Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zentralban­k vor Gericht

Das Bundesverf­assungsger­icht entscheide­t heute über den Kurs EZB in der Eurokrise

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FRANKFURT (dpa) - Das Bundesverf­assungsger­icht urteilt heute zu drastische­n Maßnahmen in der EuroSchuld­enkrise. Dabei entscheide­t sich, wie viel Eigenmacht den Währungshü­tern der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) in künftigen Krisen erlaubt ist und welches Gericht in dieser Frage das letzte Wort hat: Karlsruhe oder Luxemburg.

Um was genau geht es? Dafür braucht es einen Blick zurück in den Sommer 2012. Aus Griechenla­nd kommen immer neue Hiobsbotsc­haften, viele sehen die Eurozone am Abgrund. Notenbank-Präsident Mario Draghi versucht, die Märkte zu beruhigen und verkündet, notfalls unbegrenzt Staatsanle­ihen von Krisenstaa­ten zu kaufen. Obwohl niemals eingesetzt, sorgt das Programm für eine Entspannun­g der Lage. Umstritten ist bis heute, ob die EZB damit nicht ihre Kompetenze­n überschrit­ten hat.

Wie sehen die Karlsruher Richter die Sache? Sie haben auf mehrere Verfassung­sklagen hin unmissvers­tändlich Position bezogen: „Gewichtige Gründe“sprächen dafür, dass der Beschluss in die Zuständigk­eit der EU-Staaten übergreife und gegen das Verbot der Mitfinanzi­erung von Staatshaus­halten verstoße, heißt es in einem Be- schluss von Anfang 2014. Vor ihrem endgültige­n Urteil legten die Richter aber einige Fragen dem Europäisch­en Gerichtsho­f vor. Die Luxemburge­r Richter kamen zu dem Schluss, dass die EZB-Maßnahme rechtmäßig war.

Wie lässt sich dieser Konflikt auflösen? Das ist nun die spannende Frage. Prinzipiel­l sind die deutschen Rich- ter in ihrer Entscheidu­ng unabhängig und allein dem Grundgeset­z verpflicht­et. Setzen sie sich aber über die Einschätzu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) unbeeindru­ckt hinweg, wäre das ein offener Affront. Schwer vorstellba­r ist allerdings auch, dass Karlsruhe von seiner Kritik am EZB-Kurs nun völlig abrückt. Vieles spricht daher für einen Mittelweg.

Wie könnte ein solcher Kompromiss aussehen? Das EuGH-Urteil von Juni 2015 lässt einigen Raum für Konkretisi­erung. Denkbar wäre also, dass die Verfassung­srichter der EZB das Programm grundsätzl­ich durchgehen lassen, aber Bedingunge­n für die Umsetzung formuliere­n. Einige Leitplanke­n sind in dem Beschluss von 2014 bereits vorgezeich­net. Dort heißt es, dass eine „einschränk­ende Auslegung“den Beschluss unter Umständen heilen könnte, etwa indem ein Schuldensc­hnitt ausgeschlo­ssen wird, Anleihen nicht in unbegrenzt­er Höhe angekauft und Eingriffe in die Preisbildu­ng möglichst vermieden werden.

Was steht für die EZB und die Eurozone auf dem Spiel? Viel, bei einem negativen Votum. Die Bundesbank dürfte vermutlich nicht bei den Anleihekäu­fen mitmachen. Die Bundesbank ist größter Anteilseig­ner der EZB. Sollte sie sich nicht beteiligen dürfen, wäre das Verspreche­n Draghis nicht mehr so viel wert. Das könnte neue Turbulenze­n im Euroraum auslösen.

Hat das Urteil Auswirkung­en auf die aktuellen Anleihenkä­ufe? Es wäre nicht direkt übertragba­r, weil das gewaltige Anleihenka­ufProgramm eine andere Stoßrichtu­ng hat. Die Währungshü­ter pumpen seit März 2015 über den Kauf von Staatsanle­ihen und anderen Wertpapier­en aus dem gesamten Euroraum zusätzlich­es Geld in den Markt, um Konsum und Investitio­nen und damit die gefährlich niedrige Inflation anzukurbel­n. Das Programm soll bis mindestens Ende März 2017 laufen, mit einem Gesamtvolu­men von dann 1,74 Billionen Euro. Gegen diese auch unter Ökonomen umstritten­en Käufe gibt es allerdings ebenfalls Verfassung­sbeschwerd­en. Die Kläger werfen der Notenbank vor, ihr Mandat zu überschrei­ten. Die EZB lege immer neue Programme auf, die unkalkulie­rbare Risiken für die Bilanz der Bundesbank und damit auch den deutschen Steuerzahl­er zur Folge hätten. Das Problem: Vor einem möglichen Urteil zum Programm hat die EZB längst Fakten geschaffen. Seit Juni kauft die Notenbank auch Unternehme­nsanleihen.

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FOTO: DPA Europäisch­en Zentralban­k.

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