Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Unser Sohn war das Opfer eines Pädophilen“

Die betroffene­n Eltern fühlen sich im Stich gelassen und wollen ein Netzwerk für Betroffene aufbauen

- Von Wolfgang Heyer redaktion. waldsee@ schwaebisc­he. de

KREIS RAVENSBURG - Eigentlich sollte es ein netter Geburtstag­sausflug in ein regionales Thermalbad werden. Doch für den elfjährige­n Julius Fenk (Name von der Redaktion geändert) aus dem nördlichen Landkreis war es ein Tag mit Folgen: Ein Pädophiler lockte ihn unter einem Vorwand in die Umkleideka­bine und brachte ihn dazu, sich auszuziehe­n. Was dann geschah, wissen nur die Beteiligte­n. Der Polizei gegenüber sagte der Elfjährige aus, dass er die Kabine vor dem Äußersten verlassen durfte. Seiner Schwester vertraute er sich laut den Eltern vor Kurzem an und berichtete von einem Übergriff. Weil für die Staatsanwa­ltschaft gleichwohl kein Versuch des sexuellen Missbrauch­s nachgewies­en werden konnte, stellte sie das Ermittlung­sverfahren jüngst ein. Ganz zum Unverständ­nis der Eltern, die Widerspruc­h einlegten und sich im Stich gelassen fühlen.

Massage in der Umkleideka­bine „Unser Sohn war das Opfer eines Pädophilen“, erklärt Vater Fenk im Gespräch mit der SZ und kann seine Tränen nur schwer zurückhalt­en. Seine Frau kann sich noch sehr genau an den Moment im Januar erinnern, als ihr Sohn ihr nur wenige Stunden nach dem Vorfall von seinem belastende­n Erlebnis berichtet. Erst habe der Mann nur nett mit dem Kind im Wasser geplanscht und sein Vertrauen gewonnen, ehe er zum gegenseiti­gen Massieren in der Umkleideka­bine überging. „Unser Sohn war mit der Situation schlicht überforder­t, hat sich nicht getraut nein zu sagen und gemacht, was der Mann von ihm wollte“, berichten die Eltern immer noch fassungslo­s und Mutter Fenk ergänzt: „Ich war richtig wütend, als ich das gehört habe.“Sofort verständig­t die Familie die Polizei, erstattet Anzeige und gibt den Sachverhal­t in den darauffolg­enden Tagen ausführlic­h bei der Kriminalpo­lizei auf. Wie sich laut den Eltern herausstel­lt, ist Wenn ein Fall des sexuellen Missbrauch­s an einem Kind vorliegt, wird das Jugendamt des Landkreise­s Ravensburg automatisc­h von der Polizei informiert, wie der Pressespre­cher des Landratsam­ts, Franz Hirth, auf SZ- Nachfrage mitteilt: „ Dann wird abgewägt, ob der Täter von außerhalb der Familie der Beschuldig­te polizeibek­annt. Dann geschieht aus Sicht der Familie Tage, Wochen und Monate nichts. Ende April erhalten die Fenks einen Brief von der Staatsanwa­ltschaft. Es ist die Informatio­n über die Einstellun­g des Verfahrens.

„Ich war richtig wütend, als ich das

gehört habe.“

Die betroffene Mutter

„Das kann doch nicht sein. Da ist immer die Rede von Prävention und dann macht man unter so eine Geschichte einfach einen Strich d’runter und fertig? Wir sind gefrustet“, erklärt die Familie den Schritt an die kommt oder von innerhalb.“Sollte es sich um ein Familienmi­tglied handeln, so beleuchte das Jugendamt die Situation vor Ort und ergreift mögliche Maßnahmen. „ Dann nehmen wir Täter oder Kind erst mal raus“, verdeutlic­ht Hirth das Vorgehen. Sollte der Täter kein Familienmi­tglied sein, so greift das Öffentlich­keit und fordert Eltern, die ähnliche Situatione­n erlebt und alleinegel­assen wurden, auf, sich bei ihnen zu melden, um ein Netzwerk aufbauen zu können oder sich zu anonymen Gesprächsk­reisen zu treffen. „Wir wollen keine Angst schüren, aber das Thema doch ins Bewusstsei­n rücken. So ein pädophiler Übergriff kann auch bei uns in Oberschwab­en vorkommen, da sollte man einfach die Augen offen halten.“

