Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kontaktverfolgung führt zu erheblicher Mehrbelastung
Weingartener Verwaltung sieht sich in Verantwortung – Andere Aufgaben werden hinten angestellt
WEINGARTEN - Die Corona-Pandemie bringt auch die Behörden an ihre Belastungsgrenze. Ob Bund, Länder, Landkreise, Städte oder Gemeinden: Die Arbeitsbelastung ist in weiten Teilen erheblich gestiegen. So auch bei der Stadtverwaltung Weingarten, die immer mehr Personal aus anderen Abteilungen zeitweise abzieht, um die Ortspolizeibehörde – in der Praxis das Ordnungsamt – bei der Kontaktnachverfolgung zu unterstützen. Denn: Während in vielen anderen Landkreisen Baden-Württembergs einzig das Gesundheitsamt des Landkreises dafür zuständig ist, Kontakte von positiv getesteten Bürgern nachzuvollziehen, werden Städte und Kommunen im Landkreis Ravensburg mit in dieses arbeitsaufwendige Prozedere eingespannt. Im Umkehrschluss fehlt so teilweise Zeit für andere Aufgaben. Das sieht die Stadtverwaltung Weingarten aber weniger problematisch und kann der Aufteilung sogar etwas Positives abgewinnen.
So habe der Zuzug von Geflüchteten im Jahr 2014 und den darauffolgenden Jahren „eindrücklich gezeigt, wie gut eine dezentrale Aufgabenbewältigung
von Landkreis und Kommunen funktionieren kann. Dass in der Corona-Pandemie erneut dieser Weg gewählt wurde, war – trotz der Mehrbelastung für die Kommunen – daher eine bewusste Entscheidung aller Beteiligter“, teilt die städtische Pressestelle auf SZ-Anfrage mit. „Und der Erfolg gibt uns Recht. Wir hören häufig von Betroffenen, dass sie überrascht sind, so schnell Bescheid zu bekommen. In manch anderem Landkreis müssen Betroffene wohl deutlich länger auf die Bescheide warten beziehungsweise erfahren erst lange nach Ablauf der Quarantäne, dass sie Corona-positiv sind beziehungsweise waren – mit teils fatalen Folgen.“
Die Kontaktnachverfolgung bringe zwar eine zusätzliche Mehrbelastung, doch sieht sich die Stadt auch in der Verantwortung dieser nachzukommen. Schließlich sei es im Interesse aller, die Fallzahlen in Weingarten so niedrig wie möglich zu halten. Und genau das erreiche man – unter anderem – mit einer schnellen Abarbeitung der Kontaktketten. Daher mache es Sinn, die Arbeit aufzuteilen. Auch sei man als Kommune näher an den Bürgern dran als das Landratsamt. „Zum Beispiel kann die
Ortspolizei schnell und unkompliziert Kolleginnen und Kollegen zur Wohnung einer Corona-positiv gemeldeten Person schicken, wenn diese über Stunden telefonisch nicht erreichbar ist“, schreibt die Pressestelle.
Konkret stehen dem städtischen Ordnungsamt aktuell ein Pool von 25 Mitarbeitern zur Verfügung, wovon jedoch viele eigentlich in anderen Abteilungen arbeiten und daher auch nicht ständig hinzugezogen werden. Dennoch wächst das Team immer weiter. Wie viele Mitarbeiter eigentlich im Ordnungsamt arbeiten und wie viele neu hinzugezogen wurden, teilt die Pressestelle auf Nachfrage nicht mit. Klar ist jedoch, dass der Mehraufwand beträchtlich ist. Zwar ist jede Kontaktnachverfolgung nach einem positiven CoronaTest anders. Außerdem nimmt die Zahl der Kontakte seit dem Lockdown deutlich ab. „Doch trotz schneller, digitaler Übermittlung und Kommunikation mit dem Gesundheitsamt kann ein einzelner Fall durchaus zwei Stunden, verteilt über drei Tage, in Anspruch nehmen“, schreibt die Pressestelle.
Schließlich sei die Aufgabe hochkomplex und die Mitarbeiter seien entsprechend geschult: „Es benötigt neben dem Wissen über die aktuellen Verordnungen und Quarantäneregeln auch ein hohes Maß an Persönlichkeit, mentaler Stärke und Empathie sowie organisatorisches Handwerkszeug wie der routinierte Umgang mit Emailprogrammen oder Excel-Listen.“Dass dies keine Selbstverständlichkeit sei, habe der recht kurze Einsatz der Bundeswehr im Gesundheitsamt oder der Versuch des Landkreises, den Bedarf mit touristischen Callcenter-Mitarbeitern zu decken, gezeigt.
Doch letztlich funktioniert das aktuelle System auch, weil die städtischen Mitarbeiter großen Einsatz zeigen. So wurden die Kontakte auch über die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage nachverfolgt. Gerade vor Weihnachten hatten sich viele Bürger testen lassen, das logischerweise auch einige positive Corona-Fälle mit sich gebracht hatte. Daher waren am 25. und 31. Dezember, zwischen dem 28. und 30. Dezember sowie an Neujahr jeweils drei bis fünf städtische Mitarbeiter im Einsatz.
Dass so zwangsläufig Arbeit an anderer Stelle liegen bleibt, bestreitet die Verwaltung nicht. Einerseits versuche man, die Mehrbelastung „gemeinschaftlich neben dem normalen Tagesgeschäft zu bewältigen.“Darüber hinaus müssen seit März „Abstriche bei den Tagesaufgaben gemacht werden“. Ganze Projekte seien davon aber nicht betroffen. Vielmehr werden Aufgaben mit geringerer Priorität nach hinten gestellt. Dennoch fallen etliche Überstunden an. Und: „Vielleicht fällt eine Antwort seitens der Verwaltung mal nicht so ausführlich aus oder wird nach den Regel-Öffnungszeiten getippt, wenn es unterm Tag nicht möglich war.“Dennoch würden Fristen weiterhin eingehalten, verkehrsrechtliche Anordnungen getippt, die Landtagswahlen im März vorbereitet und Bürgeranfragen beantwortet. Die Stimmung im Rathaus leide darunter aber nicht, heißt es aus der Pressestelle, auch wenn solch eine Situation etwas mit den Mitarbeitern mache. Dennoch setzen alle im Rathaus auf die Vernunft der Bürger, Kontakte zu vermeiden, und das Impfen: „Das Schlimmste ist also hoffentlich bald überstanden. Solange die Kontaktnachverfolgung als Instrument gegen die Pandemie gebraucht wird, erfüllen wir diese Aufgabe. Zur Not muss das Team erweitert und müssen noch zusätzliche Mitarbeiter geschult werden.“