Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Schweigende Hauptdarsteller
Explosive Gemengelage beim DFB – Präsident Keller gerät zunehmend unter Druck
FRANKFURT (dpa/SID) - Eines ist sicher: Die Entscheidung, Bundestrainer Joachim Löw weiterarbeiten zu lassen, war beim Deutschen FußballBund (DFB) alles, aber nicht einvernehmlich. Es brodelt massiv. Verbandschef Fritz Keller wollte bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Bekenntnis des DFB zum Langzeit-Bundestrainer über das Thema Nationalmannschaft „nicht reden“. Die Causa Löw aber erzeugt weiter Aufregung. Dass Keller eine vorzeitige Vertragsauflösung mit dem Bundestrainer ausgelotet haben soll, schwächt die Position des DFBPräsidenten.
„Wir reden nicht über das 6:0 in Sevilla, obwohl das sehr reizvoll wäre für den einen oder anderen“, sagte Keller am Mittwoch bei einer virtuellen Pressekonferenz zur paneuropäischen Studie zum Wert des Amateurfußballs. Und der 63-Jährige ergänzte: „Wir wollen heute unseren Fokus setzen auf die Helden und Heldinnen des Fußballs.“Das Thema Nationalelf werde man „an anderer Stelle“behandeln, „allerdings nicht hier und heute“, sekundierte DFBMedienchefin Mirjam Berle.
Wann sich der Bundestrainer selbst öffentlich zur Aufarbeitung des Spanien-Debakels, möglichen Konsequenzen und den Diskussionen
mit der Verbandsspitze äußert, bleibt offen. Die Fans, deren heiße Liebe zum Nationalteam aus den Tagen des WM-Triumphes von 2014 immer mehr erkaltet (ist), erleben weiterhin einen von ihnen entrückten Löw. Der nächste Pflichttermin für den 60-Jährigen steht am Montag an, wenn in Zürich die Gruppen für die WM-Qualifikation für Katar 2022 ausgelost werden. Da dies allerdings virtuell passiert, wird es auch keine direkten Kontakte geben. Um so mehr wird weiter über die Hintergründe der „einvernehmlichen“DFB-Entscheidung diskutiert, „den seit März 2019 eingeschlagenen Weg“der Erneuerung mit Löw „uneingeschränkt fortzusetzen“.
Löw selbst hat nie an der Fortsetzung seiner Mission gezweifelt und zeigte sich beim Auftritt mit seinen Assistenten Marcus Sorg und Andreas Köpke in der DFB-Zentrale irritiert über das Vorgehen seines Arbeitgebers. Bei diesem Gipfel, auf dem sich der DFB nach eigener Darstellung „einvernehmlich“pro Löw entschieden hatte, soll Keller mehrmals eine vorzeitige Vertragsauflösung mit Löw angesprochen haben. Es fehlte ihm allerdings die Unterstützung. Dieser Umstand und die Tatsache, dass solche pikanten Informationen an die Öffentlichkeit gelangten, schwächen Kellers Position weiter.
Der frühere Präsident des SC Freiburg, der im September 2019 mit viel Vorschusslorbeeren, aber auch mit beschnittenen Kompetenzen sein Amt angetreten hatte, wirkt zunehmend desillusioniert. Seit Monaten schwelt intern ein Machtkampf zwischen ihm und Generalsekretär Friedrich Curtius. Der DFB räumte selbst „interne Dissonanzen“ein, was deutlich untertrieben sein dürfte. Die Gräben sind tief. Im fünfköpfigen Präsidialausschuss, also dem innersten Führungszirkel, werden Vize Rainer Koch und Schatzmeister Stephan Osnabrügge dem CurtiusLager zugeordnet. Keller konnte zuletzt noch auf die Unterstützung von Vize Peter Peters setzen – aber reicht das? Keller selbst offenbar nicht. Er sei mit der Zwischenbilanz nach einem Jahr im Amt „unzufrieden“, sagte er kürzlich. Er will mehr bewirken, als öffentlich das Gesicht der DFBFührung zu sein.
Während sich also die DFB-Spitze in Sachen Löw hinter den Kulissen keinesfalls als feste Einheit präsentiert und die vergiftete Atmosphäre innerhalb des Präsidiums mal wieder deutlich wurde, hat Löw weiter Unterstützung aus der Bundesliga. „Er hat sehr vieles für den deutschen
Fußball geleistet“, sagte Löws langjähriger Assistent Hansi Flick. Auch Leverkusens Sportchef Rudi Völler unterstrich die gute Zusammenarbeit mit Löw.
Allerdings: Die Bewertung des Verbandes, die EM-Qualifikation, den Verbleib in Liga A der Nations League und die Positionierung im ersten Lostopf bei der WM-Qualifikation bereits als wichtige sportliche Erfolge einzustufen, teilt nicht jeder. „Wenn das die neuen Ziele sind, die der DFB ausgibt, dann kann das nicht der richtige Weg sein“, kritisierte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus im TV-Sender Sky. „Joachim Löw macht mir im Moment nicht den Eindruck, dass er die Spieler so erreicht wie bei der Weltmeisterschaft 2014.“
Vor der DFB-Spitze trat Löw aber resolut und kämpferisch auf, wie die „Süddeutsche Zeitung“mit Berufung auf einen Teilnehmer berichtete. Der Bundestrainer verwies auf seine Verdienste mit dem Höhepunkt WM-Erfolg und die schwierigen Umstände für den Restart nach zehn Monaten Corona-Pause. Löws größte Motivation aber ist: Mit einer Schlappe wie dem WM-VorrundenAus 2018 oder dem 0:6 in Spanien will er auf keinen Fall von der internationalen Fußballbühne abtreten.