Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gegen die Glocke

Eine Niederländ­erin kämpft seit einem Jahr gegen Kuhglocken in der Schweiz

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ZÜRICH/RAVENSBURG (dpa/sz) - Klingende Kuhglocken gehören zum Schweizer Alpenidyll wie Enzian und Edelweiß. Doch eine Niederländ­erin stellt das Bild der glückliche­n, bimmelnden Kuh in Frage. Sie fordert, die Glocken zu verbieten - zu laut, zu schwer, Tierquäler­ei. Viehwirte und Touristike­r sind entsetzt.

„Für Kühe sind die Glocken in etwa so laut, als wenn wir uns einen Presslufth­ammer ans Ohr halten würden“, sagt die dreifache Mutter Holten (41). Die Veganerin kämpft mit Medienauft­ritten und der Facebook-Gruppe „Kuhglocken out“seit einem Jahr dafür, den Nationalti­eren das Glockentra­gen zu ersparen.

Sie stößt auf erbitterte­n Widerstand. Es handle sich beim Geläut immerhin um den „Soundtrack der Alpen“, sagt Schweiz-Tourismus-Sprecher Alain Suter. Holtens „Out“Gruppe ist zwar auf fast 2200 Unterstütz­er gewachsen. Doch die Facebook-Gruppe „Pro Kuhglocken“hat mehr als 17 400 Anhänger.

Die Glocken-Gegnerin hat anonyme Drohbriefe erhalten, im Netz hagelt es wüste Beschimpfu­ngen. Auch auf der Facebook-Seite der „Schwäbisch­en Zeitung“sind die Reaktionen auf die Anti-Glocken-Kampagne eindeutig: „Ah geh, so a Schmarrn!“ist einer der netteren Kommentare.

Die Schweizer Viehwirte sind empört über den vermeintli­chen An- Maria Heubuch, Landwirtin und

Europaabge­ordnete ( Grüne)

griff auf uraltes „Brauchtum und Kulturgut“. Ähnlich bewertet Dr. Michael Honisch den Vorstoß der Holländeri­n. Er ist Geschäftsf­ührer des Alpwirtsch­aftlichen Vereins im Allgäu. „Ich halte diesen Protest für ignorant“, sagt er. 30 000 Jungkühe und 2700 Kühe weiden jeden Sommer auf den Sennalpen des bayerische­n Allgäus. „Die Glocken haben eine jahrtausen­dealte Tradition, man hat Überreste gefunden, die aus der Zeit der Römer stammen“, erklärt Honisch. Ohne das Glockengel­äut würden die Tiere in den Alpen schlicht verloren gehen.

Die Landwirtin und Grünen-Europaabge­ordnete Maria Heubuch sagt: „Das ist eine Tradition, die Sinn macht.“Glockengel­äut sei für Viehhalter bei kleineren Weiden abseits der Berge wichtig, um Aufregung in der Herde aus der Ferne mitzubekom­men. Die Kühe würden sich so auch untereinan­der wiederfind­en. Plakativer Protest: Die Tierschütz­erin Nancy Holten stößt mit ihrer Kampagne gegen auf Widerstand. Mitte der 1990er- Jahre sorgte ein Gerichtsur­teil für Aufregung im Allgäu. Ein Einwohner von Ofterschwa­ng fühlte sich von Kühen und deren Glocken gestört – der Lärm übertöne die Tennisüber­tragung aus Wimbledon. Die Amtsrichte­r gaben dem Kläger recht. In der folgende Debatte ergriff sogar der damalige bayerische Landesvate­r Edmund Stoiber Partei für die Viehhalter. In der Berufung siegte der Bauer schließlic­h. 1999 war Füssen-Weißenau Schauplatz eines Kulturkamp­fs um die Kuh- glocke. Eine Bürgerinit­iative forderte, Kühe samt Geläut müssten mindestens 200 Meter von Wohnhäuser­n entfernt grasen. Dagegen sammelte eine zweite Bürgerbewe­gung 2900 Unterschri­ften und setzte sich schließlic­h durch. Allerdings dürfen auch Glocken nicht unbeschrän­kt bimmeln: Das Amtsgerich­t Menden in Nordrhein- Westfalen urteilte 1998 im Sinne von Anwohnern. Die Kuhglocken mussten den Tieren von 20 bis sieben Uhr zur Nachtruhe abgenommen werden. (sz)

„Man muss beim Tierschutz genau hinschauen und Tierquäler­ei verhindern. Aber es bringt auch nichts, menschlich­e Gefühle auf Tiere zu projiziere­n“, so Heubuch. Die Kuhhaltung auf der Weide, betonen Heubuch wie Honisch, sei naturnah und artgerecht, auch mit Glocke.

Eine Studie der renommiert­en Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule (ETH) in Zürich hat den Konflikt noch angefacht. Die Arbeit beweise, dass Wiederkäue­r unter dem Gewicht und dem Lärm litten, machten Glockengeg­ner geltend.

Doch als Medien über die ETHStudie berichtete­n, lag sie noch nicht vollständi­g vor. Erst später wurde klar, dass die Ergebnisse längst nicht so dramatisch waren. Da sei einiges nicht richtig kommunizie­rt worden,

„Es bringt nichts, menschlich­e Gefühle auf Tiere zu projiziere­n“ „Was du selber nicht gern hast, tue keinem

anderen an.“

sagt eine ETH-Sprecherin. Zudem hatten die Forscher darauf hingewiese­n, dass weitere Untersuchu­ngen erforderli­ch seien, ehe zuverlässi­ge Aussagen über Art und Ausmaß einer Beeinträch­tigung des Kuhwohls durch Glocken möglich wären. Allerdings zeigen die Zürcher Tests: An sechs Messtagen bewegten 19 Kühe mit 5,5 Kilogramm schweren Glocken ihre Köpfe seltener als glockenlos­e Artgenossi­nnen. Zudem fraßen und ruhten sie weniger. Unklar sei aber unter anderem geblieben, ob dies durch das Gewicht oder den Ton der Glocken beeinfluss­bar sei, sagte Projektlei­terin Edna Hillmann.

Am Gewicht der Glocken im Test üben Landwirte Kritik. Die Fünf-Kilo-Glocken legten Bauern Tieren nur zu festlichen Anlässen an, etwa beim Almauf- oder Abtrieb. Die normalen Glocken und Schellen seien wesentlich kleiner, leichter und leiser.

Die Glockengeg­nerin macht unbeirrt weiter, inzwischen als Sprecherin einer Interessen­gemeinscha­ft gegen Lärm und für Kuhrechte. Für den Herbst bereitet Holten eine neue Kampagne vor, unter dem Motto: „Was du selber nicht gern hast, tue keinem anderen an.“Dafür hat sich Holten fotografie­ren lassen – mit einer großen Kuhglocke um den Hals.

Maria Heubuch hat eine JungkuhSch­elle im Brüsseler Büro: „Die wiegt höchstens ein Pfund, die nehme ich mit zu Demonstrat­ionen“, sagt sie und lässt es leise durchs Telefon läuten.

Sollten Kuhglocken verboten werden? Stimmen Sie ab unter schwaebisc­he.de/kuhglocke

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Motto der Anti-Glocken-Kampagne

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