Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die unendliche Geschichte der 14-Nothelfer-Krise
Das Krankenhaus-Drama beschäftigt Weingarten – Überblick über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
WEINGARTEN - Der Fall 14 Nothelfer hält Weingarten nun schon seit einigen Jahren in Atem. Inzwischen sind erste Urteile gefallen, weitere stehen an. Mitte Juni muss sich der ehemalige Geschäftsführer des Krankenhauses, Paul Blechschmidt, in einem Verfahren wegen Urkundenfälschung verantworten. In den Fokus rückt auch mehr und mehr das Gutachten, das die Stadt in Auftrag gegeben hat, um gegebenenfalls Ansprüche gegen Entscheidungsträger in der Misere um das Krankenhaus stellen zu können. Das sogenannte Karlsruher Gutachten ist noch unter Verschluss. Im Wirrwarr der Gutachten, Prozesse und Zahlenspiele kann man leicht den Überblick verlieren. Die „Schwäbische Zeitung“liefert daher eine Zusammenfassung: Was bisher geschah, was gerade geschieht – und was noch kommt.
Ein kleines Krankenhaus mit Kuschelatmosphäre: Das 14 Nothelfer in Weingarten galt mit gut 160 Betten immer als klein, aber fein. Vor allem Gebärende schätzten die familiäre Atmosphäre: Mehr als 800 Kinder kamen dort in manchen Jahren zur Welt, fast so viele wie im dreimal größeren Elisabethenkrankenhaus in Ravensburg. Genau wie die Belegungszahlen schienen auch die Bilanzen zu stimmen. Als andere Häuser, wie die Oberschwabenklinik des Landkreises Ravensburg, schon Millionendefizite beklagten und unter der Entwicklung im unterfinanzierten Gesundheitssystem ächzten, schien in Weingarten die Welt noch in Ordnung: Verluste traten, wenn überhaupt, nur in homöopathischen Dosen auf. Angeblich. In Wahrheit spielte sich hinter den Kulissen ein Finanzskandal ab, den die Verantwortlichen jahrelang nicht bemerkt haben wollen.
Das Drama nimmt seinen Lauf Wir beginnen mit der Umwandlung des städtischen Krankenhauses 14 Nothelfer in eine GmbH unter Trägerschaft der Stadt. Das geschah im Sommer 2008. Der ehemals städtische Angestellte Paul Blechschmidt wird da zum Geschäftsführer der 14 Nothelfer GmbH bestellt. Ein sogenannter Geschäftsbestellungsvertrag regelt ab diesem Zeitpunkt die Geldflüsse zwischen der Stadt und der GmbH. 2012 räumt Oberbürgermeister Markus Ewald ein: Das Krankenhaus machte seit 2007 mehr als 14 Millionen Euro Verlust, was zum Teil über eine – nicht besonders gut greifbare – Sonderkasse der Kämmerei abgefangen wurde. Es kursieren Gerüchte über falsche Bilanzen. Die Geschäftszahlen der vergangenen Jahre hätten bis dato kein Misstrauen erweckt, weil sie sich nicht von denen anderer Häuser unterschieden hätten.
Anfang September 2012 wird Paul Blechschmidt von seiner Arbeit entbunden. Torsten Lübben wird vom Aufsichtsrat zum neuen Geschäftsführer gewählt. Oberbürgermeister Ewald gibt Blechschmidt die Schuld für die falschen Bilanzen und Jahresabschlüsse. Einen Vorsatz schließt die Stadt vorerst noch aus. Mit einer Patronatserklärung verhindert der Gemeinderat im Oktober 2012 die Insolvenz der GmbH. Die Erklärung verpflichtet die Stadt, das Haus weiterzuführen und finanziell zu tragen.
Im Juli 2013 stimmt der Gemeinderat Weingarten der Übernahme der Mehrheitsanteile an der Krankenhaus 14 Nothelfer GmbH durch das Klinikum Friedrichshafen zu. Das Klinikum übernimmt rund 95 Prozent der 14 Nothelfer GmbH. Anteile von rund 5 Prozent verbleiben bei der Stadt Weingarten. Die bis zum Verkauf aufgelaufenen Schulden von insgesamt 17,8 Millionen Euro muss die Stadt ausgleichen und verkauft dafür unter anderem zahlreiche Grundstücke.
Vorwürfe im GPA-Gutachten Im Oktober 2013 liegt das Ergebnis der Untersuchung der Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) vor und wird kurz darauf öffentlich. Die GPA hatte in den vergangenen Monaten untersucht, wer das Finanzloch des Krankenhauses zu verantworten hat. Neben der schlechten Entwicklung im Gesundheitswesen habe Paul Blechschmidt Managementfehler gemacht und Wirtschaftspläne dem Aufsichtsrat erst verspätet oder gar nicht vorgelegt. Auch der Aufsichtsrat habe versagt. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg prüft anschließend, ob sich aus dem GPA-Bericht ein Anfangsverdacht für strafbare Handlungen ergibt. Parallel laufen Ermittlungen wegen Urkundenfälschung – noch gegen Unbekannt. Der Geschäftsbesorgungsvertrag, der die finanziellen Verflechtungen von Stadt und Krankenhaus regelt, soll manipuliert worden sein.
Anzeigen gegen den OB Wegen des Verdachts auf Untreue gehen dann im Dezember 2013 bei der Staatsanwaltschaft Ravensburg drei Strafanzeigen gegen Markus Ewald ein. Die Ermittlungen gibt die Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2015 auf: Es gebe keine Anzeichen für eine strafbare Handlung des OBs.
