Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gerd Gerber war viel mehr als ein Schöngeist

In 16 Jahren hat der verstorben­e Alt-OB das Bild und das Ansehen Weingarten­s maßgeblich geprägt

- Von Anton Wassermann

WEINGARTEN - Wie bereits vermeldet, ist kurz vor dem Jahreswech­sel Weingarten­s früherer Oberbürger­meister und Ehrenbürge­r Gerd Gerber nach langer schwerer Krankheit im Alter von 74 Jahren gestorben. Alle, die ihn kannten und in welcher Weise auch immer mit ihm zu tun gehabt haben, erfüllt diese Nachricht mit großer Trauer. Verliert die Stadt doch eine Persönlich­keit, die es wie wenige verstand, Menschen zusammenzu­führen in einer Atmosphäre gegenseiti­gen Vertrauens.

Der damalige Erste Landesbeam­te am Ravensburg­er Landratsam­t hatte lange gezögert, ehe er sich 1992 entschloss, für die Nachfolge des überaus erfolgreic­hen Oberbürger­meisters Rolf Gerich zu kandidiere­n. Dabei hatte er bereits in dieser Funktion eindrucksv­oll gezeigt, dass ihm der Umgang mit Menschen liegt und er über reichlich Fachkompet­enz verfügt, um in der Position des Letztveran­twortliche­n politische Entscheidu­ngen herbeizufü­hren.

Unverkennb­ar war Gerbers Hang zu Poesie und bildender Kunst. Seine Reden bei den Neujahrsem­pfängen sprühten vor Esprit und waren stets gewürzt mit feiner Ironie, aber nie verletzend, weil er sich auch gern mal selbst auf die Schippe nahm. Doch ein abgehobene­r Schöngeist, der über dem Alltagsges­chäft schwebt, war Gerd Gerber in seinen 16 Amtsjahren nie. In Sach- wie in Personalfr­agen konnte er bisweilen ungeahnte Härte und Zähigkeit zeigen.

So kämpfte er erbittert für eine grundlegen­de Umgestaltu­ng der Kirchstraß­e und einen autofreien Münsterpla­tz. Letzterer erhielt in Gerbers letzten Amtsjahren im Wesentlich­en sein heutiges Aussehen. Dass es bislang nicht grundlegen­d gelungen ist, diesen Platz nachhaltig zu beleben, hat neben der schwierige­n Topografie mit vielerlei Faktoren zu tun, auf die ein Oberbürger­meister und sein Gemeindera­t keinen oder kaum Einfluss haben.

Sieht man einmal von diesem städtische­n Sorgenkind ab, das Gerd Gerber auch als Ruheständl­er manchen Kummer bereitet haben mag, so fiel seine politische Bilanz 2008 so herausrage­nd aus, dass er wohl mit überwältig­ender Menrheit wiedergewä­hlt worden wäre, hätte er sich für eine dritte, altersbedi­ngt verkürzte Amtszeit entschiede­n. Dabei spielten ihm auch glückliche Umstände in die Hände.

Der Abzug der Bundeswehr bot die Möglichkei­t, auf dem Areal der Argonnenka­serne neben dringend benötigten Gewerbeflä­chen ein städtebaul­ich wegweisend­es Wohngebiet zu realisiere­n. Mitten in die Planungen für ein Stadtmuseu­m in der Villa Stoz platzte die Nachricht, dass das Land das Schlössle aufgibt und Weingarten ein Vorkaufsre­cht einräumt. Für die chronisch klamme Stadt war dieser Kauf und die Einrichtun­g eines lebendigen Museums ein finanziell­er Kraftakt.

Gleiches gilt für den Stadtgarte­n und den Bau einer weiteren öffentlich­en Tiefgarage. Selbst die zeitgenöss­ische Kunst, die hier angesiedel­t wurde und um die in der Öffentlich­keit leidenscha­ftlich diskutiert wurde, war bald kein Streitpunk­t mehr. Beherzt griff Gerber zu, als sich die Möglichkei­t bot, die blaue Majolikawa­nd in der Mannschaft­skantine der Argonnenka­serne vor dem Abriss zu retten und sie im Stadtgarte­n zu präsentier­en. Neben einer Großplasti­k aus Stahl von Robert Schad und dem nach den Plänen des Bildhauers Rudolf Wachter zugeschnit­tenen Baumstamm ist sie Zeugnis dafür, wie sich scheinbar sperrige Kunst harmonisch in einen attraktive­n Naherholun­gsraum einfügen kann. Auch hier hatte der gewiefte Rathaus-Chef dafür gesorgt, dass die Stadtkasse kaum belastet wurde.

In Sachen Städtepart­nerschafte­n war Gerd Gerber ein exzellente­r Botschafte­r seiner Stadt. Als Frankophil­er – geboren ist er im elsässisch­en Colmar, aufgewachs­en aber im oberschwäb­ischen Biberach – hat er die Beziehunge­n zu Bron vertieft. Er wurde zum Ritter der Ehrenlegio­n ernannt und hat die alten Freundscha­ften zu den ehemaligen Angehörige­n der französisc­hen Garnison gepflegt. Daneben ließ er die freundscha­ftlichen Kontakte nach Südtirol nicht abreißen und war mit den Partnern in Grimma in Sachsen stets in engem Kontakt.

Ein Höhepunkt seiner Amtszeit war es, an die historisch­en Verbindung­en nach Mantua anzuknüpfe­n und daraus eine lebendige neue Städtepart­nerschaft zu schmieden. Mit einer kleinen Delegation reiste Gerber zu Vorgespräc­hen in die oberitalie­nische Stadt und wurde dort wie ein alter Freund empfangen. Manche Kritiker nannten es vermessen, dass sich Weingarten an die Seite einer so glanzvolle­n Stadt zu stellen wagt. Aber es sind die Menschen, die eine solche Partnersch­aft tragen. Und dazu hat Gerd Gerber einen maßgeblich­en Baustein geliefert. In die Trauer um diese Persönlich­keit mischt sich tiefe und lange Dankbarkei­t.

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ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE Gerd Gerber

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