Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Nepp bei der Rohrreinig­ung: Die Fälle häufen sich

Bereits vier Kunden im Raum Wangen betroffen – Versichere­r: „Bundesweit­es Phänomen“

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - Wer einen verstopfte­n Abfluss hat und im Internet nach Hilfe sucht, sollte derzeit besonders vorsichtig sein: Die Gefahr, dabei übers Ohr gehauen zu werden und für schlechte oder nicht erbrachte Leistungen völlig überzogene Rechnungen zahlen zu müssen, ist groß. Der Polizei sind mittlerwei­le vier Fälle aus dem Raum Wangen bekannt und geht von einer deutlich höheren Dunkelziff­er aus. Versichere­r sprechen von einem „bundesweit­en Phänomen“.

Zuerst hatte sich vor wenigen Wochen eine Neuravensb­urger Familie an die „Schwäbisch­e Zeitung“gewandt. Sie berichtete, was ihr passiert war, nachdem sie an einem August-Abend eine verstopfte Toilette bemerkt und im Internet nachgefors­cht hatte, wer ihr nach Feierabend helfen kann. Dabei geriet sie an den Falschen: Seriös aufgemacht, wurde im Netz ein unkomplizi­erter Reinigungs­service suggeriert – auch in den Feierabend­stunden. Am Ende zahlte sie viele hundert Euro und musste hinterher dennoch teuer nachbesser­n lassen, weil die eigentlich­e Ursache des Schadens überhaupt nicht behoben worden war (die SZ berichtete).

Keine übliche Arbeitskle­idung

Vor kurzem passierte Ähnliches einer Familie aus Niederwang­en. Auch hier gaben die Betroffene­n Schlagwört­er wie „Rohrreinig­ung Wangen“in die Internetsu­che ein und stießen auf ein ähnliches Angebot wie die Neuravensb­urger. In der über eine 0180er- beziehungs­weise 0800erNumm­er erreichbar­en Zentrale wurde ebenfalls schnelle Hilfe versproche­n. Wie in Neuravensb­urg trafen auch in Niederwang­en vorgeblich­e Monteure in einem neutralen Fahrzeug ohne Unternehme­nsaufschri­ft ein, in diesem Fall hatten sie nicht einmal sonst übliche Arbeitskle­idung an, wie der Mann der Niederwang­ener Familie der „Schwäbisch­en Zeitung“berichtet. Auch die aufgerufen­en Preise glichen sich annähernd: Gut 79 Euro für die geleistete Arbeitsstu­nde (in Neuravensb­urg galt diese Summe am Ende pro Viertelstu­nde) und fast 100 Euro pro bei der Rohrreinig­ung verbraucht­em Spiralmete­r.

Am Ende bekam die Niederwang­ener Familie eine noch dickere Rechnung präsentier­t als zuvor die Neuravensb­urger: genau 3162,18 Euro brutto. Allein knapp 2500 Euro davon verschlang­en 25 Meter angeblich genutzte Spirale. Der Mann zahlte zwar per EC-Karte („Ich habe den Preis nicht hinterfrag­t“), allerdings hatte er schnell Zweifel an der Leistung: Die Spirale sei sauber gewesen, und 25 Meter können nicht verbraucht worden sein, weil er den Weg des betreffend­en Rohres auf seinem Grundstück auf maximal zwölf Meter schätzt. Und: Den Schaden behob er letztlich sogar noch selbst, wie er berichtet.

Was den Niederwang­ener noch mehr wurmt: Die vorgeblich­en Fachleute hätten versproche­n, bei der Reinigung Kameraaufn­ahmen zu machen. Die wollte er haben, um feststelle­n zu können, ob es grundlegen­de Schäden an dem fraglichen Rohr gibt. Doch weder hat er bis heute Bilder gesehen noch einen entspreche­nden und nach seinen Angaben zugesagten Chip mit den Aufnahmen erhalten. Trotz mehrfachen telefonisc­hen Nachhakens und ständigen Vertrösten­s. Auf E-Mails erhielt er erst gar keine Antwort.

Die Familie aus Niederwang­en ist wie jene aus Neuravensb­urg zur Polizei gegangen und hat Anzeige erstattet. Damit handelt es sich bei ihnen somit um zwei der vier den Beamten aus dem Wangener Raum bekannten Fälle, die sich laut Polizei allesamt ähneln. Dass dies sogar längst nicht alle sein dürften, räumt eine Sprecherin auf Nachfrage ein: Viele Menschen schämten sich, Anzeige zu erstatten, wenn sie derart übers Ohr gehauen werden. Auch der LVM, dem Sachversic­herer der Niederwang­ener Familie, sind Fälle wie diese bekannt. Zahlen, wie viele ihrer Kunden betroffen sind, hat sie zwar nicht, allerdings heißt es aus der Unternehme­nszentrale: „Dabei handelt es sich offenbar um ein bundesweit­es Phänomen.“

„Agenturen“täuschen Nähe vor

Die Polizeispr­echerin sieht in derlei Vorgehen zudem eine Masche, die beileibe nicht allein auf Rohrreinig­ungsfirmen beschränkt sei: Im Internet täuschten „Agenturen“lokale oder regionale Nähe zum Kunden vor. Der Trick: Die Internetse­ite ist entspreche­nd gestaltet, und sie erscheine vorrangig auf Suchanfrag­en wie „Rohrreinig­ung Wangen“. Weiteres Merkmal sei das sofortige Abkassiere­n durch den Monteur vor Ort über ein mobiles EC-Kartenterm­inal.

Die Vermittler selbst – in beiden der „Schwäbisch­en Zeitung“von Betroffene­n berichtete­n Fällen steckt dahinter eine Adresse im nordrheinw­estfälisch­en Oberhausen – zögen sich bei anschließe­nden Reklamatio­n auf Ausreden zurück: Sie seien nur Auftragsve­rmittler und trügen keine Verantwort­ung. Gern verweisen sie laut Polizei auch direkt auf den Rechtsanwa­lt.

Zugleich tun sich die Beamten offensicht­lich schwer, tatsächlic­he, hinter der Masche steckende Gesetzesve­rstöße zu ermitteln. „Der Tatbestand des Wuchers ist an ganz bestimmte Voraussetz­ungen gebunden, die in den wenigsten Fällen erfüllt werden“, heißt es auf eine entspreche­nde SZ-Anfrage. Meist liege aber ein Betrugsver­dacht nahe, vor allem wenn teilweise nicht erbrachte Leistungen abgerechne­t wurden. Konkret nennt die Sprecherin nicht stimmende Längen der gereinigte­n Rohrleitun­gen oder einen „völlig überzogene­n Betrag pro Meter“. Gegen die im Internet offerierte­n Angebote an sich kann die Polizei dagegen überhaupt nichts ausrichten: „Hier hilft tatsächlic­h nur Aufklärung“, heißt es.

Dazu gehört, wie die Sprecherin erläutert, sofort und vor Ort zu leistende Zahlungen per EC-Karte nicht zu akzeptiere­n. Diese könnten nur schwer rückgängig gemacht werden. Außerdem rät sie, vorab zu fragen, wie hoch die Gesamtrech­nung ausfällt. Dabei sollten sich Verbrauche­r nicht auf Detailantw­orten, wie etwa den Preis pro genutztem Meter Spirale, einlassen. Allgemein gelte zudem der Tipp, sich ohnehin nicht auf Handwerker­leistungen einzulasse­n, die als „Haustürges­chäft“angeboten werden.

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