Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Auf Supermärkten ist Platz für Hunderte von Wohnungen
Viele Flächen könnte man intensiver nutzen – Stadt macht Aldi, Lidl & Co. Lock-Angebote
- Wohnungen sind auch im Schussental ein extrem knappes Gut. Darum rücken unbebaute Innenstadtf lächen immer mehr in den Fokus – etwa die weitläufigen Discounter samt den ausladenden Parkplätzen drum herum. Die Gemeinderatsfraktion der „Bürger für Ravensburg“forderte die Stadtverwaltung schon vor ein paar Jahren dazu auf, abzuklopfen, ob auf den Grundstücken und Gebäuden von Aldi, Lidl & Co. Wohnungen entstehen könnten.
Bürgermeister Dirk Bastin hat fast alle Lebensmittelmärkte abgeklappert. Doch nur an einem Ort wäre die Idee realistisch.
„Das Potenzial ist groß, aber nicht einfach zu heben“, zieht Bastin nach vielen Gesprächen ein durchwachsenes Fazit. Denn an manchen Stellen geht gar nichts: Der Netto an der Jahnstraße beispielsweise sei vor Kurzem umgebaut und runderneuert worden. Daher wolle man nun nicht schon wieder investieren, so die Auskunft gegenüber der Stadtverwaltung.
Auch beim Schweinchenpalast an der Ulmer Straße steckt man in einer Sackgasse. Die Stadt wünscht sich dort Wohnungen und Lidl würde sich auch nicht querstellen. Bloß: Das Gebäude gehört nicht Lidl. Und der Eigentümer blockiere das Projekt, bedauert Bastin.
Die Filiale in der Schützenstraße hingegen gehört Lidl. Dort wäre das Unternehmen bereit, Wohnungen draufzupacken. Aber auch hier wird nichts draus, denn sowohl Lidl als auch der angrenzende Netto-Markt liegen mitten in einem Gewerbegebiet. Auf der
anderen Straßenseite baut der Pharmadienstleister Vetter ein neues Gebäude nach dem anderen. Bastin befürchtet, dass, wer immer dort in potenzielle Neubauwohnungen einziehen würde, sich über etwaigen Lärm beschweren oder, noch schlimmer, gegen Bauvorhaben der benachbarten Firmen klagen könnte. „Das wollen wir natürlich verhindern“, begründet Bastin, warum die Discounter in der Schützenstraße aus dem Wohnungsrennen sind.
In der Süd- und Weststadt würden neue Wohnungen sich nicht mit Gewerbe beißen, im Gegenteil: Das Kaufland etwa, welches ebenso wie Lidl zur Schwarz-Gruppe gehört, ist auf drei Seiten von Wohngebieten umgeben. Man rede auch hier mit den Eigentümern, sagt Bastin. Es scheint jedoch zweifelhaft, dass das Gebäude tatsächlich mit Wohnraum aufgestockt wird. „Aber auch eine Photovoltaikanlage wäre ja wertvoll“,
findet der Bürgermeister.
In der Weststadt, wo sich Feneberg und Edeka in bester Wohngebietsgesellschaft befinden, hakt es in Sachen Nachverdichtung ebenfalls: Feneberg ist nur Mieter in dem Gebäude an der Meersburger Straße, und auch hier wolle der Eigentümer momentan nicht investieren, so Bastin. Mit Norma lote man den potenziellen Erweiterungsspielraum in Bezug auf die Filiale in der Gartenstraße momentan noch aus.
Bei Edeka an der Meersburger Straße will der Besitzer des fast 20.000 Quadratmeter großen Grundstücks, zu dem auch der Spieleladen Smyths Toys und der Parkplatz gehören, derzeit keine Wohnungen über den Verkaufsflächen angehen, sagt Bastin. Dabei wäre die Stadt durchaus bereit, den Bebauungsplan entsprechend zu ändern.
In anderen Städten hat dieses Tauschgeschäft – die Kommune erlaubt Handelsketten Erweiterungen, diese stocken im Gegenzug ihre Märkte mit Wohnungen auf – funktioniert: Lidl beispielsweise hat auf seine neue Filiale in Berlin-Mahlsdorf 26 Mietwohnungen in Modulbauweise draufgesetzt. In Weil am Schönbuch gibt es ein Nahversorgungszentrum mit Edeka im Erdgeschoss und Reihenhauswohnungen drüber. Auf dem Dach eines Rewe-MarktNeubaus in Berlin-Haselhorst wird geparkt, darüber in 96 Apartments gewohnt.
Auch Aldi ist bundesweit gut mit dabei: In Tübingen werden nach dem Abriss der bisherigen Filiale nicht nur ein neues Verkaufsgebäude, sondern zudem 31 Apartments gebaut, aufs Dach kommen Gemeinschaftsgärten und eine Photovoltaikanlage.
In Waldbronn im Schwarzwald entstehen in Kombination mit einer weiteren Aldi-Filiale 115 Wohnungen. In Pforzheim sind als sogenanntes Mixed-Use-Konzept über einem Markt nicht nur Parkplätze, sondern auch noch 43 Apartments samt einer Kita geplant. Und in Wiesbaden hat Aldi neben die Filiale ein vierstöckiges
Wohnhaus mit Kita auf dem Dach gebaut.
In Ravensburg möchte Aldi Süd ebenfalls seine Verkaufsf lächen in der Ziegelstraße ausweiten. „Als Nahversorger mit Immobilienkompetenz“sei man darüber hinaus „offen für eine weitere Nutzung der Fläche der Filiale“, schreibt Carolin Sunderhaus von Aldi Süd auf Anfrage. Wie genau diese Nutzung aussehen könnte, müsse allerdings vorher baurechtlich geklärt werden. Für Bastin ist klar: Da eine Vergrößerung der Aldi-Filiale dem Einzelhandelskonzept zuwiderläuft, wäre eine Ausnahmegenehmigung nur denkbar, wenn die Kette auch Wohnungen baut. Seiner Ansicht nach wären auf dem gesamten AldiAreal in der Ziegelstraße 300 bis 350 Wohnungen drin: „Die Stadt würde sich das sehr wünschen.“
Grundsätzlich ist bei den großen Lebensmittelketten angekommen, dass eine intensivere Grundstücksnutzung das Gebot der Stunde ist. Seit rund fünf Jahren habe das Thema deutlich Fahrt aufgenommen, sagt Michael Reink, beim Handelsverband Deutschland HDE zuständig für die Standort- und Verkehrspolitik: „Ich gehe davon aus, dass es immer mehr gemischte Standorte geben wird.“
Er sagt aber ebenfalls: So schön die Idee grundsätzlich sei, gäbe es auch Probleme. Die Statik älterer Lebensmittelmärkte sei schlicht nicht darauf ausgelegt, Wohnungen auf dem Dach auszuhalten. Hinzu kommt das Thema Lärm: Ein Discounter muss beliefert werden – und das passiert in der Regel nachts. „Das müssen die Bewohner im Zweifelsfall aushalten.“
In den momentan hohen Baukosten sieht Reink kein Hindernis für weitere „Mixed-Use-Projekte“, da der Lebensmittelhandel floriere. Der zusätzliche Wohnungsbau sei eine Mischkalkulation. Und könnte sich in Zukunft möglicherweise zum eigenen Markt für etwaige Tochterunternehmen von Lidl, Aldi, Rewe oder Edeka entwickeln. „So weit sind wir aber noch nicht.“