Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Hand am Hintern: Jetzt anzeigen
Seit Ende 2016 ist „sexuelle Belästigung“strafbar – Im Oberallgäu und Kempten aber nur wenige Meldungen
OBERALLGÄU/KEMPTEN - Sexuelle Belästigung. In der Silvesternacht 2015 ein Thema, das bundesweit im Zusammenhang mit Flüchtlingen und „Antanzen“für Empörung sorgte, und dann zu einer Verschärfung des Sexualstrafrechts in Deutschland führte. Seit Ende 2016 ist auch solch eine „sexuelle Belästigung“strafbar (§184i Strafgesetzbuch). Das führte in der Region nicht, wie von manchem prophezeit, zu einer starken Zunahme an Anzeigen. „Von einigen wenigen“, spricht Jürgen Krautwald, Pressesprecher der Polizei in Kempten.
Früher sei strafrechtlich relevant gewesen, wenn jemandem unter den Pulli oder in die Hose gefasst wurde, da ging es um „die blanke Haut“. Heute reicht auch schon die Hand auf dem Pulli, wenn darunter der Busen ist. „Wer sich bedrängt fühlt, sollte sich nicht scheuen die 110 anzurufen“, sagt Krautwald. In solch einem Falle seien Zeugen extrem wichtig. Die Polizei ermittle und der Staatsanwalt entscheide dann, ob es zu einer Anklageerhebung ausreicht. Belästigungen muss niemand hinnehmen, auch nicht am Arbeitsplatz, sagt der Beamte.
Ulrike Müller: „Wir brauchen eine Nulltoleranz-Politik“
Erst Jahre später machen nun international bekannte Schauspielerinnen öffentlich, dass sie von einem HollywoodProduzenten sexuell bedrängt wurden. Auch Dutzende Mitarbeiterinnen des EU-Parlaments klagen, sexuell belästigt worden zu sein. Ulrike Müller, EU-Parlamentarierin der Freien Wähler aus Missen, sagt dazu: „Wir brauchen eine Nulltoleranz-Politik.“Sie fordert „wirksame Maßnahmen, um Belästigungen – auch am Arbeitsplatz – zu verhindern“.
In Deutschland gibt es dazu seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es zielt unter anderem darauf ab, Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts am Arbeitsplatz zu verhindern. In größeren Städten und Landkreisen gibt es seit Jahren Gleichstellungsbeauftragte. Im Landratsamt Oberallgäu ist das Ilona Authried. Die Stelle bei der Stadt Kempten ist seit einigen Monaten unbesetzt. Bis jetzt wurde keine Nachfolgerin für Sabine Blessing gefunden.
Authried ist auch am Landratsamt Oberallgäu für die Gleichbehandlung zuständig. Wie sieht es innerhalb der Behörde aus, gab es schon Beschwerden? Authried verneint. Sie sieht ihre Aufgabe auch darin, „in dieser Thematik zu sensibilisieren“.
Was ist denn nun eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? „Es geht beispielsweise nicht, dass ein Vorgesetzter seine Mitarbeiterin einfach umarmt.“
Sexuelle Belästigung sei durch Würdeverletzung und Unerwünschtheit bestimmt. Das AGG verbiete sexuelle Belästigung. Dazu gehörten auch sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze, sexuell zweideutige Kommentare oder auch die Aufforderung „Setz Dich auf meinen Schoß“. Zudem sind in einem Leitfaden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter anderem Hinterherpfeifen genannt oder auch unerwünschte E-Mails mit sexuellem Bezug sowie „jede unerwünschte Berührung“. Auch müsse sich keine Frau in einem Gemeinschaftsbüro einen Pin-up-Kalender gefallen lassen, wenn sie das nicht will, sagt Authried. Wer sich sexuell belästigt fühlt, der sollte dies melden. In Betrieben gebe es dazu eine Beschwerdestelle. Manchen Frauen falle es aber schwer, zu artikulieren, wenn sie sich gedemütigt fühlten. Wichtig sei es, in jedem Falle auszusprechen, wenn man etwas nicht möchte.
Das „Nein“, beispielsweise auf ein unerwünschtes Anfassen, sollte dann ganz bestimmt und klar kommen, sagt Petra Tebel, Beauftragte der Polizei in Kempten für Kriminalitätsopfer. Manche Männer interpretierten ein lächelndes Nein falsch. „Die meinen dann, sie müssten sich nur noch mehr anstrengen.“Und Frauen wiederum falle es oft schwer, jemanden bestimmt abzuweisen. „Mädchen werden meist dazu erzogen, freundlich zu sein.“
„Mädchen werden dazu erzogen, freundlich zu sein. Vielen fällt es schwer, jemanden bestimmt abzuweisen.“Petra Tebel, Beauftragte der Polizei in Kempten für Kriminalitätsopfer