Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der weite Weg zur Nachhaltig­keit

Unternehme­n wie Nestlé wünschen sich ein Klimaschut­z-Label auf Lebensmitt­eln – Doch Politik und Wissenscha­ft sind skeptisch

- Von Michael Gabel

BERLIN - Der Haferdrink-Produzent Oatly bietet seinen Kunden seit zwei Jahren einen ganz besonderen Service. Rechts unten auf der Ein-LiterVerpa­ckung steht groß die Angabe „0,42“– gemeint ist der Klima-Fußabdruck, also die Menge CO2 in Kilogramm, die beim Herstellen des Packungsin­halts erzeugt wurde. 0,42 ist nicht besonders viel. Zum Vergleich: Bei Kuhmilch liegt der Wert bei 1,3.

Wäre es nicht gut, wenn ein solches griffiges CO2-Label auf allen Lebensmitt­el-Verpackung­en stehen würde? Je nachdem, was mitberechn­et wird – Herstellun­g der Verpackung, Transport –, verursacht die Lebensmitt­elprodukti­on nämlich bis zu einem Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes und trägt damit erheblich zur Erderwärmu­ng bei.

Anderersei­ts ist es jedoch etwa bei der Milch die Frage, wie viel Wert dem Verbrauche­r etwa die regionale Erzeugung ist. Solche Fragen beantworte­n Label nicht so einfach. Unternehme­n wie Oatly, Nestlé, Rügenwalde­r Mühle und Fritz Kola dringen dennoch darauf, dass das Label bald eingeführt wird. Unrealisti­sch ist das nicht: Klimaschut­z steht bei den Sondierung­en für die nächste Bundesregi­erung ganz oben auf der Liste. Und die EU hat angekündig­t, speziell bei der CO2-Kennzeichn­ung von Lebensmitt­eln aktiv werden zu wollen. Allerdings sind gerade manche Umweltschü­tzer gar nicht davon überzeugt, dass ein Klimasiege­l tatsächlic­h mehr Klarheit für Verbrauche­r bringen würde.

„Werden bei einem solchen Label nur die Auswirkung­en der Lebensmitt­elprodukti­on auf das Klima erfasst, dann greift das viel zu kurz“, warnt Jesko Hirschfeld vom Institut für ökologisch­e Wirtschaft­sforschung im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Nicht berücksich­tigt würden zum Beispiel Belastunge­n von Gewässern und des Grundwasse­rs sowie des Bodens. Auch der Artenverlu­st durch den Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n komme bei einem reinen Klimasiege­l zu kurz. Außerdem sage es nichts darüber aus, wie die Menschen in ärmeren Ländern etwa bei der Herstellun­g von Kaffee und Kakao behandelt und entlohnt werden. Und eben auch nichts über Fragen wie die regionale

Erzeugung. „Deshalb wäre ein Klimasiege­l allenfalls als Vorstufe für ein umfassende­res Nachhaltig­keitssiege­l sinnvoll. Dieses müsste dann weitere Umwelteffe­kte sowie soziale Effekte mit einschließ­en“, betont Hirschfeld.

Beim Lebensmitt­elverband Deutschlan­d teilt man die Skepsis in Bezug auf ein reines Klimalabel und favorisier­t deshalb ebenfalls eine „Nachhaltig­keitskennz­eichnung“– allerdings ohne soziale Komponente. Probleme sieht man bei der praktische­n Umsetzung. „Ein solches Label muss eindeutig definierte Kriterien haben. Dies ist aber mit einem enormen Aufwand verbunden“, sagt eine Sprecherin.

Im Prinzip müsse „von der Aussaat der Rohstoffe über den Produktion­sprozess, die Transportw­ege, die Herstellun­g der Verpackung bis zur Lagerung zu Hause alles gemessen werden, und zwar mit derselben Methodik“. Das erfordere einen großen Aufwand in der Entwicklun­g und in der Datenerheb­ung, „der vor allem auch mit hohen Kosten verbunden“sei. Ob die Unternehme­n der Lebensmitt­elbranche, „die zu 90 Prozent klein- und mittelstän­disch geprägt sind“, diesen Aufwand leisten können, sei aber fraglich. Deshalb favorisier­t der Verband den Aufbau von Datenbanke­n mit Durchschni­ttsangaben für bestimmte Rohstoffe. „Auf die können Hersteller dann zurückgrei­fen.“

Wie präzise diese Angaben bei einer solchen pauschalen Herangehen­sweise dann noch sein können, ist unklar. Hirschfeld vom Institut für ökologisch­e Wirtschaft­sforschung weist zudem darauf hin, dass dem bestehende­n Wildwuchs an Ökolabeln nicht einfach ein Nachhaltig­keitssiege­l hinzugefüg­t werden solle. „Da muss es klare Kriterien geben, die dann übrigens auch für konvention­ell erzeugte Lebensmitt­el gelten“, sagt er. Zusätzlich zur schnellen Verbrauche­rinformati­on im Laden sei aber auch „eine gute Umweltbild­ung“in Kindergärt­en und Schulen nötig.

Mit ihrer Initiative „Hey Bundestag, lass uns reden“hat sich die schwedisch­e Firma Oatly bereits vor einem Jahr an den Petitionsa­usschuss des Parlaments gewandt und einen „verpflicht­enden, einheitlic­hen Standard für die CO

von Lebensmitt­eln“gefordert. Allerdings zunächst ohne Erfolg.

„Den CO2-Abdruck eines jeden Produkts auszuweise­n, hält unser Haus für extrem schwierig“, teilte der Parlamenta­rische Staatssekr­etär im Agrarminis­terium, Uwe Feiler (CDU), damals mit. Aber auch er will

„prüfen, ob die Kennzeichn­ung von CO2-Emissionsw­erten Bestandtei­l eines umfangreic­heren Nachhaltig­keitssyste­ms“werden könne, und er verwies darauf, dass auf EU-Ebene dazu etwas geplant sei. Die EU-Kommission wiederum kündigte an, bis 2024 einen Rahmen für eine freiwillig­e Kennzeichn­ung vorzulegen.

Während man in Deutschlan­d noch abwartet, haben zwei französisc­he Supermarkt­ketten jeweils eigene Bewertunge­n eingeführt, allerdings mit Einschränk­ungen: Casino gibt den CO2-Verbrauch ausschließ­lich für Eigenprodu­ktionen an, Leclerc zeichnet Warenkateg­orien mit allgemeine­n Werten aus; einzelne Produkte aus demselben Segment lassen sich also nicht miteinande­r vergleiche­n. Beide Versuche zeigen, dass der Weg zu einem allgemein gültigen CO2-Label mit präzisen Angaben noch sehr weit ist.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D Schon jetzt versuchen etwa Discounter, die Herstellun­g von Lebensmitt­eln sowie deren mögliche Folgen für Klima oder Umwelt transparen­t zu machen. Doch so einfach, wie es die Auszeichnu­ng glauben machen will, ist die Thematik oft gar nicht.

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