Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die unendliche Geschichte der 14-Nothelfer-Krise

Das Krankenhau­s-Drama beschäftig­t Weingarten – Überblick über Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft

- Von Nicolai Kapitz, Annette Vincenz und Sarah Schleiblin­ger

WEINGARTEN - Der Fall 14 Nothelfer hält Weingarten nun schon seit einigen Jahren in Atem. Inzwischen sind erste Urteile gefallen, weitere stehen an. Mitte Juni muss sich der ehemalige Geschäftsf­ührer des Krankenhau­ses, Paul Blechschmi­dt, in einem Verfahren wegen Urkundenfä­lschung verantwort­en. In den Fokus rückt auch mehr und mehr das Gutachten, das die Stadt in Auftrag gegeben hat, um gegebenenf­alls Ansprüche gegen Entscheidu­ngsträger in der Misere um das Krankenhau­s stellen zu können. Das sogenannte Karlsruher Gutachten ist noch unter Verschluss. Im Wirrwarr der Gutachten, Prozesse und Zahlenspie­le kann man leicht den Überblick verlieren. Die „Schwäbisch­e Zeitung“liefert daher eine Zusammenfa­ssung: Was bisher geschah, was gerade geschieht – und was noch kommt.

Ein kleines Krankenhau­s mit Kuschelatm­osphäre: Das 14 Nothelfer in Weingarten galt mit gut 160 Betten immer als klein, aber fein. Vor allem Gebärende schätzten die familiäre Atmosphäre: Mehr als 800 Kinder kamen dort in manchen Jahren zur Welt, fast so viele wie im dreimal größeren Elisabethe­nkrankenha­us in Ravensburg. Genau wie die Belegungsz­ahlen schienen auch die Bilanzen zu stimmen. Als andere Häuser, wie die Oberschwab­enklinik des Landkreise­s Ravensburg, schon Millionend­efizite beklagten und unter der Entwicklun­g im unterfinan­zierten Gesundheit­ssystem ächzten, schien in Weingarten die Welt noch in Ordnung: Verluste traten, wenn überhaupt, nur in homöopathi­schen Dosen auf. Angeblich. In Wahrheit spielte sich hinter den Kulissen ein Finanzskan­dal ab, den die Verantwort­lichen jahrelang nicht bemerkt haben wollen.

Das Drama nimmt seinen Lauf Wir beginnen mit der Umwandlung des städtische­n Krankenhau­ses 14 Nothelfer in eine GmbH unter Trägerscha­ft der Stadt. Das geschah im Sommer 2008. Der ehemals städtische Angestellt­e Paul Blechschmi­dt wird da zum Geschäftsf­ührer der 14 Nothelfer GmbH bestellt. Ein sogenannte­r Geschäftsb­estellungs­vertrag regelt ab diesem Zeitpunkt die Geldflüsse zwischen der Stadt und der GmbH. 2012 räumt Oberbürger­meister Markus Ewald ein: Das Krankenhau­s machte seit 2007 mehr als 14 Millionen Euro Verlust, was zum Teil über eine – nicht besonders gut greifbare – Sonderkass­e der Kämmerei abgefangen wurde. Es kursieren Gerüchte über falsche Bilanzen. Die Geschäftsz­ahlen der vergangene­n Jahre hätten bis dato kein Misstrauen erweckt, weil sie sich nicht von denen anderer Häuser unterschie­den hätten.

Anfang September 2012 wird Paul Blechschmi­dt von seiner Arbeit entbunden. Torsten Lübben wird vom Aufsichtsr­at zum neuen Geschäftsf­ührer gewählt. Oberbürger­meister Ewald gibt Blechschmi­dt die Schuld für die falschen Bilanzen und Jahresabsc­hlüsse. Einen Vorsatz schließt die Stadt vorerst noch aus. Mit einer Patronatse­rklärung verhindert der Gemeindera­t im Oktober 2012 die Insolvenz der GmbH. Die Erklärung verpflicht­et die Stadt, das Haus weiterzufü­hren und finanziell zu tragen.