Im April 2014 verordnet das Regierungspräsidium Tübingen der Stadt, in ihren eigenen Reihen zu überprüfen, ob jemand für die Versäumnisse in der Finanzmisere des Krankenhauses geradestehen muss. Deshalb beauftragt die Stadt die Anwaltskanzlei Caemmerer Lenz aus Karlsruhe, ein Gutachten zu erstellen. Paul Blechschmidt reicht etwa zeitgleich Klage gegen die kommunale Krankenhausgesellschaft ein – es geht um noch nicht geleistete Zahlungen von 9000 Euro und um die Frage, ob seine Kündigung rechtens war. In Friedrichshafen wird im Juli 2014 entschieden, dass die Klinikum 14 Nothelfer GmbH Widerklage einreicht. Es geht um Schadensersatzansprüche in Höhe von 210 000 Euro. Am 23. Oktober 2014 treffen Blechschmidt und Vertreter der 14 Nothelfer GmbH vor dem Landgericht in Ravensburg aufeinander. Im Mai 2015 fällt das Urteil – zugunsten Blechschmidts. Es sei nicht nachweisbar, dass die Kündigung des ehemaligen Geschäftsführers rechtmäßig war. Auch die Widerklage wurde abgewiesen. Vom Gericht gibt es bislang keine offizielle Urteilsbegründung. Die GmbH-Anwälte prüfen zur Zeit eine Berufung gegen das Urteil.
Zwischenzeitlich liegt seit Winter 2014/2015 das von der Stadt in Auftrag gegebene Gutachten vor, die Öffentlichkeit kann es allerdings noch nicht einsehen. Stadt und Regierungspräsidium Tübingen prüfen eventuelle Rechtsansprüche der Stadt gegenüber Verantwortlichen in der Krankenhaus-Misere. Mitte Mai 2015 bekommen auch die ehemaligen Aufsichtsräte, darunter der OB, Einblick in das Gutachten.
Vorwurf: Urkundenfälschung Noch zieren sich Stadt und Regierungspräsidium, das Werk der Öffentlichkeit zu präsentieren – mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. OB Ewald kündigt allerdings an, dass er Passagen, die seine Person betreffen, unter Umständen vollständig veröffentlichen will. Ebenso gibt es den Vorschlag, das in kryptischem Juristendeutsch verfasste Werk in einer leichter verständlichen Zusammenfassung zu veröffentlichen. Ebenfalls Mitte Mai folgt ein weiterer Paukenschlag: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Paul Blechschmidt. Ihm wird vorgeworfen, den Geschäftsbestellungsvertrag manipuliert zu haben. Von dem Papier gibt es zwei Versionen: Auf der einen steht als Datum 2008, auf der anderen wurde 2008 durchgestrichen und durch 2012 ersetzt. Blechschmidt weist die Vorwürfe zurück.
Klinik weiter in den roten Zahlen Und das Krankenhaus? Das 14 Nothelfer findet auch unter der Regie des Klinikums Friedrichshafen nur schwer wieder in die schwarzen Zahlen zurück. 2013 gab es noch 3,2 Millionen Euro Verlust. Aktuell rechnet das Klinikum mit 3,02 Millionen Minus. Auch 2015 wird das Haus noch Verluste schreiben. In der Planung steht ein Minus von 1,5 Millionen. Allerdings soll es nach Auskunft der GmbH 2016 ein ausgeglichenes Betriebsergebnis geben. Die Klinikum Friedrichshafen GmbH investiert viel in das Weingartener Krankenhaus. Ursprünglich war 2014 von 1,5 Millionen Euro die Rede gewesen, tatsächlich wurden bis Ende des Jahres 3,5 Millionen Euro in die Klinik gesteckt.
Das Krankenhaus 14 Nothelfer ist inzwischen Teil eines aus drei Häusern bestehenden Klinik-Verbundes. Die Klinikum Friedrichshafen GmbH übernahm im Frühjahr 2015 auch das Krankenhaus Tettnang. Damit kommen auch medizinisch einige Änderungen auf das Weingartener Haus zu. Trotz der strukturellen Veränderungen bleibt die Frauenklinik mit den Fachbereichen Geburtshilfe und Gynäkologie erhalten. Auch an der Grundversorgung und der zentralen Notaufnahme wird sich nichts ändern. Vielmehr werden drei neu geschaffene Zentren in Weingarten angesiedelt.
Wie geht es jetzt weiter? Als Nächstes steht der Prozess vor dem Amtsgericht Bad Waldsee an. Paul Blechschmidt muss sich wegen Urkundenfälschung verantworten. Blechschmidt gibt zwar zu, ein Datum auf dem Vertrag geändert zu haben. Allerdings habe er damit nur den tatsächlichen Termin der Unterzeichnung – Jahre nach dem offiziellen Termin 2008 – festhalten wollen. Während der Verhandlung sollen auch Zeugen aussagen, darunter der ehemalige Kämmerer der Stadt Weingarten, Anton Buck. Weiter offen ist auch, wann das Karlsruher Gutachten veröffentlicht wird und ob weitere Aufsichtsräte dem Vorschlag von OB Ewald folgen, keine Passagen schwärzen zu lassen. Nach derzeitigem Stand der Dinge prüfen sämltiche Betroffene den Inhalt des Werks – es enthält nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“konkrete Vorwürfe.