Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gespaltenes Volk
Abstimmung verursacht Riss der griechischen Gesellschaft bis in die Familien hinein
Renzi: Wieder mit Griechenland reden
ROM (AFP) - Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hat sich für die rasche Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Europa und Athen nach dem Referendum ausgesprochen. „Wir müssen wieder anfangen, miteinander zu sprechen – niemand weiß dies besser als Angela Merkel“, sagte Renzi der Zeitung „Il Messaggero“am Sonntag. Zugleich plädierte er für Solidarität mit den Griechen in der Krise: „Wenn du einen Rentner vor einer Bank weinen siehst, begreifst du, dass ein für die Welt und seine Kultur so wichtiges Land wie Griechenland nicht so enden darf.“
Dringlichkeitssitzung in Spanien nach Referendum
MADRID (dpa) - Im früheren Krisenland Spanien hat Ministerpräsident Mariano Rajoy eine Dringlichkeitssitzung anberaumt. Die Kommission für wirtschaftliche Angelegenheiten soll sich am Montag treffen. Dabei solle das Ergebnis der Volksabstimmung analysiert werden, teilte die konservative Regierung am Sonntagabend in Madrid mit. Rajoy hat die Hoffnung geäußert, dass Griechenland auch nach dem Referendum über die Sparpolitik weiter im Euroraum bleibt. „Griechenland ist Teil der Europäischen Union und auch der Eurozone und ich hoffe, es bleibt dort“, sagte er in einer Rede vor dem Politikinstitut Faes am Sonntag. Zugleich verwies er jedoch auf die Solidarität der Euroländer und pochte auf die Einhaltung der Regeln des gemeinsamen Währungsraums.
Frankreichs Rechtsradikale nennen Nein eine Lektion
PARIS (dpa) - Die Vorsitzende der französischen rechtsradikalen Front National (FN), Marine Le Pen, hat das Nein der Griechen beim Referendum als eine „schöne und große Lektion in Demokratie“bezeichnet. „Die Völker sind wieder da“, schrieb sie am Sonntag im Kurznachrichtendienst Twitter. Der stellvertretende FN-Vorsitzende Florian Philippot sagte im französischen Fernsehsender BFM-TV, dies sei der „Anfang vom Ende der Eurozone“.
Schwedens Ex-Premier nennt Ergebnis „tragisch“
STOCKHOLM (sz) - Der frühere schwedische Regierungschef und Außenminister Carl Bildt empfindet das Ergebnis der Volksabstimmung als eine Tragödie. „Eine klare Mehrheit der Griechen will nicht die Hilfe, die von anderen Euroländern angeboten wurde. Das ist deren Wahl, aber sie ist tragisch“, schrieb der 65-jährige Politiker im sozialen Netzwerk Twitter. ATHEN (dpa) - Alexis Tsipras lässt sich bereits bei der Stimmabgabe feiern wie ein Popstar. Dabei weiß der griechische Ministerpräsident zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass er der große Gewinner des Referendums sein wird. Kaum jemand in Griechenland hatte damit gerechnet, dass die Bürger des von der Staatspleite bedrohten Landes der Sparpolitik eine derart klare Absage erteilen und die Geldgeber vor den Kopf stoßen würden.
Die Griechen ignorierten die Warnungen von EU-Politikern, die bei einem „Nein“in der Volksabstimmung ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone prophezeit hatten. Vielmehr stärkten sie ihrem Regierungschef überraschend deutlich den Rücken.
Unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Schätzungen strömen Anhänger des regierenden Linksbündnisses Syriza in Athen zusammen und feiern den Ausgang des Referendums.
Die kurzfristige Ansetzung des Referendums hatte Tsipras in anderen EU-Staaten viel Kritik eingebracht. In Griechenland hatte er die etablierten Parteien der Konservativen und der Sozialisten gegen sich aufgebracht, ebenso wie fast alle großen Medien des Landes.
Allein gegen alle Tsipras schien allein gegen alle zu kämpfen. Aber er verstand es, sich den Wählern nicht als Quertreiber, sondern als Vorkämpfer eines neuen Europas zu präsentieren. „Ich bin sicher, dass wir für alle Völker Europas einen neuen Weg öffnen werden“, verkündet er auf einem Podest, das im Wahllokal aus Paletten für ihn errichtet worden war.
Ein Teil der Griechen kann den Optimismus des Ministerpräsidenten nicht nachvollziehen. Die Tsipras-Gegner befürchten, dass dessen Linie des „Oxi“(Nein) zu den Forderungen der Gläubiger das Land aus der Eurozone hinausführen und ins Chaos stürzen werde. „Ich möchte nicht in die 60er und 70er Jahre zurückgeworfen werden“, sagt eine Athener Rentnerin auf dem Weg ins Wahllokal. Eine Begleiterin pflichtet ihr bei: „Ich will weiterhin zu Europa gehören.“
Gespaltenes Land Das Referendum hat die Griechen in zwei Lager gespalten. Die Teilung reichte zuweilen bis in die Familien hinein. „Kann ich Dich vielleicht im letzten Moment noch dazu bewegen, doch mit Ja zu stimmen?“, ruft ein Athener seiner Gattin im Stimmlokal zu. Ihre Antwort kommt prompt: „Oxi“.
Bei der Abstimmung gerät für viele Griechen in Vergessenheit, dass das Referendum keinen Ausweg aus der dramatischen Krise weist. In diesem Punkt waren sich ausnahmsweise auch die Kommentatoren der TVSender einig. „Die Probleme des Landes werden dieselben bleiben, egal wie die Abstimmung ausgeht“, meinten sie unisono.
Seit einer Woche sind die Banken geschlossen. Die Griechen können an den Geldautomaten von ihren Konten pro Tag nur 60 Euro abheben. Die Rentner müssen mit 120 Euro in der Woche auskommen. „Wann werden die Banken wieder öffnen?“, fragen die Griechen sich besorgt. „Wird es demnächst überhaupt kein Geld mehr aus den Automaten geben?“
Angst um Sparguthaben In der Bevölkerung machte sich zudem die Angst breit, Bankguthaben könnten – ähnlich wie auf Zypern – gekürzt werden, um Geldhäuser vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Die Regierung versucht, solche Be- fürchtungen zu zerstreuen. Sie bestritt, dass es Pläne für eine Kürzung von Guthaben gebe. Die Banken sollten am Dienstag wieder geöffnet werden, versicherte Finanzminister Gianis Varoufakis. Er fügte allerdings hinzu, dass dazu eine Einigung mit den Geldgebern erforderlich sei.
Die von der Regierung verhängten Kapitalverkehrskontrollen schaden schon jetzt der Wirtschaft. Besonders betroffen ist der Tourismus, die wichtigste Stütze der Volkswirt- schaft. Die Hoteliers beklagten einen drastischen Rückgang der Buchungen – vor allem aus dem Inland.
Die Lebensmittelhersteller warnen, dass in den nächsten Tagen bestimmte Nahrungsmittel knapp werden könnten. Dies dürfte vor allem für Fleisch- und Milchprodukte gelten, die Griechenland größtenteils aus dem Ausland bezieht und die die Importeure wegen der Zahlungsbeschränkungen nicht mehr beschaffen können.