Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon“
Allgäuer, die an Covid-19 erkrankt waren, leiden nach ihrer Genesung noch unter den Folgen
KEMPTEN/OBERALLGÄU - Als sie die ersten Symptome bemerkten, hatten sie alle den gleichen Gedanken: Husten, Schnupfen, Halskratzen – das kann nur eine Erkältung sein. Doch dann kam das Fieber, hohes Fieber. Und mit steigenden Körpertemperaturen und einem immer schlechteren Zustand wurde die Vermutung nach Tests zur Gewissheit: Es ist Corona. Das Virus, das derzeit die Welt in Atem hält, hat auch Kemptener und Oberallgäuer nicht nur wochenlang ans Bett gefesselt. Covid-19 lässt von uns befragte Bürger, die wochenlang teils schwer erkrankt waren, sogar lange nach ihrer Genesung noch nicht so leben, wie sie es gern möchten. Ob Thomas Greiter, einer der ersten Covid-19-Infizierten in Kempten (siehe Allgäu Rundschau), Michael Uhlich (Kempten), Stefan Gourguis (Waltenhofen) oder Markus Laure (Wertach) – sie alle klagen heute noch über Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder Kurzatmigkeit. Sie fühlen sich psychisch angeschlagen und finden es „erschreckend“, wie lange man das spürt.
Für den 42-jährigen Stefan Gourguis aus Waltenhofen ist die Genesung nach dieser Krankheit „kein Sprint, sondern ein Marathon“. Vor zwei Wochen durfte er das Krankenhaus in Kempten verlassen. Gesund fühlt er sich noch lange nicht. Dabei hat er – wie alle anderen Befragten – stets alle AHA-Regeln eingehalten. Privat wie am Arbeitsplatz, den er in der ITBranche hat. Dennoch, sagt Gourguis, habe ihn das Covid-19-Virus erwischt. Angesteckt worden sei er von einem Mitarbeiter, der mit schwerer Erkältung ins Büro kam und sich erst dann testen ließ. Kurze Zeit später machten sich bei Stefan Gourguis Symptome wie Durchfall, Bauchweh, Mattigkeit und hohes Fieber bemerkbar. Doch erst der zweite Test hat die Vermutung bestätigt: Corona. Weil es ihm „rapide schlechter ging“, wurde er ins Krankenhaus eingewiesen. Das CT, weiß der Waltenhofener noch, zeigte „eine Lunge voller Corona-Viren“. Zum hohen Fieber kam Sauerstoffmangel dazu: „Ich stand kurz vor der Beatmung“, sagt er. Zehn Tage lang war der Oberallgäuer in der Klinik – und ist voll des Lobes für Schwestern, Pfleger und Ärzte, die einen „Mammutjob“leisten.
Für ihn selbst war das eine schlimme Zeit. Immer wieder hat er sich in seiner Isolation gefragt, ob er wohl jemals wieder seine Familie sehen werde. Es gab Momente, in denen er sich gedanklich von allen verabschiedet hat. „Es zieht einen psychisch runter“, sagt der 42-Jährige.
Und heute, nach zwei Wochen? Stefan Gourguis kann noch nicht wieder arbeiten. Anfangs litt er unter Kurzatmigkeit, muss immer noch inhalieren, hat Husten mit Schleim und Blut. Seine Lunge sei sehr mitgenommen, wurde ihm diagnostiziert. Von Tag zu Tag, sagt er, wird es zwar besser. Aber wie werden die Langzeitschäden sein? Es ist jetzt auch diese Ungewissheit, die Gourguis umtreibt.
„Bedenken, dass alles wieder gut wird“– die hat auch Markus Laure. Der 40-Jährige aus Wertach, der als Geschäftsführer bei LaureHaus in Kempten tätig ist, wurde im April vermutlich ebenfalls durch einen Mitarbeiter infiziert. Nach dessen positivem Test begab er sich zwar sofort ins Homeoffice. Doch zuhause ging es ihm nach einigen Tagen immer schlechter: Er bekam hohes Fieber, wurde zusehends schwächer, schaffte gerade den Gang zur Toilette – bis er mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus nach Pfronten eingeliefert wurde. Neun Mal, schildert Laure, sei er getestet worden, nur ein Test zeigte ein positives Ergebnis. Dennoch ging man davon aus, dass es Corona war. Denn „teilweise beängstigend“sei das Atmen gewesen, sagt Laure. Er habe kaum mehr Luft bekommen, Sauerstoff wurde ihm zugeführt, wann immer er danach verlangte. Zehn Tage lang zeigte das Fieberthermometer eine hohe Temperatur, erst ab der zweiten Woche ging es bergauf.
Auch Markus Laure, der, wie er sagt, kurzzeitig in Lebensgefahr schwebte, hat während dieser Krankheitszeit über das Leben nachgedacht. Heute, nach fast acht Monaten, kann er zwar wieder alles machen. Doch die ersten Monate fühlte sich der 40-jährige, der gern Tennis spielt und wandert, „beim Laufen wie ein 80-Jähriger“. Jetzt noch kommt er bei Bergtouren „an die Belastungsgrenze“. Aber „was nicht sein muss, lasse ich eben sein“, sagt Laure. Er kann nach dieser Erfahrung nur empfehlen, vorzubeugen, den Vitamin-DWert überprüfen zu lassen und eigenverantwortlich zu handeln.
Heilen, Kranken helfen – das ist das, was für den Kemptener Michael Uhlich in seinem Beruf als Mediziner oberste Priorität hat. Doch den Covid-19-Virus konnte der Dermatologe alleine nicht besiegen. „Wie ein grippaler Infekt“hat auch bei dem 79-Jährigen begonnen, was sich dann als Corona herausstellte. Angesteckt habe er sich im März vermutlich auf einer Reha in Schwangau. Damals, sagt er, war der Mund- und Nasenschutz noch keine Pflicht, Treffen mit anderen waren unbegrenzt möglich. Auch er selbst sei nicht „auf der Corona-Schiene gewesen“. Bis sich ein Test als positiv darstellte. Was folgte, waren die „typische CoronaLungenentzündung“, Atemnot, Haarausfall, Schwerhörigkeit und Geschmacksstörungen. Dass auch der Wein „bitter schmeckte“, erzählt Uhlich, sei für einen Weintrinker wie ihn ein bisschen bitter gewesen.
Sieben Wochen lang haben diese Symptome den Facharzt ans Bett gefesselt: „Dieser Virus ist überall im Körper.“Weil Uhlich die Reha nicht beenden konnte, kam Muskelschwund dazu – der Kemptener fiel in eine „ganz schwere Depression“. Albträume, absolute Antriebslosigkeit, wie von einem Kokon umhüllt – nur mit einer Therapie schaffte es der 79-Jährige wieder aus diesem Kreislauf. Geblieben ist die Müdigkeit. Und die Dankbarkeit, als Risikopatient „doch noch Glück gehabt zu haben“. Denn fast, sagt Uhlich, wäre es soweit gewesen.