Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der weite Weg zur Nachhaltigkeit
Unternehmen wie Nestlé wünschen sich ein Klimaschutz-Label auf Lebensmitteln – Doch Politik und Wissenschaft sind skeptisch
BERLIN - Der Haferdrink-Produzent Oatly bietet seinen Kunden seit zwei Jahren einen ganz besonderen Service. Rechts unten auf der Ein-LiterVerpackung steht groß die Angabe „0,42“– gemeint ist der Klima-Fußabdruck, also die Menge CO2 in Kilogramm, die beim Herstellen des Packungsinhalts erzeugt wurde. 0,42 ist nicht besonders viel. Zum Vergleich: Bei Kuhmilch liegt der Wert bei 1,3.
Wäre es nicht gut, wenn ein solches griffiges CO2-Label auf allen Lebensmittel-Verpackungen stehen würde? Je nachdem, was mitberechnet wird – Herstellung der Verpackung, Transport –, verursacht die Lebensmittelproduktion nämlich bis zu einem Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes und trägt damit erheblich zur Erderwärmung bei.
Andererseits ist es jedoch etwa bei der Milch die Frage, wie viel Wert dem Verbraucher etwa die regionale Erzeugung ist. Solche Fragen beantworten Label nicht so einfach. Unternehmen wie Oatly, Nestlé, Rügenwalder Mühle und Fritz Kola dringen dennoch darauf, dass das Label bald eingeführt wird. Unrealistisch ist das nicht: Klimaschutz steht bei den Sondierungen für die nächste Bundesregierung ganz oben auf der Liste. Und die EU hat angekündigt, speziell bei der CO2-Kennzeichnung von Lebensmitteln aktiv werden zu wollen. Allerdings sind gerade manche Umweltschützer gar nicht davon überzeugt, dass ein Klimasiegel tatsächlich mehr Klarheit für Verbraucher bringen würde.
„Werden bei einem solchen Label nur die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf das Klima erfasst, dann greift das viel zu kurz“, warnt Jesko Hirschfeld vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Nicht berücksichtigt würden zum Beispiel Belastungen von Gewässern und des Grundwassers sowie des Bodens. Auch der Artenverlust durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln komme bei einem reinen Klimasiegel zu kurz. Außerdem sage es nichts darüber aus, wie die Menschen in ärmeren Ländern etwa bei der Herstellung von Kaffee und Kakao behandelt und entlohnt werden. Und eben auch nichts über Fragen wie die regionale
Erzeugung. „Deshalb wäre ein Klimasiegel allenfalls als Vorstufe für ein umfassenderes Nachhaltigkeitssiegel sinnvoll. Dieses müsste dann weitere Umwelteffekte sowie soziale Effekte mit einschließen“, betont Hirschfeld.
Beim Lebensmittelverband Deutschland teilt man die Skepsis in Bezug auf ein reines Klimalabel und favorisiert deshalb ebenfalls eine „Nachhaltigkeitskennzeichnung“– allerdings ohne soziale Komponente. Probleme sieht man bei der praktischen Umsetzung. „Ein solches Label muss eindeutig definierte Kriterien haben. Dies ist aber mit einem enormen Aufwand verbunden“, sagt eine Sprecherin.
Im Prinzip müsse „von der Aussaat der Rohstoffe über den Produktionsprozess, die Transportwege, die Herstellung der Verpackung bis zur Lagerung zu Hause alles gemessen werden, und zwar mit derselben Methodik“. Das erfordere einen großen Aufwand in der Entwicklung und in der Datenerhebung, „der vor allem auch mit hohen Kosten verbunden“sei. Ob die Unternehmen der Lebensmittelbranche, „die zu 90 Prozent klein- und mittelständisch geprägt sind“, diesen Aufwand leisten können, sei aber fraglich. Deshalb favorisiert der Verband den Aufbau von Datenbanken mit Durchschnittsangaben für bestimmte Rohstoffe. „Auf die können Hersteller dann zurückgreifen.“
Wie präzise diese Angaben bei einer solchen pauschalen Herangehensweise dann noch sein können, ist unklar. Hirschfeld vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung weist zudem darauf hin, dass dem bestehenden Wildwuchs an Ökolabeln nicht einfach ein Nachhaltigkeitssiegel hinzugefügt werden solle. „Da muss es klare Kriterien geben, die dann übrigens auch für konventionell erzeugte Lebensmittel gelten“, sagt er. Zusätzlich zur schnellen Verbraucherinformation im Laden sei aber auch „eine gute Umweltbildung“in Kindergärten und Schulen nötig.
Mit ihrer Initiative „Hey Bundestag, lass uns reden“hat sich die schwedische Firma Oatly bereits vor einem Jahr an den Petitionsausschuss des Parlaments gewandt und einen „verpflichtenden, einheitlichen Standard für die CO
von Lebensmitteln“gefordert. Allerdings zunächst ohne Erfolg.
„Den CO2-Abdruck eines jeden Produkts auszuweisen, hält unser Haus für extrem schwierig“, teilte der Parlamentarische Staatssekretär im Agrarministerium, Uwe Feiler (CDU), damals mit. Aber auch er will
„prüfen, ob die Kennzeichnung von CO2-Emissionswerten Bestandteil eines umfangreicheren Nachhaltigkeitssystems“werden könne, und er verwies darauf, dass auf EU-Ebene dazu etwas geplant sei. Die EU-Kommission wiederum kündigte an, bis 2024 einen Rahmen für eine freiwillige Kennzeichnung vorzulegen.
Während man in Deutschland noch abwartet, haben zwei französische Supermarktketten jeweils eigene Bewertungen eingeführt, allerdings mit Einschränkungen: Casino gibt den CO2-Verbrauch ausschließlich für Eigenproduktionen an, Leclerc zeichnet Warenkategorien mit allgemeinen Werten aus; einzelne Produkte aus demselben Segment lassen sich also nicht miteinander vergleichen. Beide Versuche zeigen, dass der Weg zu einem allgemein gültigen CO2-Label mit präzisen Angaben noch sehr weit ist.