Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Nepp bei der Rohrreinigung: Die Fälle häufen sich
Bereits vier Kunden im Raum Wangen betroffen – Versicherer: „Bundesweites Phänomen“
WANGEN - Wer einen verstopften Abfluss hat und im Internet nach Hilfe sucht, sollte derzeit besonders vorsichtig sein: Die Gefahr, dabei übers Ohr gehauen zu werden und für schlechte oder nicht erbrachte Leistungen völlig überzogene Rechnungen zahlen zu müssen, ist groß. Der Polizei sind mittlerweile vier Fälle aus dem Raum Wangen bekannt und geht von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Versicherer sprechen von einem „bundesweiten Phänomen“.
Zuerst hatte sich vor wenigen Wochen eine Neuravensburger Familie an die „Schwäbische Zeitung“gewandt. Sie berichtete, was ihr passiert war, nachdem sie an einem August-Abend eine verstopfte Toilette bemerkt und im Internet nachgeforscht hatte, wer ihr nach Feierabend helfen kann. Dabei geriet sie an den Falschen: Seriös aufgemacht, wurde im Netz ein unkomplizierter Reinigungsservice suggeriert – auch in den Feierabendstunden. Am Ende zahlte sie viele hundert Euro und musste hinterher dennoch teuer nachbessern lassen, weil die eigentliche Ursache des Schadens überhaupt nicht behoben worden war (die SZ berichtete).
Keine übliche Arbeitskleidung
Vor kurzem passierte Ähnliches einer Familie aus Niederwangen. Auch hier gaben die Betroffenen Schlagwörter wie „Rohrreinigung Wangen“in die Internetsuche ein und stießen auf ein ähnliches Angebot wie die Neuravensburger. In der über eine 0180er- beziehungsweise 0800erNummer erreichbaren Zentrale wurde ebenfalls schnelle Hilfe versprochen. Wie in Neuravensburg trafen auch in Niederwangen vorgebliche Monteure in einem neutralen Fahrzeug ohne Unternehmensaufschrift ein, in diesem Fall hatten sie nicht einmal sonst übliche Arbeitskleidung an, wie der Mann der Niederwangener Familie der „Schwäbischen Zeitung“berichtet. Auch die aufgerufenen Preise glichen sich annähernd: Gut 79 Euro für die geleistete Arbeitsstunde (in Neuravensburg galt diese Summe am Ende pro Viertelstunde) und fast 100 Euro pro bei der Rohrreinigung verbrauchtem Spiralmeter.
Am Ende bekam die Niederwangener Familie eine noch dickere Rechnung präsentiert als zuvor die Neuravensburger: genau 3162,18 Euro brutto. Allein knapp 2500 Euro davon verschlangen 25 Meter angeblich genutzte Spirale. Der Mann zahlte zwar per EC-Karte („Ich habe den Preis nicht hinterfragt“), allerdings hatte er schnell Zweifel an der Leistung: Die Spirale sei sauber gewesen, und 25 Meter können nicht verbraucht worden sein, weil er den Weg des betreffenden Rohres auf seinem Grundstück auf maximal zwölf Meter schätzt. Und: Den Schaden behob er letztlich sogar noch selbst, wie er berichtet.
Was den Niederwangener noch mehr wurmt: Die vorgeblichen Fachleute hätten versprochen, bei der Reinigung Kameraaufnahmen zu machen. Die wollte er haben, um feststellen zu können, ob es grundlegende Schäden an dem fraglichen Rohr gibt. Doch weder hat er bis heute Bilder gesehen noch einen entsprechenden und nach seinen Angaben zugesagten Chip mit den Aufnahmen erhalten. Trotz mehrfachen telefonischen Nachhakens und ständigen Vertröstens. Auf E-Mails erhielt er erst gar keine Antwort.
Die Familie aus Niederwangen ist wie jene aus Neuravensburg zur Polizei gegangen und hat Anzeige erstattet. Damit handelt es sich bei ihnen somit um zwei der vier den Beamten aus dem Wangener Raum bekannten Fälle, die sich laut Polizei allesamt ähneln. Dass dies sogar längst nicht alle sein dürften, räumt eine Sprecherin auf Nachfrage ein: Viele Menschen schämten sich, Anzeige zu erstatten, wenn sie derart übers Ohr gehauen werden. Auch der LVM, dem Sachversicherer der Niederwangener Familie, sind Fälle wie diese bekannt. Zahlen, wie viele ihrer Kunden betroffen sind, hat sie zwar nicht, allerdings heißt es aus der Unternehmenszentrale: „Dabei handelt es sich offenbar um ein bundesweites Phänomen.“
„Agenturen“täuschen Nähe vor
Die Polizeisprecherin sieht in derlei Vorgehen zudem eine Masche, die beileibe nicht allein auf Rohrreinigungsfirmen beschränkt sei: Im Internet täuschten „Agenturen“lokale oder regionale Nähe zum Kunden vor. Der Trick: Die Internetseite ist entsprechend gestaltet, und sie erscheine vorrangig auf Suchanfragen wie „Rohrreinigung Wangen“. Weiteres Merkmal sei das sofortige Abkassieren durch den Monteur vor Ort über ein mobiles EC-Kartenterminal.
Die Vermittler selbst – in beiden der „Schwäbischen Zeitung“von Betroffenen berichteten Fällen steckt dahinter eine Adresse im nordrheinwestfälischen Oberhausen – zögen sich bei anschließenden Reklamation auf Ausreden zurück: Sie seien nur Auftragsvermittler und trügen keine Verantwortung. Gern verweisen sie laut Polizei auch direkt auf den Rechtsanwalt.
Zugleich tun sich die Beamten offensichtlich schwer, tatsächliche, hinter der Masche steckende Gesetzesverstöße zu ermitteln. „Der Tatbestand des Wuchers ist an ganz bestimmte Voraussetzungen gebunden, die in den wenigsten Fällen erfüllt werden“, heißt es auf eine entsprechende SZ-Anfrage. Meist liege aber ein Betrugsverdacht nahe, vor allem wenn teilweise nicht erbrachte Leistungen abgerechnet wurden. Konkret nennt die Sprecherin nicht stimmende Längen der gereinigten Rohrleitungen oder einen „völlig überzogenen Betrag pro Meter“. Gegen die im Internet offerierten Angebote an sich kann die Polizei dagegen überhaupt nichts ausrichten: „Hier hilft tatsächlich nur Aufklärung“, heißt es.
Dazu gehört, wie die Sprecherin erläutert, sofort und vor Ort zu leistende Zahlungen per EC-Karte nicht zu akzeptieren. Diese könnten nur schwer rückgängig gemacht werden. Außerdem rät sie, vorab zu fragen, wie hoch die Gesamtrechnung ausfällt. Dabei sollten sich Verbraucher nicht auf Detailantworten, wie etwa den Preis pro genutztem Meter Spirale, einlassen. Allgemein gelte zudem der Tipp, sich ohnehin nicht auf Handwerkerleistungen einzulassen, die als „Haustürgeschäft“angeboten werden.