Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Überläuferin
Sie dürfte derzeit eine der verhasstesten Politikerinnen in Großbritannien sein: Sayeeda Warsi, die einstige VorzeigeMuslimin der Konservativen. „ Hätte ich drei Kugeln und würden Stalin, Hitler und Warsi vor mir stehen, ich würde dreimal auf Warsi schießen“, kommentierte ein wütender Nutzer im sozialen Netzwerk Twitter. Stunden zuvor hatte Warsi, Tochter von pakistanischen Einwanderern im Königreich, das Lager der Brexit- Befürworter verlassen und sich den Gegnern des EU- Austritts angeschlossen. Die ersteren überschütteten sie daraufhin mit Beleidigungen.
Sie will gegen das „ Klima des Hasses“kämpfen, das die Antieuropäer verbreiten. Warsi hat sich am Wahlplakat der nationalistischen Ukip- Partei Anstoß genommen, das eine Warteschlange von Flüchtlingen zeigt und die Parole „ Die EU hat uns im Stich gelassen“. Die Zukunftsvision der Ukip für ihre Heimat gründe auf einer „ xenophoben Kampagne“, erklärte die Baronin. „ Das geht mir zu weit.“
Der Seitenwechsel der prominenten Muslimin ist ein Schlag für die Brexit- Anhänger und umgekehrt ein Grund zur Freude für Premier Cameron, der um den Erfolg seiner Kampagne für den EU- Verbleib bangt.
Cameron hatte seine Parteifreundin Warsi bereits 2007 zur Baronin gemacht, 2010 wurde sie Ministerin im liberalkonservativen Kabinett. Der Tory- Chef stand damals vor der Herausforderung, das Vertrauen der jungen Muslime zu gewinnen. Die 1971 geborene Anwältin schien die perfekte Vertreterin der neuen, weltoffenen Konservativen zu sein. Warsi stammt aus einer Migrantenfamilie in Yorkshire mit fünf Kindern, die sich aus der Armut zum Wohlstand hochgearbeitet hat. Als erstes muslimisches Regierungsmitglied trat sie für den Zusammenhalt der multikulturellen Gesellschaft ein. 2014 trat Warsi allerdings aus Protest gegen Camerons Israel- freundliche Nahost- Politik zurück.
Sie ist nicht die einzige „ Überläuferin“im EU- Lager. Vor zwei Wochen hatte die Chefin des Gesundheitsausschusses im Parlament, Sarah Wollaston, die „ Ja zum Brexit“- Kampagne verlassen, die sie der Lügen bezichtigt. Alexei Makartsev