, schaute sich Andras Weiß, Leiter der Sozialpsychiatrischen Hilfen RavensburgBodenseekreis der Bruderhaus-Diakonie, nach einem neuen Standort um. Möglichst stadtnah sollte der sein – denn psychisch Kranke haben in der Regel kein Auto. Die Krankheit macht es vielen schwer, einen geregelten Tagesablauf hinzubekommen, und ihre Persönlichkeit geht häufig unter Angst- oder anderen Störungen verschütt. Daher „versuchen wir, die Fähigkeiten dieser Menschen wieder zu wecken“und sie ins normale Leben zurückzulocken, beschreibt Weiß den Ansatz. Viele hätten aufgrund ihrer Erkrankung nicht nur ihren Job, sondern auch Partner und Wohnung verloren. Wer (noch) nicht vier Stunden am Stück arbeitsfähig ist, soll im Bereich der sogenannten Tagesstruktur langsam wieder „zu einem selbstständigen Leben herangeführt werden“. Dafür sind nun künftig in der Holbeinstraße, wo die Bruderhaus-Diakonie 2015 das Klinkergebäude kaufte, 18 Plätze vorgesehen.
Wiedereingliederung ist Ziel In den Werkstätten können zudem 60 psychisch kranke Menschen arbeiten. Sei es, dass sie für Firmen Waren abpacken und etikettieren, am PC sitzen oder ein Bewerbungstraining absolvieren. Am Ende soll, wo immer es möglich ist, die Wiedereingliederung in die „normale“Gesellschaft und den regulären Arbeitsmarkt stehen, macht Weiß deutlich.
Ein weiterer Baustein dazu soll das Tagescafé sein, das die Bruderhaus-Diakonie auf dem ehemaligen Bezner-Areal, das mittlerweile in Mühlenviertel umgetauft wurde, aufzieht. Und zwar just dort, wo sich früher die Lehrwerkstatt der vor 20 Jahren in Konkurs gegangenen Maschinenfabrik befand. Statt Maschinenschlosser-Azubis agieren dort künftig psychisch Kranke im Service. Weiß hofft, dass möglichst viele Anwohner das Angebot annehmen – schließlich hatten sie sich in einer von der Ravensburger Stadtverwaltung initiierten Veranstaltung genau das gewünscht: ein Café und ein Tante-Emma-Lädchen im Quartier.
Letzteres wird auf rund 20 Quadratmetern regionale Produkte aus Landwirtschaft und der RiesenhofGärtnerei anbieten und die absoluten Basislebensmittel in petto haben. Auch wenn Weiß davon ausgeht, dass Café und Lädchen sich finanziell nicht tragen werden, sagt er: „Das ist eine Chance für unsere psychisch Kranken“, auf unkomplizierte Weise in Kontakt mit den Nachbarn zu kommen. Denn häufig seien solche Menschen sehr (in sich) zurückgezogen – und hätten doch zugleich „eine große Sehnsucht nach Normalität“.
Kollegin Simone Windbühler ergänzt: Auch für die Anwohner sei das Ganze eine „Win-win“-Geschichte. Abgesehen davon, dass sie um die Ecke mal eben einen Kaffee trinken können, lasse sich im BruderhausGebäude auch erleben, dass psychisch Kranke sich gar nicht so seltsam benehmen, wie manch einer befürchten mag. Außerdem möchte das Bruderhaus das Gebäude für jedermann öffnen: Im ersten Stock soll’s einen kostenlos nutzbaren Raum für alle geben, die dort etwas aufziehen wollen – egal, ob Chorprobe, Krabbelgruppe, Vortrag oder Töpferkurs, so Windbühler. Sie hofft, dass auch die psychisch Kranken sich unter diesen Umständen eher trauen, mal bei einem solchen Kurs mitzumachen. „Das Ganze“, bringt Weiß es auf den Punkt, „soll ein Angebot von Bürgern für Bürger sein“.
Am Freitag, 17. Februar, lädt die Bruderhaus-Diakonie von 13 bis 17 Uhr zu Kaffee und Kuchen ins Gebäude Holbeinstraße 32. Interessierte Anwohner können sich in dem Backsteingebäude umschauen und informieren. Man kann einen Blick in die Baupläne werfen oder sich einer Führung durchs Gebäude anschließen.