Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Einst Tabu, heute eine Erfolgsstory
Wie deutsche Produkte sich trotz Widerständen auf dem israelischen Markt etablieren konnten
- Süßigkeiten waren seit jeher ihre Spezialität. Die Familie Leiman hat sie bereits in ihrem Schokoladengeschäft in der Alexanderstraße verkauft, bevor sie 1935 in das Mandatsgebiet Palästina auswandert. „Mein Vater konnte den nahenden Krieg riechen“, erinnert sich Baruch Leiman, der damals gerade acht Jahre alt war. Seine Nase trog ihn nicht. Dank ihr brachte sich der große Teil seiner Angehörigen rechtzeitig in Sicherheit, bevor die Nazis mit der Deportation deutscher Juden begannen.
Den richtigen Riecher hat der Senior der Familie auch, als er Mitte der fünfziger Jahre einen neuen Laden im Herzen von Tel Aviv auf der Allenby Straße 170 eröffnet. Denn er wagt, was damals in Israel verpönt ist, nämlich in seinem Sortiment Schokoladen aus deutschen Landen zu führen.
Manche der Süßwaren-Marken sind noch aus der Vorkriegszeit bekannt. Nicht nur die Jeckes, die aus Deutschland eingewanderten Juden, kommen und kaufen. Kaum ein Kunde habe daran Anstoß genommen, meint der heute 88-jährige Baruch Leiman im Rückblick, dass neben den selbst gemachten Pralinen, RitterSport-Tafeln und Storck-Riesen-Karalmellbonbons angeboten werden. Offenbar schätzen sie die Qualität der Produkte, jedenfalls solange nicht auf die deutsche Herkunft verwiesen wird. So ergeht es seinerzeit auch den ersten anderen Erzeugnissen „made in Germany“, die auf den israelischen Markt gelangen, nachdem die Regierung unter David BenGurion 1954 das bis dahin zum Schutz der heimischen Wirtschaft geltende Importverbot aufgehoben hat. Als Israel und Deutschland 1965 diplomatische Beziehungen aufnehmen, kommen immer mehr deutsche Konsumgüter ins Land.
Besonders beliebt in der israelischen Damenwelt sind deutsche Haarpflegemittel. Die Firma Wella produziert bereits ab 1958 in einem eigenen Werk in Jerusalem – eines der allerersten Kooperationsunternehmen – die Haarfarbe Koleston. Ihre Erfolgsstory hat nicht zuletzt mit ihrem israelisierten Namen zu tun.
Ablehnung blieb lange wach
Im israelischen Volk überwiegt dennoch, kaum zwanzig Jahre nach dem Holocaust, die Ablehnung alles Deutschen. Boykottaufrufe sind populär. Das geht so weit, berichtet Doron Arazi, Historiker aus Tel Aviv, dass Parlamentsabgeordnete sich „vehement weigern, deutsche Bleistifte vom Parlament anzunehmen“. Arazi hat eine historische Ausstellung konzipiert, wie deutsche Produkte gegen alle Widerstände sich in Israel durchsetzten. Erstmals zu sehen war sie vergangene Woche beim deutsch-is- raelischen Innovationstag in Tel Aviv. Nächstes Jahr soll sie auch in Deutschland gezeigt werden. Sie macht deutlich, wie das Tabu mit dem Generationenwechsel ganz allmählich bröckelt. Aber noch bis in die 80er-Jahre hinein versuchen israelische Importeure deutscher Waren das Ursprungsland zu verschleiern. So wird der VW-Passat als „europäisch, hübsch und still“angepriesen. Auf die Herkunft weist das Werbeplakat eher sublim mit einer abgebildeten deutschen Familienidylle hin, so Arazi: „Alle sind ganz blond.“
Mit der Marke VW, einst von der NS-Propaganda gefeiert, assoziierten viele Israelis lange Jahre den „Führerwagen“. Felix Burion, inzwischen 91jährig, ließ sich davon aber nicht abhalten, 1960 den ersten VW-Händlerbetrieb samt Service und Reparaturwerkstatt in Tel Aviv zu eröffnen. Selbst die Ehefrau von Israels legendärem Verteidigungsminister Mosche Dajan sei bei ihm Kundin gewesen und dazu einige Offiziere der Armee, erzählt er stolz.
Der erste Werbeslogan für den „Käfer“in Israel – „mit einem Volkswagen gibt es keine Probleme“– spielte ja auch nonchalant über ideologische Vorbehalte hinweg. Die gab es trotzdem. So weigerte sich die Nachrichtensprecherin Jael Ben-Jehuda 1966 im israelischen Staatsrundfunk diesen Werbespruch zu verlesen. „Aus Gewissensgründen“, wie sie erklärte. Der Eklat darum erreichte das israelische Parlament, die Knesset.
Erst 1986 wagte die Elektrofirma AEG ihre Geräte mit „made in Germany“zu bewerben. Für die Israelis zählte Nutzen und Qualität zunehmend mehr als die alte Einstellung, nichts aus dem Land der Täter zu ak- zeptieren. Dennoch gibt es Ausnahmen wie den Oberbefehlshaber der Luftwaffe, der vor einem Jahr ein deutsches Auto als Dienstwagen zurückgewiesen haben soll. Davon unangefochten blüht heutzutage die deutsch-israelische Wirtschaftskooperation. Zahlreiche bekannte deutsche Unternehmen haben Partner in Israel.
Und aus dem familiären SchokoLaden ist längst der Großbetrieb L & S (Leiman Schlussel) geworden. Das Unternehmen beschäftigt heute 500 Angestellte im Warenlager in Javne. Sohn und Neffe von Baruch Leiman führen inzwischen die Geschäfte. Angegliedert ist das Firmenmuseum, das an die schwierigen Anfänge erinnert.