Dass ihr Sohn den Polizeibea­mten nicht gleich alles erzählt hat, schließen die Eltern auf Schamgefüh­l zurück. Der Elfjährige habe sich geniert, den Vorfall bis ins letzte Detail zu schildern. Und so hätten sich die Fenks einen Psychologe­n bei der Befragung gewünscht. Auch im Nachhinein wären sie um Hilfe dankbar Jugendamt nicht ein. Die Aufgabe obliege dann der Polizei. Gemäß den Erfahrunge­n des Jugendamts des Landkreise­s Ravensburg befinden sich die Täter häufiger im Familienkr­eis ( circa 70 Prozent der Fälle), als dass es sich um Außenstehe­nde ( circa 30 Prozent) handelt. ( hey) gewesen. „Man merkt, dass unser Sohn jetzt mit der Verarbeitu­ng beginnt und Albträume hat. Wir suchen uns jetzt selbst psychologi­schen Beistand.“

Es ist kein Einzelfall Auf SZ-Nachfrage bei der Staatsanwa­ltschaft, erklärt Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl, dass es sich bei diesem Übergriff um keinen Einzelfall im Landkreis Ravensburg handelt: „Es kommt nicht häufig vor, aber hin und wieder liegt uns so ein Fall vor.“Dabei handle es sich vor allem um Fälle mit geringem Schweregra­d, wie der Staatsanwa­ltsspreche­r sagt: „Das sind beispielsw­eise Beschuldig­te, die Kinder in Bädern beobachtet haben sollen.“Für eine gerichtlic­he Auseinande­rsetzung sei das allerdings zu wenig. Dafür müsse ein Straftatbe­stand erfüllt sein. „Und die Grenze zwischen einer sexuellen Straftat und einer sexuellen Belästigun­g ist oftmals nicht einfach zu ziehen“, erklärt Diehl und führt weiter aus, dass drei Voraussetz­ungen erfüllt sein müssten, um die Schwelle zur Strafbarke­it zu übertreten. Erstens müsse eine objektiv klare sexuelle Tendenz erkennbar sein. Zweitens müsse eine subjektiv sexuelle Motivation des Handelnden ausgemacht werden können. „Und drittens muss eine Er- heblichkei­t im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, also die sexuelle Selbstbest­immung, vorliegen“, zählt Diehl auf. Je nach Intensität, Dauer, Begleitums­tänden und dem persönlich­en Grad der Beteiligte­n könne es sein, das nicht jede sexuell motivierte Berührung die Grenze zur Strafbarke­it überschrei­tet. Bei einem Gerichtsve­rfahren drohen dem Beschuldig­ten gleichwohl zwischen 6 Monaten und 10 Jahren Haft.

Die Schilderun­gen der Geschädigt­en bei den Vernehmung­en sind in so einem Fall besonders wichtig. Entspreche­nd profession­ell gingen die Kräfte der Polizei mit solchen Situatione­n um. „Die Sachbearbe­iter der Kriminalpo­lizei sind in diesem Tätigkeits­feld speziell geschult“, entkräftet Diehl den Vorwurf der Fenks und betont: „Das ist ein ganz schwierige­s Feld und wir sind bemüht – in diesem sensiblen Bereich –, die Sachverhal­te auch aufzukläre­n.“Jeder Fall würde für sich genau geprüft.

Die Vermittlun­g des Kontakts an die betroffene Familie zum Aufbau eines Netzwerks übernimmt die Schwäbisch­e Zeitung und leitet die E- Mail vertraulic­h weiter:

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FOTO: DPA/ UWE ZUCCHI Seit einigen Wochen plagen den Elfjährige­n Alpträume. Die Eltern suchen psychologi­schen Beistand.

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