Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bum-Bum-Boris
Nach einem fürchterlichen Massensturz fehlt Martin diesmal nur eine Sekunde zu Gelb – Froome geht in Führung
Heute vor 30 Jahren eroberte Boris Becker Wimbledon
- Gezeichnet von den Strapazen an der berüchtigten „Mur von Huy“lehnte Tony Martin am Absperrgitter und schüttelte immer wieder mit dem Kopf. Wenige Meter weiter wurde Chris Froome von einer zwölf Mann starken Eskorte zur Übergabe des Gelben Trikots geleitet. „Jetzt habe ich das Trikot um eine Sekunde verloren, aber mit den Stürzen von Fabian Cancellara und Tom Dumoulin wäre es nicht das Gleiche gewesen“, sagte Martin mit Blick auf den schlimmen Massensturz 55 Kilometer vor dem Ziel bei Tempo 42.
Der dreimalige Zeitfahrweltmeister hat bei der 102. Tour de France das Pech gepachtet. Am ersten Tag trennten ihn fünf Sekunden vom ersehnten ersten „Maillot Jaune“seiner Karriere, am Sonntag waren es drei, nun ist es eine mickrige Sekunde. Martin trug die nächste Enttäuschung nach der 3. Etappe über 159 Kilometer von Antwerpen nach Huy mit Fassung und gab sich weiter kämpferisch: „Das war heute kein Tiefschlag. Ich bin froh, dass ich nicht gestürzt bin. Ich hoffe auf die nächste Etappe, dann mit einem rich- tigen Kampf.“Mit seinen Beinen war Martin nämlich nicht zufrieden am Montag. „Normalerweise verliere ich nicht so viel Zeit“, sagte er zum Finale am bis zu 20 Prozent steilen Schlussanstieg, an dem er 40 Sekunden auf Tagessieger Joaquim Rodriguez (Katusha) einbüßte.
Aber besser Sekundenpech als Sturzpech wie Martins direkte Konkurrenten im Kampf um Gelb, die bei der Karambolage verletzt wurden und teilweise aufgeben mussten. Cancellara überschlug sich im Gelben Trikot im hohen Bogen, der Schweizer erreichte das Ziel mit 11:43 Minuten Rückstand. Dumoulin aus dem deutschen Giant-Alpecin-Team musste mit ausgekugelter Schulter aufgeben. Mehr als 20 Fahrer waren zu Fall gekommen. Simon Gerrans, der frühere Mailand-Sanremo-Sieger, brach sich das Handgelenk. Auch der Auslöser des Sturzes, der Franzose William Bonnet, konnte nicht mehr weiterfahren. Der deutsche Meister Emanuel Buchmann aus Ravensburg war heilfroh, durchgekommen zu sein: „Das sah böse aus. Ich konnte gerade noch ausweichen.“
Das Rennen wurde von TourChef Christian Prudhomme neutralisiert. Nach einer Pause von etwa zehn Minuten ging es 50 Kilometer vor dem Ziel weiter. Es war erst die fünfte Neutralisation in der 112-jährigen Geschichte der Rundfahrt. „So etwas habe ich noch nie gesehen, viel Blut und Schmerzen hier – das ist der schlimme Teil unseres Sports“, twitterte Teammanager Oleg Tinkow. Die nächsten Grausamkeiten folgen heute in der „Hölle des Nordens“. 13,3 der 223 Kilometer langen Etappe von Seraing nach Cambrai führen über Kopfsteinpflaster.