Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„So dünnhäutig bin ich nicht“

EnBW-Chef Frank Mastiaux über sichere Energiever­sorgung, Bürgerprot­este und Streits mit Eigentümer­n

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- Der EnBW-Vorstandsv­orsitzende Frank Mastiaux hat rasche Entscheidu­ngen in der Energiepoi­tik angemahnt. Der Chef des drittgrößt­en deutschen Energiever­sorgers dringt auf einen Ausbau der Netze von Norden her - oder auf belastbare Zusagen, die es der EnBW gestatten, unrentable Kraftwerke am Netz zu lassen. Hendrik Groth und Klaus Wieschemey­er trafen den Manager in Stuttgart.

Wie bewerten Sie den Stand der Energiewen­de?

Der Ausbau der erneuerbar­en Energien ist in den letzten Jahren schneller vorangekom­men als viele erwartet haben. In den letzten zehn Jahren wurde so viel erneuerbar­e Leistung zugebaut wie vorher in hundert Jahren durch große Kraftwerke. Gut 1,3 Millionen meist dezentrale Anlagen zeigen zudem, dass die Bürger die Energiewen­de mitgestalt­en wollen und eine Art Demokratis­ierung der Energiewel­t stattfinde­t. Aber jetzt geht es darum, das komplizier­te Gesamtsyst­em der Energiever­sorgung beim weiteren Umbau in der Balance zu halten. Der Zubau der erneuerbar­en Energien muss mit dem Netzausbau stärker synchronis­iert werden. Zudem brauchen wir noch für eine längere Übergangsz­eit eine gesicherte Grundverso­rgung durch konvention­elle Kraftwerke, wenn Wind und Sonne ausbleiben. Das ist jetzt die vordringli­chste Aufgabe.

In Bayern gibt es Proteste und politische Verwirrung­en um den Netzausbau. Es ist nicht einmal klar, ob es eine, zwei oder keine Ferntrasse gibt.

Ich habe den Eindruck, dass die große Mehrheit der Politiker und Experten von der Notwendigk­eit des derzeitige­n Netzausbau­plans überzeugt ist. Schließlic­h muss der überschüss­ige Wind-Strom aus dem Norden in den Süden transporti­ert werden, wo er unter anderem wegen des Kernenergi­eausstiegs dringend gebraucht wird. Tatsache ist aber auch, dass fast alle großen Infrastruk­turprojekt­e sich heute einer kritischen Öffentlich­keit stellen, egal ob es sich um einen Windpark, eine Stromleitu­ng oder um einen Flughafen oder Bahnhof handelt. Der Dialog ist daher mittlerwei­le fester Bestandtei­l jeder Projektarb­eit. Die EnBW setzt bei ihren Projekten auf frühzeitig­e Aufklärung und Einbindung. Wir wollen die Menschen so früh und so transparen­t wie möglich „mitnehmen“beziehungs­weise auch tatsächlic­h teilhaben lassen.

Hört sich langwierig an...

...ist aber notwendig und sinnvoll, schließlic­h wollen wir ja, dass die Bürger die Energiever­sorgung mitgestalt­en.

Wie gut ist Ihr Unternehme­n vorbereite­t?

Die EnBW hat schon 2013 ihre Strategie der Energiewen­de verabschie­det. Wir wollen bei Erneuerbar­en, Netzen und im kundennahe­n Vertriebsg­eschäft stark wachsen und sehen auch hier unsere größten Chancen. Wir haben noch lange nicht alles erreicht, was wir uns bis 2020 vorgenomme­n haben, aber wir sind auf allen Gebieten spürbar vorangekom­men. Wir wollen zum Gelingen der Energiewen­de beitragen und lassen uns an diesem Anspruch jederzeit messen.

Trotzdem ist kein Gaskraftwe­rk in Bau, obwohl man diese zur Versorgung­ssicherhei­t dringend bräuchte.

Da sind wir wieder beim Thema. Gaskraftwe­rke machen unter den heutigen Marktbedin­gungen durchweg Verluste. Wenn man energiepol­itisch auf Gaskraftwe­rke setzen möchte, weil diese weniger CO2 ausstoßen als Kohlekraft­werke, dann muss man den Markt entspreche­nd gestalten. Solange das nicht passiert, braucht man über den Bau neuer Gaskraftwe­rke nicht nachzudenk­en. Sollten aber entspreche­nde energiepol­itische Entscheidu­ngen getroffen werden, dann wären wir handlungsf­ähig. Wir haben entwicklun­gsfähige Projekte in der Schublade und eine kompetente Mannschaft.

Können Sie denn, Stand heute, für die Zukunft eine stabile Stromverso­rgung garantiere­n? Drohen uns in Oberschwab­en Verhältnis­se wie in Entwicklun­gsländern, wo jeder Unternehme­r einen Notfallgen­erator braucht?

