Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mutmacher aus dem gallischen Dorf
So wie in Silverstone könnte Formel 1 funktionieren: Action, Spannung, sinnvolle Rabatte, 140 000 Zuschauer
SILVERSTONE (dpa/SID/sz) - Nach dem Rennspektakel von Silverstone hofft die Formel 1 auf ein Ende ihrer Image-Krise. „Manchmal passieren die Dinge zum richtigen Zeitpunkt“, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Vor der Rekordkulisse von 140 000 Zuschauern an der Strecke hatte der neunte Saisonlauf Action wie lange nicht geboten. Zuletzt war immer wieder fehlende Spannung beklagt, waren vermehrt Reformen gefordert worden. „Ich denke, diese Ansichten sind immer noch zulässig. Aber wir dürfen nicht überreagieren und behaupten, alles sei falsch“, sagte WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton. Der Brite hatte den von vielen Wendungen geprägten Grand Prix am Sonntag gewonnen. Mit einer Safety-Car-Phase, überraschenden Spitzenreitern und einer Regenlotterie – very british! – am Ende lieferte das Rennen beste Unterhaltung.
RTL legt erneut leicht zu Auch bei den deutschen Fernsehzuschauern steigt das Interesse an der Formel 1 offenbar wieder an. RTL verzeichnete bei seiner Live-Übertragung durchschnittlich 4,66 Millionen Zuschauer (im Vorjahr 4,21). Sie sorgten nach Sender-Angaben für ei- nen Marktanteil von 30,2 Prozent. Bereits bei den Übertragungen der Rennen aus Kanada und Österreich hatte RTL verbesserte Werte registriert, nachdem es in der Vorsaison die schlechtesten Quoten seit 20 Jahren zu vermerken galt. „Wir sind nicht zu weit weg vom Ziel“, sagte der zweimalige Weltmeister Hamilton. „Hoffentlich gibt es noch mehr solcher Rennen.“
Mag sein – auch wenn sich bereits zum übernächsten WM-Lauf in SpaFranchorchamps das Reglement ändert: Elektronische Starthilfen sind dann verboten, ein Schritt, der die Chancengleichheit erhöhen und den Faktor Mensch – Fahrers Können – wichtiger machen soll. Noch intensivere Rennen also sind zu erwarten, auch wenn der zweitplatzierte Nico Rosberg am Sonntagabend fast trotzig in die Runde fragte: „Ist die Formel 1 nicht spannend? Haben wir nicht einen geilen Sport?“
Die Medienvertreter dachten wohl ähnlich, der „Guardian“bezeichnete Weltmeister Hamilton anderntags als den „fliegenden Doktor der Formel 1, der den gesamten Sport aus dem Krankenbett gehoben und ihn in die Sonne vor eine bewundernde Menge gesetzt“habe. Die „Daily Mail“sah zudem „die perfekte Antwort auf die Kritik“der vergangenen Monate. Noch bei der obliga- torischen Pressekonferenz am Freitag hatten sich Teamchefs und Journalisten ein denkwürdiges, minutenlanges Wortgefecht geliefert, das irgendwann vom Moderator unterbrochen werden musste. Ausnahmsweise herrschte dabei Einigkeit unter den Vertretern der Rennställe – ihr kollektiver Vorwurf lautete: „Ihr schreibt unseren Sport kaputt!“
Hamilton sieht’s differenziert In all dem Jubel über (s)eine gute Show räumte zwei Tage später aber ausgerechnet Sieger Hamilton ein, dass „die Kritiker nicht in jeder Hinsicht falsch liegen“, dass es viel Luft nach oben gebe. Der englische Grand Prix sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Schließlich ist Silverstone, das Zentrum des britischen Motorsports, ohnehin so etwas wie das gallische Dorf der Formel 1, zudem sorgten die Organisatoren auch mit sinnvollen Rabatten für ein volles Haus. Ob das Nachahmer findet? Finden kann, wenn Rennveranstalter gemeinhin Unsummen an „FahrerfeldMiete“an Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone zahlen müssen?
Silverstone könnte ein Mutmacher gewesen sein. Immerhin. Zum richtigen Zeitpunkt.