Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kein Strom für Bahnstrecken
Grüne kritisieren zu geringe Mittel für Elektrifizierung
STUTTGART (tja) - Eigentlich will die Bundesregierung bis 2025 rund 70 Prozent aller Bahnstrecken in Deutschland elektrifizieren, zehn Prozent mehr als heute. So steht es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Doch statt eines Sonderprogramms sind für 2019 fünf Millionen Euro vorgesehen. Damit lassen sich etwa drei Kilometer nachrüsten. Bleibt es dabei, hat das erhebliche Konsequenzen für Baden-Württemberg. Strecken wie die Bodenseegürtelbahn oder die Zollernalbbahn ab Sigmaringen sollten bis 2025 elektrifiziert werden. Doch ohne Sondermittel des Bundes ist fraglich, ob das klappt. „Fünf Millionen Euro für 2019 sind schlichtweg ein Witz“, so Grünen-Bahnexperte Daniel Renkonen.
Für Bahnkunden heißt das: Auf Verbindungen etwa nach Stuttgart gäbe es Wartezeiten. Denn an manchen Bahnhöfen müssten vor der Weiterfahrt Dieselloks ab- und ELoks angekoppelt werden.
STUTTGART - Schlechte Nachrichten für Bahnkunden: Der Bund plant derzeit wenig zusätzliches Geld ein, um weitere Trassen neben der Südbahn zu elektrifizieren. Ohne Geld aus Berlin ist die Modernisierung der Bodenseegürtelbahn, der Zollernalbbahn ab Sigmaringen, des Ringzugs Villingen-Schwenningen/Rottweil und der Brenzbahn nach Ulm-Aalen bis 2025 fraglich. Damit gäbe es so bald keine direkte Anbindung an den Tiefbahnhof in Stuttgart oder den Fernverkehr ab Friedrichshafen.
In Deutschland stehen derzeit rund 60 Prozent der etwa 44 000 Schienenkilometer unter Strom. Im EU-Schnitt sind es 54 Prozent. Doch im Vergleich zu Nachbarstaaten wie Österreich (70 Prozent), Niederlande (76 Prozent) und Schweiz (99 Prozent) hinkt Deutschland deutlich hinterher. In Baden-Württemberg fehlen ebenfalls noch 40 Prozent der Bahnkilometer.
Elektrische Züge sind schneller
Verkehrsexperten fordern seit Jahren, das Schienennetz auf Strom umzustellen. Unter anderem, weil E-Loks rascher beschleunigen und so mehr Züge auf derselben Strecke verkehren können, als wenn die Dieselloks Züge ziehen. Außerdem entfallen Brüche im Gleisnetz. Was die bedeuten, kann man noch immer auf der Strecke von Ulm an den Bodensee beobachten. Dort müssen in Ulm Loks gewechselt werden, weil die Südbahntrasse Richtung Friedrichshafen erst jetzt umgebaut wird. In den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof dürfen ohnehin nur ELoks. Durchgehende Verbindungen ohne Lokwechsel wären nur möglich, wenn etwa die Strecke ab Sigmaringen elektrifiziert würde.
Je mehr Strecken unter Strom stehen, desto mehr Ausweichstrecken stehen zu den großen Trassen zur Verfügung. Als bei Rastatt eine Tunnelbaustelle einstürzte, war die wichtige Verbindung lange komplett gesperrt. Ein Ausweg über die Alb war nicht möglich, die Schienen dort sind nicht elektrifiziert. Außerdem stoßen die E-Loks deutlich weniger klimaschädliche Abgase aus.
Union und SPD hatten sich deshalb viel vorgenommen. Im Koalitionsvertrag der Berliner Bündnispartner heißt es: „Bis 2025 wollen wir 70 Prozent des Schienennetzes in Deutschland elektrifizieren. Mit einer neuen Förderinitiative wollen wir regionale Schienenstrecken elektrifizieren.“Doch im Entwurf für den Bundeshaushalt sind gerade einmal fünf Millionen Euro für Elektrifizierungsmaßnahmen vorgesehen. „Fünf Millionen Euro für 2019 für die vollmundig angekündigte Elektrifizierungsoffensive sind schlichtweg ein Witz. Der Bund muss deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die Schiene in unserem Hochtechnologieland zukunftsfähig zu machen“, sagt Daniel Renkonen, Verkehrsexperte der Grünen im Landtag.
Auch Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ist enttäuscht. „Der Bund muss das angekündigte Sonderprogramm zur Elektrifizierung und Modernisierung des Bahnnetzes möglichst rasch auf den Weg bringen. Dafür braucht es einen Plan mit Prioritäten und eine auskömmliche Finanzierung.“
Für fünf Millionen Euro lassen sich laut des Verbandes Allianz pro Schiene gerade einmal drei Kilometer bundesweit unter Strom setzen. Für die Folgejahre sehen die Finanzpläne aus Berlin bislang dem Vernehmen nach nur 14 Millionen Euro bis 2021 vor. Das Bundesverkehrsministerium verweist auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“auf die Mittel, die der Bund insgesamt für die Schiene ausgibt. Pro Jahr sind das derzeit rund 5,6 Milliarden Euro. Doch Nachfragen, wie viel davon neben den fünf Millionen Euro für die angekündigte Elektrifizierungsoffensive eingeplant sind, blieben unbeantwortet.
Wichtige Strecken fehlen im Plan
Das Ministerium nennt unter anderem 112,3 Milliarden Euro, die bis 2030 für Maßnahmen fließen sollen, die im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) enthalten sind. Dieser legt fest, welche Bahnstrecken wann gebaut oder saniert werden. Doch wichtige Strecken in Baden-Württemberg sind darin gar nicht erst enthalten – wie die Bodenseegürtelbahn Friedrichshafen-Singen, die Zollernalbbahn (Albstadt-Ebingen – Sigmaringen) und der Ringzug in der Region Villingen-Schwenningen. Allein deren Elerktrifizierung würde rund 220 Millionen Euro kosten.
Außerdem finanziert der Bund zwar Teile kommunaler Strecken. Daran müssen sich Land und Kommunen aber mit je 20 Prozent beteiligen. Zusätzlich tragen die Gemeinden die Planungskosten. „Das Geld im Bundeshaushalt und im Bundesverkehrswegeplan reicht einfach nicht aus, um das Ziel von 70 Prozent Elektrifizierung zu erreichen“, sagt Barbara Mauersberg von der Allianz Pro Schiene.
Für Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann sind das Hiobsbotschaften. Er hatte bereits ein Konzept vorgelegt, um bis 2030 weitere Teile des Streckennetzes im Südwesten zu elektrifizieren. Ob sich dieses realisieren lässt, hängt aber entscheidend von hohen Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt ab. Die FDP hatte Hermann deshalb scharf kritisiert. Er werbe mit Plänen, die nicht finanziert seien.
Der Minister wiederum sieht den Bund ganz klar in der Pflicht. Seine Argumentation: Die Strecken seien zentral für Güter und Reisende. Solche überregional bedeutenden Trassen muss der Bund bezahlen. Dieser aber hatte Hermanns Wünsche bereits mehrfach abgelehnt. Denn Hermann wollte die Strecken in den BVWP einstellen. Der Bund lehnte ab. Begründung: Die Trassen seien nur regional bedeutsam, das Land müsse ihren Ausbau zahlen.