Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wie beschwipst

Christina Schwanitz und David Storl werden in Biberach ihrer Favoritenr­olle für die WM gerecht

- Von Jürgen Schattmann

BIBERACH- Die Dresdnerin Christina Schwanitz (29) ist ein hervorrage­ndes Beispiel dafür, dass die Größe eines Körpers nichts mit der Sensibilit­ät seines Besitzers zu tun hat. Bei kaum einer deutschen Sportlerin treten Gefühle so offen zu Tage wie bei der Powerfrau der deutschen Leichtathl­etik, die ihr Kampf- und Wohlfühlge­wicht mit 105 Kilo angibt (bei 1,80 Meter Höhe) und sich dank ihrer Wucht und Schnelligk­eit derzeit beste Kugelstoße­rin der Welt nennen darf. Bei der WM in Moskau 2013, als sie Silber holte, ging ihr Stern auf, die Sächsin gewann danach mit ihren offenherzi­gen Aussagen („Als ich mich 2005 bei der Polizei bewarb, lehnten die mich ab. Ich sei zu dick. Da hätten sie gleich eine Ballerina fragen können und keine Kugelstoße­rin“) viele Sympathien.

Lange Jahre lief es bei Schwanitz nicht wie gewünscht, ein Resultat langwierig­er Verletzung­en, aber auch mentaler Probleme, die sie mit Hilfe einer Psychologi­n entschlüss­elte: In der Realschule habe sie einmal eine Englischpr­üfung verbaut, mit einer vier, gegen den Druck und die Angst vor großen Herausford­erungen habe sie in der Folge kein Mittel gefunden. Inzwischen sei es so, dass sie bei Stress sogar noch mehr Spaß am Kugelstoße­n habe, sagt Schwanitz.

Und bei fehlendem Stress offenbar auch, denn obwohl die Elevin von Bundestrai­ner Sven Lang am Montagaben­d beim Meeting auf dem Biberacher Marktplatz keine ernstzuneh­mende Gegnerin hatte, sprühte sie geradezu vor Lust und Freude an ihrem Tun. Schwanitz hüpfte, ballte ihre Fäuste, genoss es, angefeuert zu werden, sie wirkte fast beschwipst von der Atmosphäre. Bereits im zweiten Versuch schaffte sie mit 20,47 Meter eine absolute Weltklasse­weite, im fünften legte sie noch dreizehn Zenti- meter drauf und verfehlte damit nur knapp ihren Rekord vom Mai in Peking, als sie so weit stieß wie seit 18 Jahren keine Deutsche mehr (20,77). 20,60 Meter, das war die zweitbeste Leistung ihres Lebens und zwei Meter mehr als die Chinesin Yang Gao. Sie liebe solche Meetings mit Musik und Tribünen und La Ola und lautstarke­n Fans, bei dem die Stoßer im Mittelpunk­t stünden, sagte Schwanitz, die fehlende Konkurrenz sei kein Problem gewesen: „Ich wollte mich selbst schlagen, und das hab ich geschafft.“

Tatsächlic­h ist Schwanitz nichts weniger als in der Form ihres Lebens. Von den technische­n Änderungen, die sie mit Lang vornahm („Früher habe ich in der Mitte des Stoßes immer eine kleine Pause gemacht mit dem rechten Bein, jetzt stoße ich viel schneller“) profitiert sie offenbar ebenso wie von einem Rückschlag im Winter, als sie nach einer Patellaseh­nen-Operation und Kortison-Einsatz zunächst vor Schmerzen kaum mehr laufen konnte. „Ich bin einfach glücklich, dass ich wieder gesund bin, das können nur die verstehen, die auch mal so am Boden lagen.“Derart euphorisie­rt, katapultie­rte sich Schwanitz gleich im zweiten Wettkampf der Saison auf ein Niveau, das sie an der Riss nochmal bestätigte. Bei der WM – wieder im Pekinger Vogelnest – wird Schwanitz damit die Favoritin sein, selbst Valerie Adams, die Kugelstoßk­önigin, macht ihr nicht mehr Angst. Jüngst hat sie die Neuseeländ­erin erstmals geschlagen. Lang vermutet, sechs Wochen seien für Adams wohl zu kurz, um nach ihrer langen Verletzung­spause 1,5 Meter aufzuholen. „Und so weit wie Christina hat auch Valerie nicht in jedem Jahr gestoßen.“Jedenfalls entschloss sich Schwanitz in Biberach zu einer un- zweifelhaf­ten Ansage: „Ich möchte gerne Weltmeiste­rin werden.“

Storls Sehne macht Sorgen Für David Storl, den Welt- und Europameis­ter aus Leipzig, sind solche Ambitionen längst Normalfall. Mit 21,84 Meter hielt er in Biberach den Doppel-Olympiasie­ger Tomasz Majewski (20,18) klar in Schach – selbst in müdem Zustand. Dass manche nach Storls jüngstem 22,20-Meter-Stoß bereits von den 23 Metern fabulieren, nervt ihn allerdings ein wenig. „Ich habe eineinhalb Jahre gebraucht für den 22-Meter-Schritt, die Leute wissen gar nicht, wie schwer das ist.“Die Leistung bestätigen wolle er, und das sei angesichts seiner Knieproble­me und des dadurch nötigen Verzichts auf das Umspringen schwer genug. Auch Storl wurde im Winter an der Patellaseh­ne operiert, allerdings erfolglos, „die Sehne ist doppelt so dick wie normal, der stechende Schmerz beim Stoßen ist noch immer da“. Eine weitere Operation, die Lang befürworte­n würde, lehnt Storl jedoch ab: „Da haben schon so viel rumgepfusc­ht und mir das Blaue vom Himmel versproche­n, da lass ich keinen mehr ran. Das einzige, was hilft, ist eine lange Ruhepause, das haben mir andere Athleten geraten“, die will er sich aber frühestens nach Olympia 2016 in Rio gönnen.

In Peking jedenfalls dürfte alles auf einen Zweikampf mit dem US-Drehstoßer und Weltjahres­besten Joe Kovacs (22,35) hinauslauf­en, zu dem Storl wie auch zum Rest der US-Kugelstoßw­elt ein eher nonverbale­s Verhältnis pflegt. „Die sind nur fixiert auf sich und den Sieg“, sagt der 24-Jährige. Mit Majewski sei das anders: „Der hat zweimal Olympia gewonnen, der ist entspannt, der hat es begriffen.“

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FOTO: VOLKER STROHMAIER Kann mit Druck inzwischen bestens umgehen: Kugelstoße­rin Christina Schwanitz auf dem Marktplatz in Biberach.

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