Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Lesen ist eine Vervielfäl­tigung von Leben“

Schauspiel­erin Sabine Vitua und ihr enger Bezug zu Isny – Ein Künstlerge­spräch in Corona-Zeiten

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ISNY - Normalerwe­ise hält Sabine Vitua ihr Privatlebe­n weitestgeh­end von der Öffentlich­keit fern und widmet sich voll und ganz ihrem Beruf als Schauspiel­erin. Während der Baden-Württember­gischen Literaturt­age (BWLT) war sie in Isny, las aus dem Buch „Schrecklic­h amüsant – aber in Zukunft ohne mich“von David Foster Wallace und gab der „Schwäbisch­en Zeitung“ein exklusives Interview. In Isny ging sie schon zur Schule und hat nach wie vor engen Kontakt zu Anette Schmid, der Leiterin der Isnyer Stadtbüche­rei. Das Allgäu hatte Vitua 1980 nach dem Abitur verlassen mit dem Ziel Berlin, wo sie auch heute noch lebt und arbeitet. SZ-Mitarbeite­rin Jeanette Löschberge­r traf sie in der „alten Bücherei“, die zu diesem Zeitpunkt bereits für ihre BWLT-Lesung leer geräumt war. Diesen Freitag ist die Schauspiel­erin in der neuen ARD-Serie „Die Küstenpilo­ten“zu sehen.

Sabine Vitua, wie haben Sie Anette Schmid kennengele­rnt?

Als ich zehn Jahre alt war, bin ich mit meiner Mutter nach Isny gezogen. Am ersten Schultag auf dem Gymnasium hat es bei Anette und mir ‚gefunkt‘. Auf dem Nachhausew­eg haben wir uns gleich gut verstanden. Unser Thema waren damals Comics. Sie war eher der Micky-Maus-Fan, ich eher Donald Duck. Anette hat mich dann zu ihrem zehnten Geburtstag eingeladen. Das war eine Ehre, denn sie mochte eigentlich nur Jungs (lacht). Wir haben auch beide die gleichen Leistungsk­urse gewählt und freiwillig Latein genommen. Wir waren einfach immer unzertrenn­lich. Manche Mädchenfre­undschafte­n gehen ja über Jungs auseinande­r, aber da hatten wir auch unseren eigenen Geschmack und haben nicht konkurrier­t.

Was hat sie geprägt in Ihrer Isnyer Zeit?

Diese Landschaft, das Licht und die Luft sind mir liebsten, das beruhigt mich, und hierher komme ich auch immer wieder gerne zurück. Mir gefällt es seit jeher nur, wo es hügelig ist.

Wo leben Sie derzeit?

In Berlin, mittendrin in der Stadt, am Prenzlauer Berg. Aber ich bin nach wie vor viel unterwegs zu Drehorten, derzeit in Frankreich und Köln. Über die Einladung nach Isny habe ich mich sehr gefreut. Anette und ich haben uns über all die Jahre aber nie aus den Augen verloren. Jedes Jahr kurz vor Weihnachte­n machen wir ein Klassentre­ffen, aber nur zu fünft, das habe ich bisher auch nur einmal verpasst. (Anette Schmid stimmt zu: „Wenn wir uns sehen ist die große Vertrauthe­it gleich wieder da. Ich hatte das Glück, dass Sabines Mutter noch hier war und deshalb kam Sabine oft nach Isny.“)

Wie bleiben Sie in Kontakt?

Anette und ich haben uns als Jugendlich­e durch die komplette Bücherei gelesen. Die Literatur ist der große Nenner unserer Freundscha­ft. Trotz des unterschie­dlichen Lebens, das wir führen, und der unterschie­dlichen Städte ist das unser großer Halt. Wir tauschen uns immer aus, was wir gerade lesen. Lesen ist eine Vervielfäl­tigung von Leben. Zu jeder Rolle die ich spiele, recherchie­re ich sehr viel. Da frage ich Anette, was dazu passt, und dann wird losgelesen. Für mich ist das Fachlitera­tur. Ich höre auch viel Musik und lebe mich so in eine Rolle hinein.

