Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Streit um die Exit-Strategie
Von der Kanzlerin bis zum SPD-Chef mahnen Politiker: Die Corona-Zeit ist längst nicht überstanden
BERLIN (dpa) - Bürger und Unternehmen brauchen in der CoronaKrise noch einen langen Atem. Spitzenpolitiker der Großen Koalition machten am Wochenende deutlich, dass eine Lockerung der Kontaktund Ausgehbeschränkungen wohl frühestens nach Ostern ansteht – dennoch wird auch der Ruf nach Perspektiven für die Zeit nach dem Ausnahmezustand lauter. Im Vordergrund stehen aber die Sorge um das Gesundheitssystem und nach neuen Wegen, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen.
Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Menschen um Geduld bat, forderte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Anwärter auf den CDU-Vorsitz, Armin Laschet, über eine Strategie für eine künftige Lockerung der Einschränkungen nachzudenken. „Der Satz, es sei zu früh, über eine Exit-Strategie nachzudenken, ist falsch“, schrieb er in einem Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“. „Jetzt ist die Zeit, Maßstäbe für die Rückkehr ins soziale und öffentliche Leben zu entwickeln, damit auch diese Entscheidung anhand transparenter Kriterien erfolgt.“Aber auch Laschet betonte im ZDF, dass man noch nicht über das Ende der Maßnahmen spekulieren könne.
Merkel sagte in ihrem Podcast vom Samstag, niemand könne derzeit guten Gewissens sagen, wie lange diese „schwere Zeit“anhalte. Ihr Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) wurde konkreter: „Wir reden jetzt bis zum 20. April nicht über irgendwelche Erleichterungen“, sagte er dem „Tagesspiegel“. Das ist eine Woche nach Ostern, in einigen Bundesländern gelten die Regeln ohnehin bis zu diesem Zeitpunkt.
Einschränkungen für Geschäfte, Schulen, Kitas und den Kontakt hatten Kanzlerin und Ministerpräsidenten stufenweise beschlossen. In den kommenden Wochen würden sie die Entwicklung der Neuinfektionen bewerten, sagte Braun der Deutschen Presse-Agentur. „Bis heute gibt diese der Bundesregierung keinen Anlass, eine Aufhebung von Maßnahmen zu erwägen.“Letztlich fallen die Beschränkungen allerdings in die Zuständigkeit der Bundesländer.
Als Messlatte für eine Trendwende und als Entscheidungsgrundlage für eine Lockerung der Einschränkungen sieht Braun die Entwicklung der Infektionsgeschwindigkeit. Noch verdoppelten sich die Fallzahlen zu schnell, sagte Merkel. Unterstützung bekam sie unter anderem vom Koalitionspartner SPD: Die schnellstmögliche Rückkehr zur Normalität sei „unser aller Ziel“, sagte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans der FunkeMediengruppe. „Aber so weit sind wir noch nicht. Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Mahnung recht. Die Spitze der Infektionswelle steht uns noch bevor.“
Walter-Borjans sagte, selbstverständlich müsse die schrittweise Rücknahme der Einschränkungen verantwortungsbewusst geplant werden. „Aber bitte in dem Wissen, dass das Schüren falscher Erwartungen die mühsam erreichten Verhaltensänderungen aufs Spiel setzt.“Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte der „Bild am Sonntag“: „Ich rate allen dringend davon ab, eine Lockerung an wirtschaftliche Fragen zu knüpfen.“Es gehe um Leben und Tod.
„Eine offene Debatte, wie wir aus der Krise herauskommen, ist notwendig“, sagte auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann. Man müsse sie sachlich führen. „Alarmismus ist das Gegenteil von Vernunft und Sachlichkeit, die jetzt so dringend nötig sind.“
FDP-Chef Christian Lindner hatte bereits eine Exit-Strategie gefordert und legte nun nach: „Der jetzige Zustand darf keinen Tag länger dauern, als es medizinisch geboten ist“, sagte er der Funke-Mediengruppe. Der jetzige Zustand sei für jeden Einzelnen und für das wirtschaftliche Leben eine große Belastung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, hatte in einem Gastbeitrag für den „Spiegel“geschrieben: „Lange werden sich das die Leute nicht mehr gefallen lassen. Zugespitzt formuliert: Bald könnte Revolution in der Luft liegen, wenn das so weitergeht.“
Als Chance im Kampf gegen eine Ausbreitung sehen Politiker auch, Kontaktpersonen von Infizierten über Handydaten zu ermitteln und zu informieren. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber zeigte sich offen für die Nutzung einer Anti-Corona-App auf freiwilliger Basis. Zu einer Handy-Ortung über die Funkzellen hingegen äußerte er sich in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe erneut kritisch.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte solche Pläne nach Kritik zunächst zurückgestellt. SPDChefin Saskia Esken twitterte nun: „Eine App, die Menschen freiwillig nutzen, um ihre Gesundheit und die der anderen zu schützen, und die dabei nicht mal den Datenschutz verletzt – die ist geeignet, die ist verhältnismäßig, die würde ich befürworten.“Auch Grünen-Chef Robert Habeck zeigte sich offen. Entscheidend sei die Freiwilligkeit“, sagte er der „Welt am Sonntag“.