Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Umstritten
Der erste Auftritt bestätigte die Zweifler. Stockend und fahrig gab Dominic Raab am Montagabend der BBC ein erstes Statement in seiner neuen Funktion als amtierender Premierminister. Amtsinhaber Boris Johnson sei auf der Intensivstation des Londoner St.-Thomas-Krankenhauses in besten Händen, beteuerte der britische Außenminister, dem als „Erster Staatsminister“die Vertretung für den Covid-19-Patienten zugefallen war. Im Übrigen verfüge die Regierung über ein „unglaublich starkes Teamgefühl“.
Raab halten viele als Übergangspremier für ungeeignet. Tatsächlich ist der gelernte Anwalt in seiner insgesamt gut einjährigen Kabinettszugehörigkeit durch keinerlei nennenswerte Initiativen aufgefallen. Im Foreign Office haftet ihm der wenig schmeichelhafte Spitzname „Dim Dom“, doofer Dominic, an.
Wie viele andere Mitglieder des an mediokren und unerfahrenen Ministern reichen Kabinetts verdankt Raab seinen Aufstieg dem Brexit. Der langjährige EU-Feind hatte unter dem früheren Premier David Cameron erste Gehversuche in der Regierung machen dürfen. Camerons Nachfolgerin Theresa May machte ihn erst zum Staatssekretär, berief ihn im Sommer 2018 als Brexitminister ins Kabinett. Den Posten bekleidete Raab nur vier Monate. Aus Protest gegen Mays Kompromisskurs trat er zurück und hielt fortan den Parteifreunden Reden darüber, man müsse „den großartigen britischen Underdog“von der Leine lassen. Dass der Fanclub des Ehrgeizlings in der konservativen Fraktion wenig Mitglieder zählte, erwies sich im Rennen um Mays Nachfolge: Bereits in der zweiten Runde der Fraktionsabstimmungen schied Raab aus. Dass er fortan loyal zu Johnson hielt, belohnte dieser mit der Ernennung zum De-facto-Vizepremier. Sollte der verheiratete Vater von zwei Kindern tatsächlich dauerhaft Johnsons Nachfolge übernehmen, wäre er der erste Jude im Amt des Premierministers seit Benjamin Disraeli (1804-81). Sebastian Borger