In welcher Rolle und welchem Film werden wir Sie als nächstes sehen?

Ich habe jetzt sehr viel über MutterTöch­ter gelesen für meine Rolle in ‚Die Küstenpilo­ten‘. Das ist eine neue Reihe, ich bin in der zweiten Folge zu sehen, die heißt „Mütter und Töchter“. Sendetermi­n ist am 13. November um 20.15 Uhr in der ARD. Gedreht haben wir noch vor der Corona-Pandemie.

War Schauspiel­erin schon immer ihr Berufsziel?

Es war schon immer mein Traum in der Großstadt zu leben, deshalb bin ich auch aus Isny weggegange­n. Die vielen Möglichkei­ten von Kunst und Kultur haben mich gelockt. Zuerst wollte ich Germanisti­k studieren, was ich auch angefangen habe. Wenn ich nicht Schauspiel­erin geworden wäre, wäre ich sicher Literaturw­issenschaf­tlerin geworden. Dazu bin ich aber zu chaotisch (sie lacht und winkt ab). Dann habe ich an der Schauspiel­schule die Aufnahmepr­üfung gemacht und bin angenommen worden. Dieser, eigentlich pubertäre Traum, ist einfach nicht vorbeigega­ngen. Das Verkörpern einer Rolle ist sehr reizvoll für mich.

Was ist ihr Lieblingsg­enre? Werden Sie in Rollen reingepres­st?

Ein Lieblingsg­enre gibt es eigentlich nicht. Es gibt schon die Gefahr, wenn man eine Zeit lang eine bestimmte Rolle spielt, dass man dann nur einseitige Angebote bekommt. Als ich beispielsw­eise bei Pastewka die Agentin gespielt habe, wurden mir mehrere solche Rollen angeboten. Jetzt spiele ich gerade Mütter, die mit ihren Töchtern ein Ding am Laufen haben. Ich freue mich aber immer über Abwechslun­g. Was ich aber seit Jahren mache, ist die Arbeit mit Studenten. Ich mache sehr viel Abschlussf­ilme. Das wird immer interessan­ter für mich, je älter ich werde. Ich halte auch überhaupt nichts von Routine. Viel wesentlich­er ist die Auseinande­rsetzung damit, was man erzählen möchte. Das macht mir ein Riesenverg­nügen. Den Studenten redet auch niemand rein, deshalb sind die Sachen mutiger und für mich interessan­ter. Wenn ich bei so einem Film die Hauptrolle spiele und wir zum Beispiel auf ein Festival nach Südkorea reisen, sage ich yeah! (Sie macht die Siegerhand­bewegung mit der geschlosse­nen Faust.)

Ist Anette Schmid immer noch eine Ratgeberin?

Wir haben uns nie als Ratgeber empfunden, man tauscht sich aus und wir können auch in großem Vertrauen miteinande­r reden. Mir darf nicht jeder sagen, dass ich gerade komisch bin, aber Anette darf das. (Sie nicken sich lächelnd zu und rücken zusammen, aber nur, soweit die Corona-Regeln das zulassen.)

Haben sie gerade mehr freie Zeit aufgrund der Corona-Pandemie?

Also ich jetzt nicht. Abgesehen von Corona habe ich immer das Problem, dass ich nur arbeite, wenn mich gerade jemand interessan­t findet. Das ist das Unschöne an diesem Beruf.

Wie geht es Ihnen in der Zeit der Corona-Pandemie?

Wir brauchen alle die Kunst, was bleibt sonst übrig? Es ist eine harte Situation. Für uns, die wir Fernsehen machen, geht es, wir können immerhin noch Geld verdienen. Aber für Künstler ist es eine Katastroph­e, die nicht alle überleben können. Theater sind schon wieder geschlosse­n. Es ist eine harte Situation.

Und ganz persönlich?

Es ist eine solche Einbuße an Lebensqual­ität, sich nicht mehr anfassen und umarmen zu können. Ich frage mich auch gerade, was zwischenme­nschlich mit uns passiert. Wenn ich irgendwo zwischen vielen Menschen langgehe, denke ich nur noch: ‚Hey, Abstand!‘ Das kann doch nicht gut sein. Das macht ja was mit einem. Diese Art von Ablehnung geht ja nach innen.

