Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gold und ein unmoralisches Angebot
Hans-Georg Aschenbach, Doppel-Weltmeister 1974, freut sich über die Siege von Carina Vogt
(SID/sz) - Wenn Hans-Georg Aschenbach an Falun denkt, dann kommen ihm unweigerlich Gedanken an Kanada. Als der DDR-Skispringer 1974 bei der WM in Schweden Doppel-Weltmeister wurde, wollten ihn die Nordamerikaner mit einem unmoralischen Angebot ins kapitalistische Ausland locken. „Aber ich habe abgelehnt“, verrät der Olympiasieger von 1976.
Der frisch dekorierte Aschenbach war damals ein höchst begehrter Mann, aber auch überzeugter Sozialist. Deshalb, „aber auch aus familiären Gründen“, so erzählt er, verzichtete er auf die lukrative Perspektive, „mit den Kanadiern die Heimreise anzutreten, mit meinem Namen den kanadischen Springern in der dortigen Öffentlichkeit zum Durchbruch zu verhelfen und – nach Absitzen einer maximal zweijährigen Fis-Sperre – für Kanada bei den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck an den Start zu gehen“. Stattdessen holte er dann dort für die DDR den Titel.
41 Jahre nach Aschenbachs Coup von Falun finden in der schwedischen Kleinstadt wieder Weltmeisterschaften statt, und angeführt von Severin Freund und Carina Vogt spielen wieder deutsche Springer die Hauptrolle. „Ich hätte nichts dagegen, wenn Severin am Donnerstag mit einem weiteren Gold auf meine historischen Fersen rücken könnte. Ich würde mich wahnsinnig freuen“, sagte der 63Jährige. „Severin ist auch auf der Großschanze ein Ass.“
Zweimal Einzel-Gold kann Freund allerdings nicht mehr schaffen, dieses Kunststück bleibt eine Rarität: Nach Aschenbach wurde nur noch der Pole Adam Malysz 2003 in Val di Fiemme Weltmeister auf beiden Schanzen. „Falun war ein Highlight meiner Karriere“, sagt Aschenbach.
Zwei Goldmedaillen in der Tasche hat bereits Carina Vogt. Vor der Olympiasiegerin aus Degenfeld zieht Aschenbach denn auch den Hut. „Es ist einfach phänomenal, welche Ner- venstärke sie im Einzel gezeigt hat. Ich kann ihr nur gratulieren. Den Telemark muss man bei Weiten über 90 Meter erst einmal setzen können“, sagt der Thüringer über den kometenhaften Aufstieg der 23-Jährigen: „Die Männer hatten immerhin 90 Jahre Vorsprung. Das erste olympische Skispringen gab es 1924. Manche Frauen springen ja nicht einmal seit fünf Jahren. Die Damen sind auf dem richtigen Weg. Der Mixed-Wettbewerb zeigte im direkten Vergleich mit den Männern das ganz hohe technische Niveau, auf dem sich das noch junge Frauen-Skispringen befindet. Also: Chapeau, Carina Vogt. “
1988 in den Westen abgesetzt
Sollte Freund indes am Donnerstag tatsächlich nachziehen, hat Aschenbach einen Party-Tipp für den Niederbayern. Denn das unmoralische Angebot aus Kanada bekam der damalige DDR-Springer nach seinem zweiten Gold in einer Bar. „Ich wollte auch einmal das Nachtleben einer westlich geprägten Großstadt erleben. Also schlich ich mich erstmals in meinem Sportlerleben heimlich aus dem Mannschaftsquartier“, er- zählt er. Und so traf er zu später Stunde unverhofft auf die kanadische Mannschaft. „Schon nach kurzer Zeit unterbreitete mir deren Führung das unglaublich lukrative Angebot.“Aschenbach ließ sich aber nicht überreden. „Auch, weil ich damals noch von der Idee des Sozialismus überzeugt war. Meine Distanz zu dieser Doktrin wuchs erst in späterer Zeit“, sagt Aschenbach.
Im August 1988 setzte er sich in den Westen ab, wo Aschenbach von den Dopingpraktiken in der DDR berichtete. Lieber aber erzählt er heute von der WM 1974. „Ich kann gar nicht glauben, dass 41 Jahre vergangen sind“, sagt er: „Alles kommt mir wie gestern vor. Als ich die Bestmarke auf 90 Meter schraubte, schrieb die Presse: „Aschenbach macht die Normalschanze zur Großschanze.“
ANZEIGEN