Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Revolution fand nicht statt
Nüchterne Generaldebatte im Bundestag mit viel „weiter so“und etwas Angst vor Populismus
BERLIN - Sahra Wagenknecht heizte kräftig ein. Die Beratung des Kanzleretats ist traditionell die Stunde der Generalabrechnung für die Opposition. Und so ließ die Linken-Fraktionschefin am Mittwoch keinen Vorwurf an die Regierung aus. „Offensichtlich hat selbst Donald Trump wirtschaftspolitisch mehr drauf als Sie“, sagte sie zur Kanzlerin, denn immerhin plane der künftige USPräsident Infrastrukturprogramme.
Dabei begann die Sitzung so heiter. Angela Merkel, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Innenminister de Maizière, Gesundheitsminister Herrmann Gröhe (alle CDU), sie umrahmten mit freundlichen Mienen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), nachdem am Vorabend bekannt geworden war, dass er erneut Vater wird. Der 57-Jährige hat bereits eine erwachsene Tochter und eine kleine vierjährige Tochter, seine dritte Tochter wird im nächsten Sommer erwartet.
Gelöste Stimmung Die gelöste Stimmung wurde von Wagenknecht aufgespießt: „Die Große Koalition scheint sich auf ein ,weiter so‘ zu freuen.“Wagenknecht nicht. Sie zeichnete ein düsteres Bild von einem Deutschland, in dem der "american dream" ausgeträumt sei, in dem es Raubtierkapitalismus gibt und eine Zwei-Klassen-Medizin, in der die normalen Krankenversicherten in Zukunft für immer mehr Flüchtlinge als Hartz-IV-Empfänger aufkommen müssen. „Je mehr Hartz IV, je mehr Flüchtlinge, desto teurer wird es für die Aldi-Kassiererin“, so Wagenknecht. Sie verschwieg, dass es aus diesem Grund einen Bundeszuschuss an die gesetzlichen Kassen gibt. Wagenknecht sagte, man erlebe zurzeit beim Zulauf zum Front National in Frankreich eine „politische Notwehr der unteren Schichten“.
Solche Ansichten ärgern SPDFraktionschef Thomas Oppermann. Aus dem früheren „Proletarier aller Länder“sei jetzt ein „Populisten aller Länder, vereinigt Euch“geworden. „Sie wollen Frauke Petry im Bundestag überflüssig machen“, warf er Wagenknecht vor. „Aber sie tragen zum Erstarken der AfD bei.“ Merkel reagierte dagegen überhaupt nicht auf die Vorwürfe. Ungerührt zeigte sie die großen Linien ihrer Politik auf. Allerdings macht ihr die Meinungsbildung in Zeiten der Digitalisierung auch Kopfschmerzen. Es gebe FakeSeiten, meinungsverstärkende Agitation und Menschen, die das, was sie im Internet lesen, für wahr halten würden. Hinzu komme noch der Hass. „Wir müssen Hassreden und Hasskommentare unterbinden“, so Merkel. Dafür erhielt sie auch von den Grünen Applaus.
Nicht alles bleibt Merkel setzt keine eindeutigen Schwerpunkte für die nächsten vier Jahre. Sie rief im Bundestag dazu auf, die Werte gemeinsam mit Europa und den USA zu stärken. Sie kritisierte die Politik der Türkei und von Präsident Assad in Syrien, sie streifte das Klimaschutzabkommen und die Entwicklungspolitik, und forderte, dass Europa schneller entscheiden und umsetzen müsse. All das sei zutiefst im Interesse der Bürger, denn es gebe nicht mehr hier die Innenpolitik und dort die Außenpolitik.
Sie wolle den Menschen nicht erzählen, dass alles so bleiben könne, wie es ist, sagte die Kanzlerin. Manches müsse sich ändern. So könne die Rente nicht solide bleiben ohne eine Stärkung der privaten Vorsorge. Insgesamt aber vermittelte Merkel Ruhe und versicherte, dass es Deutschland weiter gut gehen werde.
Dennoch kritisierte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter die CDUChefin: „Es ist wieder einmal unklar, wohin Sie mit dem Land wollen.“Ein „weiter so“reiche nicht.
Unionsfraktionschef Volker Kauder stützte die Linie der Kanzlerin und zog eine positive Bilanz. Die Bundesrepublik stehe gut da, und das sei nicht vom Himmel gefallen, sondern ein Ergebnis der richtigen Politik der letzten Jahre. Für Kauder ist die demographische Entwicklung die größte Herausforderung. Es dürfe nicht zu einer Vernachlässigung der Ländlichen Räume kommen. Auch Thomas Oppermann hatte zuvor die Politik beschworen, zu schauen, was im Alltag der Menschen wichtig sei: Ein sicherer Staat und die soziale Sicherheit.