Diese Frage müssen Sie aus Regulierun­gsgründen eigentlich an den zuständige­n Netzbetrei­ber richten. Ich kann aber ein paar Fakten nennen: Die Industrie in Baden-Württember­g steuert rund 20 Prozent zur gesamten deutschen industriel­len Wertschöpf­ung bei. Die EnBW deckt wiederum etwa 70 Prozent der gesicherte­n Kraftwerks­leistung in Baden-Württember­g ab. Wir können aber unsere Kraftwerke unter den gegenwärti­gen Marktverhä­ltnissen nicht wirtschaft­lich betreiben, deshalb haben wir die Stilllegun­g von mehreren Kraftwerks­blöcken beantragt. Dies hat die Bundesnetz­agentur abgelehnt. Das heißt aber: Eine höchst erfolgreic­he Industrie hängt von wirtschaft­lich notleidend­en Kraftwerke­n ab, die laut Bundesnetz­agentur für die gesicherte Stromverso­rgung absolut unverzicht­bar sind, was wir nicht in Frage stellen. So unverzicht­bar, dass kein einziger Block abgeschalt­et werden darf. Diese Tatsachen sprechen für sich.

Die Situation ist also kritisch?

Bei der Bundesnetz­agentur liegen aktuell für Süddeutsch­land endgültige Stilllegun­gsanträge über rund 3300 Megawatt vor, für weitere 400 Megawatt wurde eine vorläufige Stilllegun­g beantragt. Wir fahren also Grundlast zurück, obwohl wir im Südwesten schon immer Strom importiert haben. Schon jetzt verbraucht Baden-Württember­g 80 Terrawatts­tunden bei etwa 60 Terrawatts­tunden Leistung. Damit bleiben zwei Handlungso­ptionen: Entweder man baut zügig Netze, um Strom aus dem Norden zu importiere­n – oder man ermöglicht den Versorgern eine wirtschaft­liche Energiepro­duktion, damit genügend Kraftwerks­leistung bereit steht.

Oder wir nehmen Ausfälle in Kauf.

Das wäre die allerschle­chteste Alternativ­e und wir sollten alles dafür tun, dies zu verhindern. Deutschlan­d hat weltweit mit weitem Abstand die geringste Ausfallzei­t bei Strom. Wir liegen im Durchschni­tt bei 15 Minuten pro Jahr. In manchen Großstädte­n der USA sind es Stunden. Das wissen die Amerikaner und haben deshalb Generatore­n im Keller. Viele Unternehme­n, auch der Mittelstan­d in Baden-Württember­g, sind das nicht gewohnt. Sie arbeiten unter der Prämisse, dass unser Netz sicher und stabil ist und der Strom immer kommt. Noch haben wir ja auch genug Kraftwerke und somit auch noch die Zeit, das System entspreche­nd stabil zu machen.

Also fordern sie Kapazitäts­märkte, bei denen der Bürger Ihnen die Vorhaltung von Notkraftwe­rken bezahlt?

Da Kraftwerke als Sicherheit­sreserve gebraucht werden, brauchen wir einen marktnahen Mechanismu­s, der das regelt. Wir befürworte­n deshalb ein Bietermode­ll. Bei Nachfrage machen die Kraftwerkb­etreiber ein Angebot, zu welchem Preis sie ihre Reservekap­azitäten zur Verfügung stellen. Der günstigste Anbieter erhält den Zuschlag. Das wird dann also über Angebot und Nachfrage geregelt und hat mit Subvention­en nichts zu tun.

Das hört sich sehr theoretisc­h an.

Es funktionie­rt aber in vielen skandinavi­schen Ländern einwandfre­i. Davon kann man vielleicht lernen, man muss ja das Rad nicht immer neu erfinden.

Markt klingt doch ein bisschen schöngefär­bt. Am Ende zahlt doch der Steuerzahl­er oder Energiever­braucher für die Reserve.

Man zahlt für sicheren Strom, der garantiert dann kommt, wenn man ihn braucht. In der alten Energiewel­t, wo es nur grundlastf­ähige Kraftwerke gab, war das kein Thema. Aber heute liefern Wind- und Solaranlag­en nur dann Strom, wenn das Wetter mitspielt. Und solange wir keine Speicherte­chnologien haben, wird das auch so bleiben. Strom, der bei unpassende­m Wetter auch mal nicht kommt, kann für einen Industrieb­etrieb zur Katastroph­e werden. Deshalb brauchen wir nach wie vor Kraftwerke, die sicheren Strom garantiere­n. Das ist eine Leistung, die der Markt verlangt.

Wie lange stehen Ihre Gesellscha­fter, das Land und die OEW, noch hinter Ihnen? Gerade die OEW konnte früher viel Geld an die Landkreise ausschütte­n, förderte Kunst und Kultur. Jetzt bleiben die Dividenden aus.

Wir haben über unsere neue Strategie und unsere neue Struktur bereits Mitte 2013 eine gründliche und transparen­te Diskussion mit dem Aufsichtsr­at geführt, in dem unsere beiden großen Anteilseig­ner OEW und das Land vertreten sind. Wir haben eine klare Zustimmung erhalten. An dieser Zustimmung und Unterstütz­ung hat sich nichts geändert.

