Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bürgermeisterin von Grillos Gnaden
Die neue Rathauschefin in Rom, Virginia Raggi, bringt kaum politische Erfahrung mit
ROM - Seit Montag laufen die Uhren in Italiens Hauptstadt anders. Von „Revolution“und „Saubermachen“ist die Rede, davon, dass „das korrupte Regime ein Ende gefunden hat“. Virginia Raggi, 37 Jahre jung, ist mit einer überwältigenden Mehrheit von rund 67,15 Prozent aller Stimmen bei den mit großer Spannung erwarteten Stichwahlen zu den Kommunalwahlen zur neuen römischen Oberbürgermeisterin gewählt worden.
Raggi lag damit deutlich vor ihrem Konkurrenten Roberto Giachetti von der sozialdemokratischen Partei (PD) des Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Der 55-Jährige räumte seine Niederlage ein und gratulierte Virginia Raggi zum Sieg. Raggi hatte bereits die erste Wahlrunde vor zwei Wochen mit gut 35 Prozent der Stimmen klar gewonnen. Giachetti, Vizepräsident des italienischen Abgeordnetenhauses, war im ersten Durchgang auf knapp 25 Prozent der Stimmen gekommen.
Kampf gegen „diese Pest“Damit wird Rom jetzt nicht nur zum ersten Mal von einer Frau regiert, sondern von einer Politikerin, die keiner der klassischen Parteien angehört. Raggi ist eine politische Neueinsteigerin der politischen FünfSterne-Bewegung (M5S). Die Bewegung war angetreten, sagt Gründer Beppe Grillo, um Italien von „dieser Pest“zu heilen. Gerade in Rom, einer Stadt, die zum Symbol aller italienischen Probleme geworden ist, wird Bürgermeisterin Raggi viel zu tun haben. Die Hauptstadt ist mit einigen hundert Millionen Euro verschuldet. Das städtische Verkehrsunternehmen steht mit etwa 1,4 Mrd. Euro Schulden vor dem Bankrott. Das Unternehmen für die Müllentsorgung funktioniert mehr schlecht als recht und der Zustand der Straßen, fast sämtlicher Grünflächen, der Kindergärten, Schulen und vieler Krankenhäuser ist katastrophal. Überall fehlte es bisher an Finanzmitteln und dem politischen Willen, die seit Jahren existierenden Probleme auch nur ansatzweise zu lösen.
Raggi inszeniert sich als Anti-Politikerin, die Rom von Grund auf sanieren will. „Die wahre Revolution Die italienische Fünf- Sterne- Bewegung (M5S) wurde 2009 von dem Starkabarettisten Giuseppe Piero „ Beppe“Grillo und dem InternetUnternehmer Gianroberto Casaleggio aus der Taufe gehoben. Die als europakritische Protestinitiative erdachte Bewegung konnte in der Folgezeit schnell Erfolge verbuchen und holte bei der Parlamentswahl 2013 auf Anhieb 25,6 Prozent der Stimmen. Damit wurde sie aus dem Stand zweitstärkste Partei hinter der Demokratischen Partei ( PD) von Ministerpräsident Matteo Renzi. Die fünf Sterne, auf die sich die Bewegung bezieht, sind Umwelt, Wasser, Entwicklung, Konnektivität und Transportwesen. Kritiker werfen der Partei populistische Züge vor. ( dpa) für Rom wäre Normalität“, so beschreibt Raggi das, worum es ihr geht. „Mobilität, Müllbeseitigung, mehr Transparenz“, das habe Vorrang. Politik, so Roms designierte Bürgermeisterin, sei im Grunde nicht ihr Geschäft. „Ich bin eine Bürgerin wie alle anderen, aber eine, die es satt hat, an der Nase herumgeführt zu werden.“
Während Raggi im Wahlkampf bei konkreten kommunalpolitischen Themen eher vage auftrat, sprach sie sich entschieden gegen eine Bewerbung Roms um die Olympischen Spiele 2024 aus. Es sei geradezu „kriminell“, enorme Geldsummen für ein Sportevent auszugeben, „wenn Rom unter Verkehr und Schlaglöchern zusammenbricht“. Damit traf sie sicherlich bei vielen Römern den richtigen Ton.
Beobachter zweifeln daran, dass ausgerechnet sie, die politisch kaum Erfahrung hat – lediglich drei Jahre lang saß sie im römischen Stadtparlament – , die Hauptstadt aus der Krise holen, den Sumpf bekämpfen kann. „Anscheinend trauen die meisten Römer nur dieser politisch unerfahrenen Frau zu, den Karren aus dem Dreck zu ziehen“, erklärt Massimo D'Alema, Ex-Regierungschef der Sozialdemokraten und erklärter innerparteilicher Gegner des sozialdemokratischen Parteichefs und Premiers Matteo Renzi.
Unbeschriebenes Blatt Fakt ist, dass Virginia Raggi, Rechtsanwältin und für die M5S seit 2013 im römischen Stadtrat, politisch ein recht unbeschriebenes Blatt ist. Das muss nichts Negatives heißen, erklärt Eugenio Scalfari, Gründer der Tageszeitung „La Repubblica“, „aber sie repräsentiert eine Partei oder Bewegung, wie Sie wollen, in der sie an die Vorgaben des Führers der Bewegung Beppe Grillo gebunden ist“.
Roms neue Bürgermeisterin wird politisch kaum Handlungsspielraum haben, denn vor den Kommunalwahlen musste sie sich dazu verpflichten, keine wesentlichen Schritte ohne das Plazet Grillos zu tun. Und so darf es auch nicht verwundern, dass Grillo am Montag vollmundig erklärte, dass „Rom jetzt mir gehört und ich ich mit meiner Bewegung in Rom machen kann was mir passt“.