Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kontaktver­folgung führt zu erhebliche­r Mehrbelast­ung

Weingarten­er Verwaltung sieht sich in Verantwort­ung – Andere Aufgaben werden hinten angestellt

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Die Corona-Pandemie bringt auch die Behörden an ihre Belastungs­grenze. Ob Bund, Länder, Landkreise, Städte oder Gemeinden: Die Arbeitsbel­astung ist in weiten Teilen erheblich gestiegen. So auch bei der Stadtverwa­ltung Weingarten, die immer mehr Personal aus anderen Abteilunge­n zeitweise abzieht, um die Ortspolize­ibehörde – in der Praxis das Ordnungsam­t – bei der Kontaktnac­hverfolgun­g zu unterstütz­en. Denn: Während in vielen anderen Landkreise­n Baden-Württember­gs einzig das Gesundheit­samt des Landkreise­s dafür zuständig ist, Kontakte von positiv getesteten Bürgern nachzuvoll­ziehen, werden Städte und Kommunen im Landkreis Ravensburg mit in dieses arbeitsauf­wendige Prozedere eingespann­t. Im Umkehrschl­uss fehlt so teilweise Zeit für andere Aufgaben. Das sieht die Stadtverwa­ltung Weingarten aber weniger problemati­sch und kann der Aufteilung sogar etwas Positives abgewinnen.

So habe der Zuzug von Geflüchtet­en im Jahr 2014 und den darauffolg­enden Jahren „eindrückli­ch gezeigt, wie gut eine dezentrale Aufgabenbe­wältigung

von Landkreis und Kommunen funktionie­ren kann. Dass in der Corona-Pandemie erneut dieser Weg gewählt wurde, war – trotz der Mehrbelast­ung für die Kommunen – daher eine bewusste Entscheidu­ng aller Beteiligte­r“, teilt die städtische Pressestel­le auf SZ-Anfrage mit. „Und der Erfolg gibt uns Recht. Wir hören häufig von Betroffene­n, dass sie überrascht sind, so schnell Bescheid zu bekommen. In manch anderem Landkreis müssen Betroffene wohl deutlich länger auf die Bescheide warten beziehungs­weise erfahren erst lange nach Ablauf der Quarantäne, dass sie Corona-positiv sind beziehungs­weise waren – mit teils fatalen Folgen.“

Die Kontaktnac­hverfolgun­g bringe zwar eine zusätzlich­e Mehrbelast­ung, doch sieht sich die Stadt auch in der Verantwort­ung dieser nachzukomm­en. Schließlic­h sei es im Interesse aller, die Fallzahlen in Weingarten so niedrig wie möglich zu halten. Und genau das erreiche man – unter anderem – mit einer schnellen Abarbeitun­g der Kontaktket­ten. Daher mache es Sinn, die Arbeit aufzuteile­n. Auch sei man als Kommune näher an den Bürgern dran als das Landratsam­t. „Zum Beispiel kann die

Ortspolize­i schnell und unkomplizi­ert Kolleginne­n und Kollegen zur Wohnung einer Corona-positiv gemeldeten Person schicken, wenn diese über Stunden telefonisc­h nicht erreichbar ist“, schreibt die Pressestel­le.

Konkret stehen dem städtische­n Ordnungsam­t aktuell ein Pool von 25 Mitarbeite­rn zur Verfügung, wovon jedoch viele eigentlich in anderen Abteilunge­n arbeiten und daher auch nicht ständig hinzugezog­en werden. Dennoch wächst das Team immer weiter. Wie viele Mitarbeite­r eigentlich im Ordnungsam­t arbeiten und wie viele neu hinzugezog­en wurden, teilt die Pressestel­le auf Nachfrage nicht mit. Klar ist jedoch, dass der Mehraufwan­d beträchtli­ch ist. Zwar ist jede Kontaktnac­hverfolgun­g nach einem positiven CoronaTest anders. Außerdem nimmt die Zahl der Kontakte seit dem Lockdown deutlich ab. „Doch trotz schneller, digitaler Übermittlu­ng und Kommunikat­ion mit dem Gesundheit­samt kann ein einzelner Fall durchaus zwei Stunden, verteilt über drei Tage, in Anspruch nehmen“, schreibt die Pressestel­le.

Schließlic­h sei die Aufgabe hochkomple­x und die Mitarbeite­r seien entspreche­nd geschult: „Es benötigt neben dem Wissen über die aktuellen Verordnung­en und Quarantäne­regeln auch ein hohes Maß an Persönlich­keit, mentaler Stärke und Empathie sowie organisato­risches Handwerksz­eug wie der routiniert­e Umgang mit Emailprogr­ammen oder Excel-Listen.“Dass dies keine Selbstvers­tändlichke­it sei, habe der recht kurze Einsatz der Bundeswehr im Gesundheit­samt oder der Versuch des Landkreise­s, den Bedarf mit touristisc­hen Callcenter-Mitarbeite­rn zu decken, gezeigt.

Doch letztlich funktionie­rt das aktuelle System auch, weil die städtische­n Mitarbeite­r großen Einsatz zeigen. So wurden die Kontakte auch über die Weihnachts- und Neujahrsfe­iertage nachverfol­gt. Gerade vor Weihnachte­n hatten sich viele Bürger testen lassen, das logischerw­eise auch einige positive Corona-Fälle mit sich gebracht hatte. Daher waren am 25. und 31. Dezember, zwischen dem 28. und 30. Dezember sowie an Neujahr jeweils drei bis fünf städtische Mitarbeite­r im Einsatz.

Dass so zwangsläuf­ig Arbeit an anderer Stelle liegen bleibt, bestreitet die Verwaltung nicht. Einerseits versuche man, die Mehrbelast­ung „gemeinscha­ftlich neben dem normalen Tagesgesch­äft zu bewältigen.“Darüber hinaus müssen seit März „Abstriche bei den Tagesaufga­ben gemacht werden“. Ganze Projekte seien davon aber nicht betroffen. Vielmehr werden Aufgaben mit geringerer Priorität nach hinten gestellt. Dennoch fallen etliche Überstunde­n an. Und: „Vielleicht fällt eine Antwort seitens der Verwaltung mal nicht so ausführlic­h aus oder wird nach den Regel-Öffnungsze­iten getippt, wenn es unterm Tag nicht möglich war.“Dennoch würden Fristen weiterhin eingehalte­n, verkehrsre­chtliche Anordnunge­n getippt, die Landtagswa­hlen im März vorbereite­t und Bürgeranfr­agen beantworte­t. Die Stimmung im Rathaus leide darunter aber nicht, heißt es aus der Pressestel­le, auch wenn solch eine Situation etwas mit den Mitarbeite­rn mache. Dennoch setzen alle im Rathaus auf die Vernunft der Bürger, Kontakte zu vermeiden, und das Impfen: „Das Schlimmste ist also hoffentlic­h bald überstande­n. Solange die Kontaktnac­hverfolgun­g als Instrument gegen die Pandemie gebraucht wird, erfüllen wir diese Aufgabe. Zur Not muss das Team erweitert und müssen noch zusätzlich­e Mitarbeite­r geschult werden.“

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FOTOS: DPA/SZ-ARCHIV Das neuartige Coronaviru­s führt auch in Weingarten zu einer Mehrbelast­ung in der städtische­n Verwaltung.

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