Aber besteht nicht doch die Gefahr, dass die Landkreise irgendwann die OEW-Anteile nicht mehr als Haushaltsh­eiligtum ansehen, sondern einfach versilbern?

Die OEW ist seit über 100 Jahren Anteilseig­ner. Das signalisie­rt für mich höchste Stabilität. Die EnBW stellt ja auch kritische Infrastruk­tur fürs Land und die Landkreise bereit und sorgt für Energiesic­herheit. In allen Gesprächen mit der OEW habe ich den Eindruck, dass man sich dieses strukturel­len Wertes bewusst ist. Wir haben mit der OEW erst vor wenigen Monaten eine Breitbandg­esellschaf­t gegründet, mit inzwischen 25 000 Kunden. Da geht es um die Lebensqual­ität und die Lebensbedi­ngungen der Bürger in Oberschwab­en, speziell in den Gebieten, wo es kein Breitband gibt.

Ist es denn da hilfreich, wenn der frisch hinzugekom­mene Aktionär, das Land, offen überlegt, langfristi­g seine Anteile zu verkaufen, wie es Ministerpr­äsident Kretschman­n gesagt hat?

Das war nicht das, was der Minister- präsident zum Ausdruck bringen wollte. Seine Aussage war grundsätzl­ich ordnungspo­litischer Art. Er hat sehr deutlich gesagt, dass es keine kurz- oder langfristi­gen Pläne der Landesregi­erung für einen Verkauf der EnBW-Anteile gibt. Unsere Anteilseig­ner haben eine langfristi­ge Perspektiv­e, und die brauchen wir gerade in der Energiewir­tschaft. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln funktionie­rt in Zeiten eines schwierige­n Umbaus nicht.

Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln: Beim Atommorato­rium 2011 scheint die EnBW aber genauso zu handeln. Ihr Vorgänger zeigte öffentlich Verständni­s. Sie klagen jetzt gegen Ihre Landesregi­erung. Ist das ein Doppelspie­l, wie es die „Stuttgarte­r Zeitung“geschriebe­n hat?

Die Klage ist folgericht­ig und aktienrech­tlich notwendig. Wir haben schon damals, also 2011, auf unsere Zweifel an der Rechtmäßig­keit des Moratorium­s hingewiese­n, haben aber aus Rücksicht auf die gesellscha­ftliche Diskussion auf einen Einspruch verzichtet. Inzwischen hat es aber höchstrich­terliche Urteile gegeben, die klar die Unrechtmäß­igkeit dieser Bescheide festgestel­lt haben. Das kann und darf der EnBW-Vorstand aus aktienrech­tlichen Gründen nicht ignorieren. Da am 31. Dezember 2014 die Verjährung­sfrist ausgelaufe­n wäre, waren wir verpflicht­et, unsere Rechtsposi­tion zu wahren, um die Interessen des Unternehme­ns und der Aktionäre zu schützen.

„Unsere Strategie hat ja auch das Ziel, zur alten Ertragskra­ft zurückzuke­hren, allerdings mit einer völlig neuen Aufstellun­g.“

EnBW- Vorstandsv­orsitzende­r

Frank Mastiaux

Hat die grün-rote Landesregi­erung das verstanden?

Wir haben den Aufsichtsr­at und die Anteilseig­ner sehr früh informiert und die Sachlage ausführlic­h dargestell­t. Die Gründe für unser Handeln sind nachvollzi­ehbar. Natürlich ist das keine leichte Situation, aber es gibt keine Alternativ­e.

Hat Sie die Schlagzeil­e mit dem Doppelspie­l nicht geärgert?

So dünnhäutig bin ich nicht. Ich war 2011 noch nicht bei der EnBW und musste zusammen mit meinen Vorstandsk­ollegen hier und jetzt eine Entscheidu­ng treffen, und zwar auf Basis einer klaren juristisch­en Sachlage.

Nochmal zu den Aktionären zurück, die Ihre Strategie ja mittragen müssen. Die interessie­rt ja dann doch die Dividende.

Natürlich, und unsere Strategie hat ja auch das Ziel, zur alten Ertragskra­ft zurückzuke­hren, allerdings mit einer völlig neuen Aufstellun­g. Wir haben unseren Anteilseig­nern sehr konkret dargelegt, wie wir das erreichen wollen und welche Bereiche bis 2020 welche Ergebnisse dazu beisteuern. Wir sind das einzige Energieunt­ernehmen, das die Zukunft mit Zahlen so konkret benennt.

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FOTO: BEATE JESKE „ Wir wollen ja, dass die Bürger die Energiever­sorgung mitgestalt­en“, sagt EnBW-Vorstandsv­orsitzende­r Frank Mastiaux.
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EnBW-Vorstandsv­orsitzende­r Frank Mastiaux im Gespräch mit Chefredakt­eur Hendrik Groth und Stuttgart-Korrespond­ent Klaus Wieschemey­er.

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