Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Unser Sohn war das Opfer eines Pädophilen“
Die betroffenen Eltern fühlen sich im Stich gelassen und wollen ein Netzwerk für Betroffene aufbauen
KREIS RAVENSBURG - Eigentlich sollte es ein netter Geburtstagsausflug in ein regionales Thermalbad werden. Doch für den elfjährigen Julius Fenk (Name von der Redaktion geändert) aus dem nördlichen Landkreis war es ein Tag mit Folgen: Ein Pädophiler lockte ihn unter einem Vorwand in die Umkleidekabine und brachte ihn dazu, sich auszuziehen. Was dann geschah, wissen nur die Beteiligten. Der Polizei gegenüber sagte der Elfjährige aus, dass er die Kabine vor dem Äußersten verlassen durfte. Seiner Schwester vertraute er sich laut den Eltern vor Kurzem an und berichtete von einem Übergriff. Weil für die Staatsanwaltschaft gleichwohl kein Versuch des sexuellen Missbrauchs nachgewiesen werden konnte, stellte sie das Ermittlungsverfahren jüngst ein. Ganz zum Unverständnis der Eltern, die Widerspruch einlegten und sich im Stich gelassen fühlen.
Massage in der Umkleidekabine „Unser Sohn war das Opfer eines Pädophilen“, erklärt Vater Fenk im Gespräch mit der SZ und kann seine Tränen nur schwer zurückhalten. Seine Frau kann sich noch sehr genau an den Moment im Januar erinnern, als ihr Sohn ihr nur wenige Stunden nach dem Vorfall von seinem belastenden Erlebnis berichtet. Erst habe der Mann nur nett mit dem Kind im Wasser geplanscht und sein Vertrauen gewonnen, ehe er zum gegenseitigen Massieren in der Umkleidekabine überging. „Unser Sohn war mit der Situation schlicht überfordert, hat sich nicht getraut nein zu sagen und gemacht, was der Mann von ihm wollte“, berichten die Eltern immer noch fassungslos und Mutter Fenk ergänzt: „Ich war richtig wütend, als ich das gehört habe.“Sofort verständigt die Familie die Polizei, erstattet Anzeige und gibt den Sachverhalt in den darauffolgenden Tagen ausführlich bei der Kriminalpolizei auf. Wie sich laut den Eltern herausstellt, ist Wenn ein Fall des sexuellen Missbrauchs an einem Kind vorliegt, wird das Jugendamt des Landkreises Ravensburg automatisch von der Polizei informiert, wie der Pressesprecher des Landratsamts, Franz Hirth, auf SZ- Nachfrage mitteilt: „ Dann wird abgewägt, ob der Täter von außerhalb der Familie der Beschuldigte polizeibekannt. Dann geschieht aus Sicht der Familie Tage, Wochen und Monate nichts. Ende April erhalten die Fenks einen Brief von der Staatsanwaltschaft. Es ist die Information über die Einstellung des Verfahrens.
„Ich war richtig wütend, als ich das
gehört habe.“
Die betroffene Mutter
„Das kann doch nicht sein. Da ist immer die Rede von Prävention und dann macht man unter so eine Geschichte einfach einen Strich d’runter und fertig? Wir sind gefrustet“, erklärt die Familie den Schritt an die kommt oder von innerhalb.“Sollte es sich um ein Familienmitglied handeln, so beleuchte das Jugendamt die Situation vor Ort und ergreift mögliche Maßnahmen. „ Dann nehmen wir Täter oder Kind erst mal raus“, verdeutlicht Hirth das Vorgehen. Sollte der Täter kein Familienmitglied sein, so greift das Öffentlichkeit und fordert Eltern, die ähnliche Situationen erlebt und alleinegelassen wurden, auf, sich bei ihnen zu melden, um ein Netzwerk aufbauen zu können oder sich zu anonymen Gesprächskreisen zu treffen. „Wir wollen keine Angst schüren, aber das Thema doch ins Bewusstsein rücken. So ein pädophiler Übergriff kann auch bei uns in Oberschwaben vorkommen, da sollte man einfach die Augen offen halten.“
Dass ihr Sohn den Polizeibeamten nicht gleich alles erzählt hat, schließen die Eltern auf Schamgefühl zurück. Der Elfjährige habe sich geniert, den Vorfall bis ins letzte Detail zu schildern. Und so hätten sich die Fenks einen Psychologen bei der Befragung gewünscht. Auch im Nachhinein wären sie um Hilfe dankbar Jugendamt nicht ein. Die Aufgabe obliege dann der Polizei. Gemäß den Erfahrungen des Jugendamts des Landkreises Ravensburg befinden sich die Täter häufiger im Familienkreis ( circa 70 Prozent der Fälle), als dass es sich um Außenstehende ( circa 30 Prozent) handelt. ( hey) gewesen. „Man merkt, dass unser Sohn jetzt mit der Verarbeitung beginnt und Albträume hat. Wir suchen uns jetzt selbst psychologischen Beistand.“
Es ist kein Einzelfall Auf SZ-Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft, erklärt Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl, dass es sich bei diesem Übergriff um keinen Einzelfall im Landkreis Ravensburg handelt: „Es kommt nicht häufig vor, aber hin und wieder liegt uns so ein Fall vor.“Dabei handle es sich vor allem um Fälle mit geringem Schweregrad, wie der Staatsanwaltssprecher sagt: „Das sind beispielsweise Beschuldigte, die Kinder in Bädern beobachtet haben sollen.“Für eine gerichtliche Auseinandersetzung sei das allerdings zu wenig. Dafür müsse ein Straftatbestand erfüllt sein. „Und die Grenze zwischen einer sexuellen Straftat und einer sexuellen Belästigung ist oftmals nicht einfach zu ziehen“, erklärt Diehl und führt weiter aus, dass drei Voraussetzungen erfüllt sein müssten, um die Schwelle zur Strafbarkeit zu übertreten. Erstens müsse eine objektiv klare sexuelle Tendenz erkennbar sein. Zweitens müsse eine subjektiv sexuelle Motivation des Handelnden ausgemacht werden können. „Und drittens muss eine Er- heblichkeit im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut, also die sexuelle Selbstbestimmung, vorliegen“, zählt Diehl auf. Je nach Intensität, Dauer, Begleitumständen und dem persönlichen Grad der Beteiligten könne es sein, das nicht jede sexuell motivierte Berührung die Grenze zur Strafbarkeit überschreitet. Bei einem Gerichtsverfahren drohen dem Beschuldigten gleichwohl zwischen 6 Monaten und 10 Jahren Haft.
Die Schilderungen der Geschädigten bei den Vernehmungen sind in so einem Fall besonders wichtig. Entsprechend professionell gingen die Kräfte der Polizei mit solchen Situationen um. „Die Sachbearbeiter der Kriminalpolizei sind in diesem Tätigkeitsfeld speziell geschult“, entkräftet Diehl den Vorwurf der Fenks und betont: „Das ist ein ganz schwieriges Feld und wir sind bemüht – in diesem sensiblen Bereich –, die Sachverhalte auch aufzuklären.“Jeder Fall würde für sich genau geprüft.
Die Vermittlung des Kontakts an die betroffene Familie zum Aufbau eines Netzwerks übernimmt die Schwäbische Zeitung und leitet die E- Mail vertraulich weiter: