Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Stillstand statt 100. Kampf
Langenargener Boxer um Kushtrim Mahmuti über den Tiefschlag der Pandemie
LANGENARGEN - Kushtrim Mahmuti blickt auf die Uhr. „19 Uhr, jetzt wäre Training!“, sagt der Weltergewichtler vom Boxteam Langenargen. Und blickt in eine leere Trainingshalle, in der die Boxsäcke seit mittlerweile mehr als vier Wochen eben nur da hängen, anstatt nahezu täglich traktiert zu werden. Vor einem Jahr hatte das Aushängeschild der Langenargener noch Ziele. „Die Württembergische, Vergleichskämpfe, die DM und die Bundesliga – alles abgesagt, sämtliche Ziele fehlen“, sagt der Boxteam-Vorsitzende und Trainer Thomas Schuler, der an Mahmutis Bundesligakampf am 16. November vor fast exakt einem Jahr erinnert. Ein Datum, das der 27-Jährige auch aus einem anderen Grund noch in bester Erinnerung hat.
Im vergangenen Winter war Mahmuti, der in seinen fünf Bundesligaduellen fünf vorzeitige Siege feierte, der überragende Faustkämpfer im deutschen Boxoberhaus. An besagtem 16. November begann in Straubing zudem seine Liebe zu Federgewichtlerin Jacqueline Brugger, die ebenfalls für Langenargen boxt. Während Mahmuti in Erinnerungen schwelgt, sagt der Trainer: „Wir hatten schon wieder die Anfrage für Kushtrim von Vizemeister MBR Hamm auf dem Tisch, als es im Oktober von Verbandsseite hieß, die Vorbereitungen für die ab Januar geplante Saison sind einzustellen. Alle Vereine waren sich auch einig, dass eine Bundesliga ohne volle Hallen keinen Sinn macht und für die meisten nicht zu finanzieren ist.“Das Boxteam selbst habe noch alle Sponsoren an Bord. „Wenn sie für 2020 nichts zahlen wollen, müssen sie auch nicht. Wir haben ja außer der Hallenmiete, die durch die Mitgliedsbeiträge gedeckt ist, und dem Desinfektionsmittel keine Ausgaben“, sagt Schuler.
Nach jedem Wechsel an einem Boxsack muss dieser desinfiziert werden, ebenso wie Hanteln, Bänder, Medizinbälle. In die Dusche dürfen nur zwei Boxer. „Es ist ein immenser Aufwand, den aber nicht nur wir betreiben müssen“, meint Schuler. „Aber wenn jemand boxen will, nimmt er die derzeitige Situation in Kauf. Das kann niemand ändern.“
Das Bearbeiten des Boxsacks, das bis Ende Oktober noch von Trainingsgruppen à zehn Personen erlaubt war, reiche laut Schuler aus, um Aggressionen abzubauen. „Sparring können sowieso nur diejenigen absolvieren, die es technisch draufhaben.“Den neuerlichen Stillstand beschreibt Mahmuti schlicht als „beschissen“. Und so bleibt derzeit nur das Laufen mit seinem Freund Alija Bikic – dreimal in der Woche. „Wir wollen, bevor ich 30 werde, bei den Bieler Lauftagen die 100 Kilometer bewältigen“, sagt der 27-Jährige. „Wir testen uns ran.“Derzeit gelte es, sich neue Ziele zu setzen. Das Training im Boxteam und das Sparring würden ihm aber sehr fehlen.
Wer übrigens denkt, dass das Boxteam Langenargen von den Olympischen Spielen so weit entfernt ist wie der Boxweltverband AIBA von einem seriösen Unternehmen, den klärt Schuler auf. „Von der deutschen Nationalmannschaft haben sich im Trainingslager in Österreich 16 Athleten sowie sieben Trainer und Betreuer mit dem Coronavirus angesteckt. Ich selbst kenne zwei Leute, die sich infiziert haben und noch Monate später Probleme haben. In Kushtrims Gewichtsklasse gibt es außer Magomed Schachidov (1860 München, Anm. d. Red.) und dem deutschen Meister Paul Wall eigentlich keinen Weltergewichtler, der für das Großereignis infrage kommen würde. Warten wir also ab, ob alle fit sind, wenn die Qualifikationswettkämpfe anstehen.“
Der sechsfache Landesmeister Kushtrim Mahmuti wäre freilich nicht abgeneigt.
Am 20. November 2010 bestritt der Friedrichshafener seinen ersten Kampf. „Es war in Langenargen, gegen 1860 München. Ich habe ihn gewonnen“, erinnert sich der 27-Jährige. „Anderthalb Jahre waren nach seinem Eintritt ins Boxteam vergangen, eine lange Zeit für den Boxer. „Kushtrim wollte sofort boxen, er war heiß. Aber auch er musste Geduld haben“, berichtet sein Trainer. Mittlerweile hat der ehemalige Dritte der deutschen U21-Meisterschaft 89 Kämpfe bestritten und 77 gewonnen. Der 100. Kampf zehn Jahre nach seinem Debüt wäre realistisch gewesen. Bekanntlich kam alles anders. „Ich hoffe, dass im Laufe des nächsten Jahres wieder Normalität eintritt“, sagt Thomas Schuler. Und schaut auf die Uhr. Das Training wäre in der Normalität noch nicht zu Ende.