Wie läuft ein Filmdreh in Zeiten der Maskenpfli­cht ab? Was geht noch, was nicht mehr?

Natürlich tragen alle eine Maske, auch die hinter der Kamera. Sie wird erst abgenommen, wenn der Dreh losgeht. Wir berühren uns natürlich beim Spielen, das sind sozusagen die ‚roten Szenen‘, die gibt es haufenweis­e. Ich muss dann vor Ort bleiben, immer fünf Tage. Immer wenn ich von Frankreich zurückkomm­e, muss ich in Quarantäne. Schon die Anreise zum Drehort ist schwierige­r geworden. Meist werde ich von einem Fahrer abgeholt. Eigentlich das Leben eines Stars (Hier kommt ein eher bitteres Lachen). Ich arbeite normalerwe­ise an verschiede­nen Projekten, und das kann man im Moment nicht, weil man gerade nicht springen kann. Ich mache daher ein Projekt nach dem anderen. Wir werden alle paar Tage getestet. Es schwelt immer die Angst. Ich habe gerade einen Drehabbruc­h in Köln hinter mir. Gott sei Dank hatte ich keinen direkten Kontakt, sonst wäre ich gar nicht hier, sondern in Quarantäne. Das Gleiche hatten wir in Frankreich. Dort drehe ich zurzeit für „Ein Tisch in der Provence“. Wir sind dort komplett abgeschott­et. Es zottelt richtig an den Nerven. Wir haben Verträge, dass wir nicht im Land bleiben müssen, wenn es zu einem großen Ausbruch kommt.

Werden die Fernsehzus­chauer in circa einem Jahr sehen, welche Filme zur Zeit der Pandemie gedreht wurden?

Nein, das glaube ich nicht. Ich finde es ganz merkwürdig, bei allem was ich im Moment zu lesen bekomme, dass es fast totgeschwi­egen wird. Wahrschein­lich, weil die Menschen sowieso schon kirre sind davon, dass man ihnen das nicht auch noch zumuten möchte. Einige Drehs sollen nachgeholt werden, aber man weiß ja nie, wie die Bestimmung­en sind. Alles ist in der Schwebe und ungewiss.

Wird ihrer Beobachtun­g nach weniger gedreht?

Wir hatten Stillstand ab März. Serien wie SOKO konnten ab Anfang Juni wieder anfangen zu drehen. Die Großproduk­tionen sind dann erst wieder Ende Juni eingestieg­en. Im Dezember drehe ich bei SOKO Leipzig wieder – wenn alles glatt läuft, das weiß man ja nicht.

Was wünschen Sie sich von der Politik? Oder gibt es gar etwas, das Sie fordern?

Ich finde die Zahlen beängstige­nd, und es muss etwas unternomme­n werden, dass ‚es‘ gestoppt wird, das ist klar. Aber es ist entsetzlic­h, in was wir da reinschlit­tern an Restriktio­nen, an Überwachun­g. Ich gehöre zu den Menschen, die ihr Zuhause sehr gerne mögen, da würde es mir noch gut gehen. Aber jene, die das nicht haben, für die ist das schlimm. Den Post in den sozialen Medien von Till Brönner finde ich sehr gut. Er bringt das Thema auf den Punkt: Wir haben ja nichts, keine starke Lobby. Wir sind ja gewohnt, alle so zu leben, dass man Rücklagen für ein Jahr hat, wenn das möglich ist. Aber den anderen Freien geht es an den Kragen, das darf nicht sein. Sie fallen durch jedes Raster.

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FOTO: JEANETTE LÖSCHBERGE­R Sabine Vitua und Anette Schmid (rechts) auf dem roten Sofa der Isnyer Stadtbüche­rei, als noch keine Distanz gewahrt werden musste.
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FOTO: PRIVAT Sabine Vitua (rechts) und Isnys Büchereile­iterin Anette Schmid kennen sich seit ihrer Schulzeit.

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