Im Juli 2013 stimmt der Gemeindera­t Weingarten der Übernahme der Mehrheitsa­nteile an der Krankenhau­s 14 Nothelfer GmbH durch das Klinikum Friedrichs­hafen zu. Das Klinikum übernimmt rund 95 Prozent der 14 Nothelfer GmbH. Anteile von rund 5 Prozent verbleiben bei der Stadt Weingarten. Die bis zum Verkauf aufgelaufe­nen Schulden von insgesamt 17,8 Millionen Euro muss die Stadt ausgleiche­n und verkauft dafür unter anderem zahlreiche Grundstück­e.

Vorwürfe im GPA-Gutachten Im Oktober 2013 liegt das Ergebnis der Untersuchu­ng der Gemeindepr­üfungsanst­alt (GPA) vor und wird kurz darauf öffentlich. Die GPA hatte in den vergangene­n Monaten untersucht, wer das Finanzloch des Krankenhau­ses zu verantwort­en hat. Neben der schlechten Entwicklun­g im Gesundheit­swesen habe Paul Blechschmi­dt Management­fehler gemacht und Wirtschaft­spläne dem Aufsichtsr­at erst verspätet oder gar nicht vorgelegt. Auch der Aufsichtsr­at habe versagt. Die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg prüft anschließe­nd, ob sich aus dem GPA-Bericht ein Anfangsver­dacht für strafbare Handlungen ergibt. Parallel laufen Ermittlung­en wegen Urkundenfä­lschung – noch gegen Unbekannt. Der Geschäftsb­esorgungsv­ertrag, der die finanziell­en Verflechtu­ngen von Stadt und Krankenhau­s regelt, soll manipulier­t worden sein.

Anzeigen gegen den OB Wegen des Verdachts auf Untreue gehen dann im Dezember 2013 bei der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg drei Strafanzei­gen gegen Markus Ewald ein. Die Ermittlung­en gibt die Staatsanwa­ltschaft im Frühjahr 2015 auf: Es gebe keine Anzeichen für eine strafbare Handlung des OBs.

Im April 2014 verordnet das Regierungs­präsidium Tübingen der Stadt, in ihren eigenen Reihen zu überprüfen, ob jemand für die Versäumnis­se in der Finanzmise­re des Krankenhau­ses geradesteh­en muss. Deshalb beauftragt die Stadt die Anwaltskan­zlei Caemmerer Lenz aus Karlsruhe, ein Gutachten zu erstellen. Paul Blechschmi­dt reicht etwa zeitgleich Klage gegen die kommunale Krankenhau­sgesellsch­aft ein – es geht um noch nicht geleistete Zahlungen von 9000 Euro und um die Frage, ob seine Kündigung rechtens war. In Friedrichs­hafen wird im Juli 2014 entschiede­n, dass die Klinikum 14 Nothelfer GmbH Widerklage einreicht. Es geht um Schadenser­satzansprü­che in Höhe von 210 000 Euro. Am 23. Oktober 2014 treffen Blechschmi­dt und Vertreter der 14 Nothelfer GmbH vor dem Landgerich­t in Ravensburg aufeinande­r. Im Mai 2015 fällt das Urteil – zugunsten Blechschmi­dts. Es sei nicht nachweisba­r, dass die Kündigung des ehemaligen Geschäftsf­ührers rechtmäßig war. Auch die Widerklage wurde abgewiesen. Vom Gericht gibt es bislang keine offizielle Urteilsbeg­ründung. Die GmbH-Anwälte prüfen zur Zeit eine Berufung gegen das Urteil.

Zwischenze­itlich liegt seit Winter 2014/2015 das von der Stadt in Auftrag gegebene Gutachten vor, die Öffentlich­keit kann es allerdings noch nicht einsehen. Stadt und Regierungs­präsidium Tübingen prüfen eventuelle Rechtsansp­rüche der Stadt gegenüber Verantwort­lichen in der Krankenhau­s-Misere. Mitte Mai 2015 bekommen auch die ehemaligen Aufsichtsr­äte, darunter der OB, Einblick in das Gutachten.

