Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
E-Mobilität gefährdet Jobs
Studie geht vom Verlust von 75 000 Arbeitsplätzen aus
FRANKFURT/RAVENSBURG (dpa/ sz) - Die Umstellung auf Elektroantriebe könnte laut einer FraunhoferStudie Zehntausende Beschäftigte in der deutschen Autoindustrie ihre Jobs kosten. Das härteste Szenario geht von einem Neuwagen-Elektroanteil von 80 Prozent im Jahr 2030 aus. Demnach würde mehr als die Hälfte der gut 210 000 Menschen, die derzeit Motoren und Antriebe bauen, ihre Arbeit verlieren. Auch bei einem Anteil von 25 Prozent dürften bis 2030 circa 75 000 Jobs wegfallen. Die Daten für die Studie lieferten die drei Autohersteller BMW, Daimler und Volkswagen sowie die großen Zulieferer Bosch, ZF Friedrichshafen, Mahle und Schaeffler.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann betonte, die Ergebnisse böten keinen Grund zur Angstmacherei. Er forderte „eine zielgerichtete Industrieund Beschäftigungspolitik“der Regierung und eine Qualifizierungsoffensive der Unternehmen.
FRANKFURT/RAVENSBURG - Der Wandel in der Autowelt hin zum Elektroantrieb wird in der deutschen Industrie wohl zum Abbau von mindestens 75 000 Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2030 führen. Das ist ein Ergebnis einer Studie des FraunhoferInstituts für Arbeitswirtschaft und Organisation im Auftrag der IG Metall und des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Untersucht wurden dabei die Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Sparte Antriebstechnik, in der aktuell noch 210 000 Menschen arbeiten. Die Daten dazu lieferten die drei großen Autohersteller BMW, Daimler und Volkswagen sowie die großen Zulieferer Bosch, ZF Friedrichshafen, Mahle und Schaeffler. Insgesamt waren in der deutschen Autoindustrie im vorigen Jahr 840 000 Beschäftigte tätig.
In den 75 000 Arbeitsplätzen sind schon 25 000 Jobs eingerechnet, die durch den Strukturwandel neu entstehen würden. Diese Zahl ist die vorsichtigste Annahme des Fraunhofer-Instituts, das drei Szenarien untersucht hat. Dabei gehen die Studienautoren von einem Anteil von 25 Prozent rein elektrisch angetriebener PKWs in zwölf Jahren aus. Diese Marke wollen die Autobauer eigentlich schon 2025 erreichen. Ein schnellerer Umstieg, bei dem 2030 womöglich schon 80 Prozent der Autos batterieangetrieben sind, würde zum Verlust von fast 110 000 Arbeitsplätzen führen.
Kein Grund zur „Angstmacherei“
Grund zur „Angstmacherei“böten diese Ergebnisse zwar nicht, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann bei der Vorstellung der Studie. In einzelnen Regionen könnte es ohne ein Gegensteuern aber zu heftigen Problemen am Arbeitsmarkt kommen. Bosch-Konzernbetriebsrat Hartwig Geisel weist beispielsweise auf die Werke im saarländischen Homburg und im fränkischen Bamberg hin, deren 13 000 Beschäftigte nahezu ausschließlich Teile für Verbrennungsmotoren bauen. „Da wird die Luft extrem dünn. Neue Technologien müssen hier angesiedelt werden, um die industrielle Basis zu erhalten“, mahnt der Arbeitnehmervertreter. Fraunhofer-Studienleiter Oliver Riedel sieht auch kleinere, auf Verbren- nungsmotor-Komponenten spezialisierte Zulieferer gefährdet.
Die Arbeitsplätze entfallen vor allem deshalb, weil für die Herstellung eines Elektromotors nur ein Sechstel so viele Teile benötigt werden wie für die Produktion eines Verbrennungsmotors, sagte Bernd Osterloh, Gesamtbetriebsratschef des VW-Konzerns. Zudem brauche eine Batteriefabrik nur ein Fünftel der Arbeitskräfte eines Motorenwerks. Ein Elektroauto lasse sich in einem Drittel weniger Arbeitszeit produzieren.
