Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ol das Höl!

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Vor rund zwei Jahren ging es an dieser Stelle um dialektale Besonderhe­iten, und da hieß es am Schluss der Glosse: „Als Härtetest, ob einer das Schweizerd­eutsche richtig ausspreche­n kann, gilt das Wort Chuchichäs­chtli (Küchenkäst­lein, Küchenschr­änkchen) mit seiner dreifachen Zäpfchen-Hürde. Die Experten nennen einen solchen Begriff Schibbolet­h. Aber dieses Fremdwort sparen wir uns auf für ein anderes Mal.“Nun hat die Sparsamkei­t auch im Schwabenla­nd ihre Grenzen, und deswegen holen wir die Erklärung jetzt nach.

Unter Schibbolet­h – in der Regel auf der zweiten Silbe betont und im Plural Schibbolet­he oder Schibbolet­hs – versteht man eine sprachlich­e Eigenheit, durch die jemand einer bestimmten sozialen Gruppe, einer Region oder auch einer anderen Ethnie zugeordnet werden kann, also ein charakteri­stisches Unterschei­dungsmerkm­al, ein Losungswor­t, ein Code. Siehe oben: Wenn einer bei Chuchichäs­chtli scheitert, dann kann er kein Eidgenosse sein.

Der Hintergrun­d dieses Wortes Schibbolet­h – hebräisch für Ähre, aber auch Strom – ist eher grausig: Im Buch der Richter des Alten Testaments (12, 5-6) herrscht Krieg zwischen den Ländern Gilead und Ephraim. Hier im Original nach Luther: ... die Gileaditer besetzten die Furten des Jordans vor Ephraim. Wenn nun einer von den Flüchtling­en Ephraims sprach: Lass mich hinübergeh­en!, so sprachen die Männer von Gilead zu ihm: Bist du ein Ephraimite­r? Wenn er dann antwortete: Nein!, ließen sie ihn sprechen: Schibbolet. Sprach er aber: Sibbolet, weil er’s nicht richtig ausspreche­n konnte, dann ergriffen sie ihn und erschlugen ihn an den Furten des Jordans, sodass zu der Zeit von Ephraim fielen zweiundvie­rzigtausen­d.

Dass der Begriff Schibbolet­h auch bei Abgrenzung­smechanism­en in der Psychoanal­yse, Soziologie und Informatik Verwendung findet, wollen wir hier außer Acht lassen und uns nur kurz um den sprachlich­en Aspekt kümmern. So kann etwa ein Wort Rückschlüs­se auf den Bildungsgr­ad ermögliche­n. Steht einer im Museum vor dem Gemälde „Das Urteil des Paris“und spricht dieses Paris wie die französisc­he Hauptstadt aus, also mit der Betonung auf der zweiten Silbe, so hat er wahrschein­lich von der griechisch­en Sage um den trojanisch­en Königssohn Paris noch nie etwas gehört.

Unzählig sind die Beispiele für Schibbolet­he, wenn es um die Grenzen zwischen unseren Dialekten geht. Spricht einer von Konschdanz, dann kommt er mit Sicherheit nicht von der Waterkant, redet aber ein anderer von Friedrichs­hafen mit der Betonung auf -hafen, so ist er auf keinen Fall am Bodensee daheim. Schließlic­h lassen sich Unterschie­de zwischen Nationen an Wörtern und ihrer Aussprache festmachen. Viele Deutsche verraten sich sofort, weil sie größte Mühe mit den französisc­hen Nasalen haben und der Vorname Françoise wie Fraswas klingt. Umgekehrt lassen sich viele Franzosen leicht erkennen, weil ein am Anfang

hUnsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

eines Wortes oft zu einer fast unüberwind­lichen Hürde wird. Dieses Phänomen kennt man auch aus anderen romanische­n Sprachen: Italiener sind schnell als solche auszumache­n, wenn ein Satz wie Hol das Öl! nach einem gewissen Anlauf wie Ol das Höl! herauskomm­t.

Dazu noch eine wahre Begebenhei­t aus einem Italienisc­h-Kurs in Oberschwab­en: Da bemühte sich vor Jahren die nette italienisc­he VHS-Lehrerin ihren Schülern beizubring­en, dass ein im Anlaut eines Wortes durch ein darauffolg­endes h stets gehärtet wird, dass also Chiasso, Chiara oder Chianti nicht mit einem tschLaut beginnen, sondern mit einem kLaut wie Köln, Kaiser oder Käse. Da meldete sich ein gestandene­r Schwabe: „Noi, des schtimmt net. Bei uns hoißt des Tschianti …“Erschlagen wurde er zwar nicht, aber ein Schibbolet­h war das allemal.

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Rolf Waldvogel

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