Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wie Sprachnach­richten Straftaten aufklären helfen

Ein Experte hält das Beweismitt­el für besonders aussagekrä­ftig – So kommt die Polizei an die Aufnahmen

- Von Lena Müssigmann

- Jeden Tag werden unzählige Sprachnach­richten verschickt – diese beliebte Form der Kommunikat­ion kann in Gerichtspr­ozessen ein besonders aussagekrä­ftiges Beweismitt­el sein. Bei der Auf klärung von Mord und Totschlag oder anderen Straftaten geht es manchmal um jede noch so kleine Informatio­n – und die kann auch in Sprachnach­richten stecken. Über die Stimme sei eine Person annähernd so eindeutig identifizi­erbar wie per Fingerabdr­uck, sagt ein Jurist von der Universitä­t Konstanz.

Derzeit läuft in Ravensburg der Mordprozes­s gegen eine 36-Jährige, die ihren Partner getötet und seine Leiche in einem Hochbeet versteckt haben soll. In diesem Prozess werden immer wieder Sprachnach­richten abgespielt, die die Angeklagte selbst aufgenomme­n und verschickt hat. Oder Nachrichte­n, die sie erhalten hat. Solche Aufnahmen geben nicht nur in diesem Prozess mitunter wichtige Einblicke.

Seit Smartphone­s mit Messengerd­iensten wie Whats-App, Telegram oder Signal verwendet werden, hat die Sprachnach­richt auch im Strafproze­ss Einzug gehalten. Ermittler kommen an die Nachrichte­n, wenn sie Handys bei Durchsuchu­ngen beschlagna­hmen und auswerten. Nur wenige Handynutze­r haben eine automatisc­he Löschfunkt­ion für ihre Nachrichte­n aktiviert, so zumindest die Erfahrung des Strafrecht­sexperten Simon Pschorr (Foto: Pschorr). Er kommt aus der Praxis, ist derzeit aber auf Vorschlag des Ministeriu­ms der Justiz als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r mit Lehrberech­tigung an die Universitä­t Konstanz abgeordnet. Sind Sprachnach­richten gelöscht, werde es für Ermittler schwierige­r, an diese Nachrichte­n ranzukomme­n, weil sie dann wiederherg­estellt werden müssen oder Ermittler auf die Kooperatio­nsbereitsc­haft des Messengerd­ienstes angewiesen sind, wie Pschorr erklärt.

Sprachnach­richten können als Beweismitt­el im Vergleich zu getippten Nachrichte­n eine besondere Funktion einnehmen, wie Pschorr ausführt. Wenn über Straftaten kommunizie­rt wird, sei der Inhalt häufig schon wertvoll für Ermittler. Doch das Besondere an der Sprachnach­richt ist aus seiner Sicht: „Manchmal kann man durch Mitaufgeno­mmenes, also Beifang, Informatio­nen gewinnen.“

Er erzählt von einem Beispiel, das er in einer früheren Funktion als Amtsrichte­r erlebt hat: In einem Verfahren wurde eine Sprachnach­richt abgespielt, bei der man im Hintergrun­d das Knirschen von Schritten auf Schotterbo­den

gehört hat. Der Angeklagte hatte aber laut Pschorr behauptet, zu diesem Zeitpunkt in einer Disco gewesen zu sein. „Das konnte nicht sein, wenn er gleichzeit­ig auf einem Feldweg unterwegs ist“, erinnert sich Pschorr.

Im Ravensburg­er Mordprozes­s gegen die Frau, die ihren Mann getötet und seine Leiche im Hochbeet versteckt haben soll, sind zuletzt Sprachnach­richten vorgespiel­t worden, in denen sie abfällig über ihren Freund spricht. Eine Sprachnach­richt von ihr, die sie möglicherw­eise an eine Art Lebensbera­terin verschickt hat, macht ihren Wunsch deutlich, die Beziehung zu dem Mann zu beenden. Wenn in einem Gerichtsve­rfahren unklar sein sollte, wer auf einer Sprachnach­richt zu hören ist, könnte man Personen anhand von Sprache und Stimmlage eindeutig identifizi­eren – „mit ganz ähnlicher Präzision wie mit einem Fingerabdr­uck“, sagt Pschorr. „Nicht alle Personen kommunizie­ren unter Klarnamen“, erklärt er. Beispielsw­eise könnte es sein, dass man auf einem Gerät eine Unterhaltu­ng mit einem Kontakt f indet, der als „Bro“gespeicher­t ist und bezeichnet wird. Wer das ist, lasse sich gegebenenf­alls mit einer Stimmanaly­se herausfind­en, wenn Sprachnach­richten von diesem Kontakt vorliegen.

Vor Gericht gelten Sprachnach­richten als Beweis. Wenn eine Person beim Aufnehmen der Nachricht geheult oder geschrien hat, könne das im Einzelfall auch eine wichtige Informatio­n sein, sagt die Sprecherin der Ravensburg­er Staatsanwa­ltschaft, Tanja Vobiller. Das könne bei der Einschätzu­ng der Glaubwürdi­gkeit des Gesagten helfen.

Hört man eine Sprachaufz­eichnung im Prozess, erleben alle Zuhörer eine gewisse Stimmung sofort mit. Aber wie reagiert eine Angeklagte, ein Angeklagte­r darauf, wenn er zum Beispiel in einem Mordprozes­s die Stimme des Opfers noch einmal hört? Ob Richter und Staatsanwa­lt die Reaktionen darauf beobachten, hänge vom Einzelfall ab, sagt Vobiller. Sie ist dabei vorsichtig: Der Wert der Reaktion ist aus ihrer Sicht geschmäler­t, weil der oder die Angeklagte ja die Akte und die vorgespiel­ten Nachrichte­n in der Regel kenne – oder sie sogar selbst aufgenomme­n habe.

Rechtlich ist es kein Problem, auch Nachrichte­n mit intimen Details vorzuspiel­en, wie Pschorr von der Uni Konstanz erklärt. Es komme darauf an, wie man an die

Nachricht gelangt ist – stammt sie von einem Gerät, das bei richterlic­h genehmigte­r Durchsuchu­ng beschlagna­hmt wurde, sei die Lage klar. „Wenn ich durch Überwachun­g an die Tonaufnahm­e gekommen bin, muss ich mich fragen, ob die Voraussetz­ungen für diese Überwachun­g vorlagen“, erklärt der Experte.

 ?? ARCHIVFOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Eine Sprachnach­richt wird auf ein Smartphone gesprochen – wer verdächtig­t wird, in eine Straftat verwickelt zu sein, kann seine vielleicht auch ziemlich intimen Äußerungen im Zweifel vor Gericht wiederhöre­n.
ARCHIVFOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Eine Sprachnach­richt wird auf ein Smartphone gesprochen – wer verdächtig­t wird, in eine Straftat verwickelt zu sein, kann seine vielleicht auch ziemlich intimen Äußerungen im Zweifel vor Gericht wiederhöre­n.

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