Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Psychotherapeuten warnen vor Spahns Gesetz
Verbände befürchten, Patienten wird der Zugang zu Behandlungen erschwert – Riebsamen teilt die Kritik
RAVENSBURG - Wer auf die Behandlung durch einen Psychotherapeuten wartet, braucht Geduld. Je nach Region sind mehrere Monate Wartezeit möglich. Dem soll das Terminserviceund Versorgungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) abhelfen, das diese Woche in den Bundestag kommt. Doch Verbände der Psychotherapeuten warnen: Die Neuregelung könnte Patienten den Zugang zu einer Behandlung sogar noch erschweren. Eine Petition beim Bundestag hatten bis Dienstagabend mehr als 140 000 Menschen unterzeichnet. Am Donnerstag endet die Zeichnungsfrist, danach diskutiert der Bundestag die Neuregelungen.
Die Kritik der Psychotherapeuten zielt auf eine Textpassage, in der von einer „gestuften Steuerung“der Patienten die Rede ist. Das würde bedeuten, dass ein Patient keinen direkten Zugang mehr zum Psychotherapeuten seiner Wahl hat. Stattdessen müsste er erst einen Gutachter treffen, der über Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Therapie entscheidet. Bislang können Menschen mit psychischen Beschwerden selbstständig einen Termin mit einem Psychotherapeuten vereinbaren – mit dem neuen Gesetz wäre das nicht mehr möglich. „Für Patienten wäre das eine zusätzliche Hürde und eine Diskriminierung, die es bei keiner anderen Krankheitsart gibt“, kritisiert Ulrike Böker, niedergelassene Psychotherapeutin in Reutlingen und Vorsitzende des Verbands der Vertragspsychotherapeuten Südwürttemberg. Zudem sei offen, wer die Erstbegutachtung vornehmen solle, wenn nicht ein Psychotherapeut, der dafür am besten ausgebildet sei. Im Gesetzentwurf ist von einem „qualifizierten Behandler“die Rede.
Auch die Landesregierungen sind von Spahns Plan wenig begeistert. „Diese Regelung ist unsinnig und muss unbedingt gestrichen werden“, hatte der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) Ende November im Bundesrat gefordert. Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) will ebenfalls, dass die „gestufte Steuerung“gestrichen wird. Allerdings ist das Gesetz nicht von der Zustimmung der Bundesländer abhängig; der Bundesrat darf nur eine Stellungnahme abgeben.
Minister ist gesprächsbereit
Der CDU-Gesundheitsexperte Lothar Riebsamen nimmt die Kritik ernst. „Der Gesetzestext ist im Entwurf missverständlich“, räumt der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Bodensee ein. „Es ist durchaus so, dass Patienten mit Berührungsängsten fernbleiben könnten.“Es gehe nicht um eine zusätzliche Instanz, „sondern darum, dass eine schwere Depression Vorrang vor einer harmloseren Diagnose hat“. Auch Bundesgesundheitsminister Spahn signalisiert Gesprächsbereitschaft. Im Januar will er Vertreter der Berufsverbände der Psychotherapeuten treffen.
Hintergrund der Diskussion ist, dass die Nachfrage nach Psychotherapie in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Deswegen wurde schon mehrmals der Zugang zu Psychotherapie neu geregelt. Seit April 2017 muss jeder Psychotherapeut Sprechstunden für Neupatienten frei halten – auch dies ist als eine Art Steuerung gedacht. Außerdem gibt es die Terminservicestellen der kassenärztlichen Vereinigungen, die den Patienten Fachärzte und seit 2017 eben auch Psychotherapeuten vermitteln. Das werde aber nicht überall gleichermaßen angenommen, berichtet die südwürttembergische Verbandsvertreterin Böker: Während etwa in Reutlingen und Tübingen viele Patienten über die Terminservicestelle ihren Weg in die Praxen finden, sei die Nachfrage in Ulm und Ravensburg eher verhalten.