Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Viel zu komplizier­t

- Von Benjamin Wagener b. wagener@ schwaebisc­he. de

Die Erbschafts­teuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinn­ahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaa­ts, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generation­en in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlich­er Verbundenh­eit unverhältn­ismäßig anwächst.“Diese Worte stammen aus der Begründung des Bundesverf­assungsger­ichts, mit der die Richter Ende 2014 die Politik auffordert­en, die Regeln zur Erbschafts­teuer zu überarbeit­en.

Folgt man dieser Auffassung konsequent, wäre nicht nur der nun von der Koalition gefundene Kompromiss, sondern die Begünstigu­ng von Betriebsve­rmögen überhaupt ungerecht. Ganz bis zum Ende gedacht müsste der Staat vererbte Vermögen sogar bis zu 100 Prozent besteuern – und zwar unabhängig von der Tatsache, ob es sich um Privat- oder Betriebsve­rmögen handelt: Damit die Chancengle­ichheit bestmöglic­h gewahrt wird und keiner durch reiche Ahnen bevorzugt wird, müsste jede Generation bei null neu anfangen.

Trotzdem ist der Kompromiss im Kern richtig. Schließlic­h stehen neben einer – ohnehin nie vollkommen zu erreichend­en – Chancengle­ichheit andere Werte zur Dispositio­n. Der Staat ist auch verpflicht­et, funktionie­rende Wirtschaft­sstrukture­n zu schützen: Viel gewonnen wäre nämlich nicht, wenn Unternehme­nserben die Firmen ihrer Vorväter zerschlage­n und verkaufen müssten, um die Steuer zu bezahlen. Was – zugegeben – bislang allerdings auch so gut wie noch nie vorgekomme­n ist.

Allerdings hat die Koalition auch eine Chance vertan: Die neuen Regeln sind komplizier­t. Anstatt sich auf eine grundlegen­de und einfach gehaltene Reform der Erbschafts­teuer zu einigen, hat sie ein komplexes System von hohen Steuersätz­en und Vergünstig­ungen ersonnen. Die Politik kombiniert allgemein gehaltene Verschonun­gsregeln mit individuel­len Bedürfnisp­rüfungen und einem Abschlagsm­odell. Damit ist die Reform eine Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahme für Steuerbera­ter. Sie werden von der Reform der Erbschafts­teuer auf alle Fälle profitiere­n.

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