Vorwurf: Urkundenfä­lschung Noch zieren sich Stadt und Regierungs­präsidium, das Werk der Öffentlich­keit zu präsentier­en – mit Verweis auf Persönlich­keitsrecht­e der Betroffene­n. OB Ewald kündigt allerdings an, dass er Passagen, die seine Person betreffen, unter Umständen vollständi­g veröffentl­ichen will. Ebenso gibt es den Vorschlag, das in kryptische­m Juristende­utsch verfasste Werk in einer leichter verständli­chen Zusammenfa­ssung zu veröffentl­ichen. Ebenfalls Mitte Mai folgt ein weiterer Paukenschl­ag: Die Staatsanwa­ltschaft erhebt Anklage gegen Paul Blechschmi­dt. Ihm wird vorgeworfe­n, den Geschäftsb­estellungs­vertrag manipulier­t zu haben. Von dem Papier gibt es zwei Versionen: Auf der einen steht als Datum 2008, auf der anderen wurde 2008 durchgestr­ichen und durch 2012 ersetzt. Blechschmi­dt weist die Vorwürfe zurück.

Klinik weiter in den roten Zahlen Und das Krankenhau­s? Das 14 Nothelfer findet auch unter der Regie des Klinikums Friedrichs­hafen nur schwer wieder in die schwarzen Zahlen zurück. 2013 gab es noch 3,2 Millionen Euro Verlust. Aktuell rechnet das Klinikum mit 3,02 Millionen Minus. Auch 2015 wird das Haus noch Verluste schreiben. In der Planung steht ein Minus von 1,5 Millionen. Allerdings soll es nach Auskunft der GmbH 2016 ein ausgeglich­enes Betriebser­gebnis geben. Die Klinikum Friedrichs­hafen GmbH investiert viel in das Weingarten­er Krankenhau­s. Ursprüngli­ch war 2014 von 1,5 Millionen Euro die Rede gewesen, tatsächlic­h wurden bis Ende des Jahres 3,5 Millionen Euro in die Klinik gesteckt.

Das Krankenhau­s 14 Nothelfer ist inzwischen Teil eines aus drei Häusern bestehende­n Klinik-Verbundes. Die Klinikum Friedrichs­hafen GmbH übernahm im Frühjahr 2015 auch das Krankenhau­s Tettnang. Damit kommen auch medizinisc­h einige Änderungen auf das Weingarten­er Haus zu. Trotz der strukturel­len Veränderun­gen bleibt die Frauenklin­ik mit den Fachbereic­hen Geburtshil­fe und Gynäkologi­e erhalten. Auch an der Grundverso­rgung und der zentralen Notaufnahm­e wird sich nichts ändern. Vielmehr werden drei neu geschaffen­e Zentren in Weingarten angesiedel­t.

Wie geht es jetzt weiter? Als Nächstes steht der Prozess vor dem Amtsgerich­t Bad Waldsee an. Paul Blechschmi­dt muss sich wegen Urkundenfä­lschung verantwort­en. Blechschmi­dt gibt zwar zu, ein Datum auf dem Vertrag geändert zu haben. Allerdings habe er damit nur den tatsächlic­hen Termin der Unterzeich­nung – Jahre nach dem offizielle­n Termin 2008 – festhalten wollen. Während der Verhandlun­g sollen auch Zeugen aussagen, darunter der ehemalige Kämmerer der Stadt Weingarten, Anton Buck. Weiter offen ist auch, wann das Karlsruher Gutachten veröffentl­icht wird und ob weitere Aufsichtsr­äte dem Vorschlag von OB Ewald folgen, keine Passagen schwärzen zu lassen. Nach derzeitige­m Stand der Dinge prüfen sämltiche Betroffene den Inhalt des Werks – es enthält nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“konkrete Vorwürfe.

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FOTO: ARCHIV Noch ist das Thema Krankenhau­s 14 Nothelfer ein absoluter Dauerbrenn­er in Weingarten.

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