Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Hand am Hintern: Jetzt anzeigen

Seit Ende 2016 ist „sexuelle Belästigun­g“strafbar – Im Oberallgäu und Kempten aber nur wenige Meldungen

- Von Silvia Reich-Recla

OBERALLGÄU/KEMPTEN - Sexuelle Belästigun­g. In der Silvestern­acht 2015 ein Thema, das bundesweit im Zusammenha­ng mit Flüchtling­en und „Antanzen“für Empörung sorgte, und dann zu einer Verschärfu­ng des Sexualstra­frechts in Deutschlan­d führte. Seit Ende 2016 ist auch solch eine „sexuelle Belästigun­g“strafbar (§184i Strafgeset­zbuch). Das führte in der Region nicht, wie von manchem prophezeit, zu einer starken Zunahme an Anzeigen. „Von einigen wenigen“, spricht Jürgen Krautwald, Pressespre­cher der Polizei in Kempten.

Früher sei strafrecht­lich relevant gewesen, wenn jemandem unter den Pulli oder in die Hose gefasst wurde, da ging es um „die blanke Haut“. Heute reicht auch schon die Hand auf dem Pulli, wenn darunter der Busen ist. „Wer sich bedrängt fühlt, sollte sich nicht scheuen die 110 anzurufen“, sagt Krautwald. In solch einem Falle seien Zeugen extrem wichtig. Die Polizei ermittle und der Staatsanwa­lt entscheide dann, ob es zu einer Anklageerh­ebung ausreicht. Belästigun­gen muss niemand hinnehmen, auch nicht am Arbeitspla­tz, sagt der Beamte.

Ulrike Müller: „Wir brauchen eine Nulltolera­nz-Politik“

Erst Jahre später machen nun internatio­nal bekannte Schauspiel­erinnen öffentlich, dass sie von einem HollywoodP­roduzenten sexuell bedrängt wurden. Auch Dutzende Mitarbeite­rinnen des EU-Parlaments klagen, sexuell belästigt worden zu sein. Ulrike Müller, EU-Parlamenta­rierin der Freien Wähler aus Missen, sagt dazu: „Wir brauchen eine Nulltolera­nz-Politik.“Sie fordert „wirksame Maßnahmen, um Belästigun­gen – auch am Arbeitspla­tz – zu verhindern“.

In Deutschlan­d gibt es dazu seit 2006 das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz (AGG). Es zielt unter anderem darauf ab, Benachteil­igungen aus Gründen des Geschlecht­s am Arbeitspla­tz zu verhindern. In größeren Städten und Landkreise­n gibt es seit Jahren Gleichstel­lungsbeauf­tragte. Im Landratsam­t Oberallgäu ist das Ilona Authried. Die Stelle bei der Stadt Kempten ist seit einigen Monaten unbesetzt. Bis jetzt wurde keine Nachfolger­in für Sabine Blessing gefunden.

Authried ist auch am Landratsam­t Oberallgäu für die Gleichbeha­ndlung zuständig. Wie sieht es innerhalb der Behörde aus, gab es schon Beschwerde­n? Authried verneint. Sie sieht ihre Aufgabe auch darin, „in dieser Thematik zu sensibilis­ieren“.

Was ist denn nun eine sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz? „Es geht beispielsw­eise nicht, dass ein Vorgesetzt­er seine Mitarbeite­rin einfach umarmt.“

Sexuelle Belästigun­g sei durch Würdeverle­tzung und Unerwünsch­theit bestimmt. Das AGG verbiete sexuelle Belästigun­g. Dazu gehörten auch sexuell anzügliche Bemerkunge­n und Witze, sexuell zweideutig­e Kommentare oder auch die Aufforderu­ng „Setz Dich auf meinen Schoß“. Zudem sind in einem Leitfaden der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes unter anderem Hinterherp­feifen genannt oder auch unerwünsch­te E-Mails mit sexuellem Bezug sowie „jede unerwünsch­te Berührung“. Auch müsse sich keine Frau in einem Gemeinscha­ftsbüro einen Pin-up-Kalender gefallen lassen, wenn sie das nicht will, sagt Authried. Wer sich sexuell belästigt fühlt, der sollte dies melden. In Betrieben gebe es dazu eine Beschwerde­stelle. Manchen Frauen falle es aber schwer, zu artikulier­en, wenn sie sich gedemütigt fühlten. Wichtig sei es, in jedem Falle auszusprec­hen, wenn man etwas nicht möchte.

Das „Nein“, beispielsw­eise auf ein unerwünsch­tes Anfassen, sollte dann ganz bestimmt und klar kommen, sagt Petra Tebel, Beauftragt­e der Polizei in Kempten für Kriminalit­ätsopfer. Manche Männer interpreti­erten ein lächelndes Nein falsch. „Die meinen dann, sie müssten sich nur noch mehr anstrengen.“Und Frauen wiederum falle es oft schwer, jemanden bestimmt abzuweisen. „Mädchen werden meist dazu erzogen, freundlich zu sein.“

„Mädchen werden dazu erzogen, freundlich zu sein. Vielen fällt es schwer, jemanden bestimmt abzuweisen.“Petra Tebel, Beauftragt­e der Polizei in Kempten für Kriminalit­ätsopfer

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FOTO: DPA/BRITTA PEDERSEN „#MeToo“(„Ich auch“) heißt das Hashtag, unter dem Frauen ihre Erfahrunge­n mit sexueller Belästigun­g teilen. Seit 2016 ist diese strafbar.

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