Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Espritfrei auf die Todesroute

Spaniens lauer Auftritt gegen Kroatien hat eine fatale Folge: Italien

-

BORDEAUX (SID/dpa) - Andres Iniesta schlich bedröppelt zum Mannschaft­sbus. „Das ist kein schöner Zeitpunkt für eine Niederlage“, sagte der kleine Spielmache­r leise und kratzte sich nachdenkli­ch am Hinterkopf. Spaniens erste EM-Pleite seit zwölf Jahren kommt tatsächlic­h zur Unzeit – jetzt wartet die „Todesroute“. Erster Halt: Italien. Die Neuauflage des Endspiels von 2012 (4:0) steigt am Montag (18 Uhr) in Paris – ein Spiel, auf das auch Spaniens Trainer Vicente del Bosque in dieser Turnierpha­se allzu gerne verzichtet hätte. „Es ist nicht der Weg, den wir gehen wollten“, sagte der 65-Jährige und blickte dabei ziemlich grimmig drein. Das vollkommen unnötige 1:2 im letzten Gruppenspi­el gegen Kroatien, das war unüberseh- bar, hatte bei den Spaniern Spuren hinterlass­en. Deshalb: „Wir dürfen jetzt nicht den einen oder anderen Schuldigen suchen. Schuld sind wir alle.“

„Wir müssen das Spiel schnell abhaken, uns wieder aufrichten und uns gut auf das Achtelfina­le vorbereite­n“, sagte del Bosque weiter, wohl wissend, dass im Viertelfin­ale in Weltmeiste­r Deutschlan­d schon der nächste Brocken warten könnte. Während die Sportzeitu­ng „AS“von einem „Minenfeld“schrieb, erklärte der spanische Trainer trocken: „Wenn du Champion werden willst, musst du gegen jeden gewinnen.“

Das Gefühl einer EM-Niederlage ist für die jetzige „La Furia Roja“und auch für del Bosque etwas vollkommen Neues. Bis auf Ersatztorh­üter Iker Casillas, der das 0:1 gegen Gastgeber Portugal am 20. Juni 2004 miterlebt hatte, hat noch kein Spieler im Kader bei einer Kontinenta­lmeistersc­haft verloren. Von den letzten 14 Partien hatte der Titelträge­r von 2008 und 2012 13 gewonnen, einmal spielte er unentschie­den. Und so nannte „El País“die fast schon historisch­e Niederlage von Bordeaux eine „schallende Ohrfeige für Spanien“. „Marca“kommentier­te: „Wir sind wieder auf der Erde.“

Tatsächlic­h landeten die Spanier, die nach den ersten beiden Auftritten in der Heimat schon als „Außerirdis­che“gefeiert worden waren, am Dienstagab­end ziemlich unsanft in der Realität. Nach einer starken ersten Halbzeit und der Führung durch Alvaro Morata (7. Minute) fehlte es an Geschwindi­gkeit, Esprit und Ideen. Aufmüpfige Kroaten drehten durch Nikola Kalinic (45.) und Ex-Bundesliga­profi Ivan Perisic (88.) die Partie.

„Ich mache mir wenig Sorgen“, sagte Verteidige­r Gerard Piqué nach Schlusspfi­ff demonstrat­iv lässig und versuchte zu beschwicht­igen. Auch Iniesta versichert­e, weiterhin das Ziel zu haben, „so weit wie möglich zu kommen“. Selbst der kleine Mittelfeld­magier hatte seinen Zauberstab diesmal offensicht­lich verlegt. Nach zwei herausrage­nden Spielen zum Turnierauf­takt tauchte der Spielmache­r vom FC Barcelona völlig ab, verschlepp­te er unerklärli­cherweise immer wieder das Tempo. Da passte es ins Bild, dass sich Iniesta vor dem so wichtigen Foulelfmet­er beim Stand von 1:1 den Ball von Sergio Ramos mopsen ließ. „Ich wollte schießen, aber Sergio fühlte sich sicher“, sagte der 32-Jährige. Das Resultat ist bekannt: Kapitän Ramos („Ich verschieße lieber in einem Gruppenspi­el als im Halbfinale“) vergab den Matchball zum Gruppensie­g. Vincente del Bosque bewies auch in der schweren Stunde Stil und erklärte ruhig: „Es gibt eine Reihe von Schützen, und der mit dem größten Selbstvert­rauen schießt. Das ist eine Spielsitua­tion, in die sich der Trainer nicht einmischen sollte.“

Jetzt aber haben die vermeintli­ch leichteren Aufgaben auf dem Weg ins Finale andere. „In der Theorie haben wir die stärkeren Mannschaft­en auf unserer Seite des Tableaus, aber der Fußball“, sagte Iniesta, „schreibt seine eigenen Geschichte­n.“

Fußball-Spanien weiß das längst – da hätte es kein 1:2 gebraucht.

Kroatien: Subasic - Srna, Corluka, Jedvaj, Vrsaljko - Rog ( 82. Kovacic), Badelj - Perisic ( 90.+ 4 Kramaric), Rakitic, Pjaca ( 90.+ 2 Cop) - Kalinic. – Spanien: De Gea - Juanfran, Pique, Ramos, Alba - Fabregas ( 84. Thiago), Busquets, Iniesta - Silva, Morata ( 67. Aduriz), Nolito ( 60. Soriano). – Schiedsric­hter: Kuipers ( Niederland­e). – Tore: 0: 1 Morata ( 7.), 1: 1 Kalinic ( 45.), 2: 1 Perisic ( 87.). – Zuschauer: 37 245.

 ??  ?? Donnerstag, 23. Juni 2016
Donnerstag, 23. Juni 2016
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany