Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Müssen alles tun, um eine Rezession zu verhindern“
Der neue Mittelstandsbeauftragte Thomas Bareiß über Krise, Kreditvergabe und Kriterien für den Shutdown-Exit
RAVENSBURG - Er kennt die Stärken, aber auch die Nöte des Mittelstands. So ließ sich der parlamentarische Staatssekretär Thomas Bareiß (CDU) jüngst zitieren. Wie die Politik Unternehmen nach der Krise helfen will, verrät der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung im Gespräch mit Benjamin Wagener ebenso, wie seine Einstellung zur Vergabepraxis von Krediten. So ist es nach Ansicht des Abgeordneten für den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen grundsätzlich nicht verkehrt, wenn bei größeren Krediten auch die Hausbank ihr Urteil abgibt.
Herr Bareiß, wie stellt sich die Situation für den Mittelstand in Baden-Württemberg zurzeit dar?
Es sieht sehr unterschiedlich aus. Es gibt durchaus Unternehmen, bei denen es noch relativ normal läuft. Zum Beispiel im Handwerk sind einige Betriebe noch im Normalmodus. Andererseits gibt es Unternehmen, die es mit voller Wucht getroffen hat und die innerhalb von wenigen Tagen von hundert auf null runtergefahren sind. Ganz besonders schlimm hat es Restaurants, Hotels und den Einzelhandel getroffen. Die haben große Sorgen und bei denen ist die Lage sehr, sehr ernst.
Wie waren die Unternehmen auf die Krise vorbereitet?
Wir kommen aus einer starken Wachstumsphase. Wir hatten zehn gute Jahre, wirtschaftlich erfolgreiche Jahre. Die Krise trifft uns also in einer Zeit, in der wir eigentlich relativ gut aufgestellt sind. Gerade der Mittelstand ist gut gerüstet und hat auch ein gewisses Polster. Das hilft uns in den ersten Wochen der Krise. Aber das Polster wird von Tag zu Tag weniger.
Kritiker bemängeln, dass bei dem historischen Hilfspaket der Mittelstand vergessen worden ist. Es gibt Direkthilfen für Kleinstbetriebe, den Stabilisierungsfonds für Großunternehmen und nur Kredite für den Mittelstand. Manche fluchen sogar über eine Mittelstandslücke. Wie sehen Sie das?
Wir haben versucht, passgenaue Programme für jeden anzubieten. Die Mittelstandslücke sehe ich nicht. Den Unternehmen mit über zehn Beschäftigten bieten wir ein umfangreiches Liquiditäts- und Kreditprogramm sowie das Kurzarbeitergeld zur Sicherung der Beschäftigten an. Dafür steht quasi unbegrenzt Geld des Staates zur Verfügung. Und gerade der Mittelstand profitiert davon. Bei einem Kreditvolumen von bis zu drei Millionen Euro sind die Konditionen sehr gut. Hier übernimmt der Staat das Risiko zu 90 Prozent.
Ja, diese Rückmeldung erhalte ich auch. Deshalb haben wir auch am Montag entschieden, dass beim neuen „KfW-Schnellkredit“der Staat bis zu einem Kreditvolumen von 800 000 Euro 100 Prozent der Garantie übernimmt. Hier haben wir auch die Abwicklung erheblich beschleunigt. Da die KfW hier die Garantie übernimmt, muss die Hausbank keine eigene Risikoprüfung mehr durchführen. Lassen Sie mich aber
Folgendes sagen: Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, wenn bei einem größeren Kredit auch die Hausbank, die die Unternehmen am besten kennt, ihr Urteil abgibt. Und wir haben ja auch eine gewisse Verantwortung für das Geld des Steuerzahlers. Und das wird über die zehn Prozent gewährleistet. Wir sind trotzdem dem Ruf des Mittelstands nach Verbesserungen nachgekommen und haben nachgesteuert. Nicht nur mit dem neuen „KfW-Schnellkredit“, sondern auch bei den bestehenden KfW-Unternehmerkrediten. Hier gibt es jetzt eine längere Laufzeit und Erleichterungen bei der Besicherung. Jetzt muss es laufen und mein klarer Appell an die Hausbanken ist jetzt, schnell und ohne Hürden dafür zu sorgen, dass das Geld vor Ort ankommt.
Wenn Mittelständler in den nächsten Wochen in noch schwereres Fahrwasser kommen, die Krise das Eigenkapital aufzehrt und keine Liquidität mehr da ist, steigt dann die Gefahr von chinesischen Übernahmen, die Gefahr, dass Peking die Gunst der Stunde nutzt?
Das ist einer der Gründe, warum wir den Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einem entsprechend großen Finanzvolumen ausgestattet haben. Sollten Unternehmen in Schieflage geraten und der Druck zunehmen, kann der Staat nicht nur mit Bürgschaften, sondern auch mit Eigenkapital über einen gewissen Zeitraum helfen. Das haben wir in der Finanzkrise 2008 mit den Banken auch gemacht. Das ist aber ein Instrument, das wir hoffentlich nur begrenzt anwenden müssen. Aber dennoch: Wir wollen uns rüsten und gewappnet sein. Je länger die Krise dauert, desto mehr Eigenkapital der Unternehmen wird aufgefressen und desto größer wird die Gefahr.
Wie wird die Wirtschaft und vor allem der Mittelstand nach der Krise dastehen?
Natürlich werden die Unternehmen geschwächt sein. Deshalb müssen wir uns jetzt ein Programm überlegen, das die Wettbewerbsfähigkeit stärkt – damit die Unternehmen wieder voll loslegen können. Ich sehe eine große Gefahr. Die Liquiditätskrise kann für die Unternehmen schnell zur Schuldenkrise werden. Und das ist für den Mittelstand besonders gefährlich. Hier stehen gerade viele Familienunternehmen vor der Frage: „Packen wir die Zeit nach der Krise wieder und kann man die Kredite überhaupt zurückzahlen?“
Wie wollen Sie dem Mittelstand nach der Krise konkret helfen?
Zuerst muss die Botschaft lauten, keine neuen Belastungen für die Wirtschaft und Arbeitsplätze. Deshalb halte ich Forderungen seitens der SPD nach einer Vermögensabgabe für fatal. Vor allem für den Mittelstand und die vielen Familienunternehmen wäre das Gift. Gerade diese
Unternehmen brauchen eine andere Botschaft vonseiten der Politik. Steuererleichterungen, Abbau von Bürokratie, Digitalisierung sowie sichere und günstige Energiepreise.
Das mag sein. Aber wir müssen doch alles tun, um eine Rezession und steigende Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Die vielen mittelständischen Unternehmer haben genauso wie ihre Beschäftigten Angst um ihre Zukunft. Wenn diese Unternehmer, die sowieso schon große Sorgen haben, nun auch noch mit noch höheren Steuern und Belastungen belegt werden sollen, verzweifeln die komplett.
Im baden-württembergischen Mittelstand werden die Rufe nach einer Strategie zum Beenden der Corona-Beschränkungen lauter. Wie lange kann sich die deutsche Volkswirtschaft den Shutdown leisten?
Absolute Priorität ist, die Pandemie in den Griff zu bekommen und die Infektionsketten zu durchbrechen. Aber natürlich ist es wichtig, nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Menschen, dass Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist. Die Menschen wollen wissen, wann es wieder losgeht mit dem normalen Leben. Das geht ja jedem von uns so. Ich hoffe, dass wir da eine Woche nach Ostern klarer sehen.
Wie stellen Sie es sich vor, wenn ein System wie die deutsche Volkswirtschaft nach und nach wieder hochgefahren wird? Wie kann das funktionieren?
Das Hochfahren wird sich natürlich auch an medizinischen Kriterien zum Schutz der Bevölkerung orientieren müssen. Konkret heißt das, wie viele Personen bewegen sich an einem Ort. Wir werden dann zuerst dort das wirtschaftliche Leben wieder möglich machen, wo weniger die Gefahr besteht, dass sich viele Menschen infizieren. Deshalb wird der Besuch des Bekleidungsgeschäfts viel früher wieder möglich sein, als der Besuch einer Großveranstaltung mit 10 000 Menschen.
Wie stark stürzt die Wirtschaft ab?
Die Wirtschaftswissenschaftler gehen von einem sogenannten V-Szenario aus. Das heißt, dass dem starken Absturz der Wirtschaft, die gerade praktisch zum Erliegen kommt, ein hoffentlich relativ rasches Hochfahren folgt. Die Wirtschaftsweisen prognostizieren ein Minus von etwas mehr als fünf Prozent. Wenn es so kommt, ist das für die Wirtschaft und unser Land noch verkraftbar und wir sind mit einem blauen Auge davongekommen.