Diese Wertschöpfung fehlt dann – nicht nur in der Autoindustrie, sondern auch in anderen Branchen, wie bei den Stahlherstellern und Maschinenbauern, meint IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Wenn frühzeitig genug darauf reagiert werde, könne der Umbruch sozialverträglich gestaltet werden, sagte er und verwies darauf, dass die Elektromobilität nur einer von mehreren Treibern des Wandels in der Branche sei. Er nannte als weitere Beispiele neue Mobilitätskonzepte, Digitalisierung und autonomes Fahren. Die Herausforderung sei nun, die Beschäftigten sicher und auch mit Perspektive in die Arbeitswelt einer möglichst dekarbonisier- ten und digitalen Gesellschaft zu bringen. Die IG Metall bekenne sich zum Klimaschutz, aber man müsse auch auf die Konditionen achten, mahnte er.
Die Gewerkschaft fordert deshalb zum einen die Unternehmen auf, sich frühzeitig auf diese neuen Strukturen einzustellen, indem sie etwa ihre Mitarbeiter qualifizieren. Der Friedrichshafener Automobilzulieferer ZF etwa bereitet seine Belegschaft mit Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogrammen auf die EMobilität vor. „Die deutlichen Beschäftigungseffekte des Wandels müssen durch gezielte Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen begleitet werden, um möglichst viele zukunftsfähige Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten und neue zu schaffen“, sagte ein ZF-Sprecher. Wie diese laufenden Transformationsprogramme angepasst und intensiviert werden müssen, werde jetzt mit der Arbeitnehmervertretung erarbeitet. Zudem baut ZF mit Hybridgetrieben und Plug-InHybridgetrieben auf eine langfristige Übergangstechnologie, in der das Unternehmen in den kommenden Jahren deutliche Zuwächse erwartet.
Das sehen auch andere so: „Die nächsten zehn bis 15 Jahre wird die Hybridtechnologie, also ein komplexerer Antriebsstrang als heute, unterm Strich zu mehr Produktionsaufwand führen und eventuelle Jobverluste überkompensieren“, prophezeit Hartmut Rauen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Deshalb zeichneten die Zahlen der Fraunhofer-Studie, so Rauen, nur ein „verzerrtes Bild“. Hinzu komme, dass die Technologie des Verbrennungsmotors auch außerhalb der Automobilindustrie breit genutzt und vorangetrieben werde.
Technologien nicht verschlafen
Die Branchenvertreter forderten die Politik auf, den Strukturwandel mit entsprechenden Rahmenbedingungen zu begleiten. „Sonderabschreibungsmöglichkeiten wären für die Ansiedlung von Ankerinvestoren im globalen Standortwettbewerb hilfreich“, nennt Rauen ein Beispiel. BMW-Betriebsrat Peter Cammerer setzt sich dafür ein, dass zumindest die nächste Batteriegeneration der Feststoffzelle in Deutschland entwickelt und hergestellt wird – vie- lleicht in einem großen deutschen Konsortium. „Das wird noch viele Jahre dauern, aber wir müssen das früh genug angehen – gemeinsam mit der deutschen chemischen Industrie und den Forschungsinstituten, die hier mit deutschen Steuermitteln an diesem Thema forschen“, so Crammer.
Das dürfe die deutsche Industrie nicht verschlafen, warnt auch IGMetall-Chef Jörg Hofmann, sonst hätte das gravierende Folgen für die deutsche Wirtschaft. „Dann wird sich das Innovationszentrum der Elektromobilität nach China verlagern.“Das könnte dann auch langfristig dazu führen, dass innovative Elektrofahrzeuge von China nach Europa exportiert werden und nicht das heutige Modell gelte: „Innovationskraft findet in Europa statt.“Die Firma Bosch war vor wenigen Wochen jedoch aus der Forschung für die Batteriezelle ausgestiegen. Das finanzielle Risiko war den Stuttgartern zu groß. „Beim Plasmabildschirm und bei der Solarzellenfertigung haben wir uns in den vergangenen Jahren schon abhängen lassen, warnt Hofmann. Das sollte uns nicht wieder passieren.“