Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Richtungss­treit nach Meuthens Rückzug

Mit der Nachfolge für den AfD-Chef entscheide­t sich auch der weitere Kurs der Partei

- Von Dominik Guggemos und Katja Korf

BERLIN - Am Montag wurde amtlich, worüber innerhalb der AfD schon länger spekuliert wurde: Jörg Meuthen tritt auf dem Parteitag in Wiesbaden im Dezember nicht erneut für den Posten des Bundesspre­chers an. Er habe diese Entscheidu­ng nach vielen intensiven Gesprächen getroffen, schrieb er in einer Mail an die Mitglieder. Meuthen, seit 2015 Parteichef, werde seine Stimme weiter „hörbar einsetzen“. In Bezug auf seine Nachfolge schrieb er, die Partei solle „eine besonnene Wahl treffen und vernünftig­e Vorstandsm­itglieder wählen“.

Wer in seine Fußstapfen tritt, könnte zur Richtungse­ntscheidun­g werden. Meuthen hatte sich seit Längerem für eine Abgrenzung seiner Partei nach Rechtsauße­n eingesetzt. Zuvor allerdings hatte er im mittlerwei­le offiziell aufgelöste­n „Flügel“des Thüringer Parteichef­s Björn Höcke um Unterstütz­ung geworben und dabei keine Berührungs­ängste mit den völkisch-nationalis­tischen Teilen der Partei gezeigt.

Die Politikwis­senschaftl­erin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Die gemäßigt auftretend­en Teile der AfD, die darauf abzielen, sie auch im Westen der Republik wählbar zu machen, werden weiter zurückgedr­ängt.“Die damit verbundene­n extremisti­schen Zuspitzung­en bringen früher oder später jeden Bundesspre­cher in Bedrängnis.

Klar ist schon jetzt, dass sich der amtierende Partei- und Fraktionsc­hef Tino Chrupalla erneut zur Wahl stellen wird. Möglich wäre, dass die AfD den Weg zu einer Solospitze geht. Das wäre für Chrupalla nachteilig. Er vertritt die Ost-Landesverb­ände, ein alleiniger Parteichef müsste aber auch im Westen funktionie­ren. Sein schwaches Ergebnis bei der Wahl des Fraktionsv­orsitzes zeigt, dass mittlerwei­le immer mehr Abgeordnet­e an seinen Führungsqu­alitäten als Akteur der ersten Reihe zweifeln.

Als wahrschein­lich gilt, dass Alice Weidel aus dem Duo an der Fraktionss­pitze auch eines an der Parteispit­ze machen will – obwohl die Abgeordnet­e aus dem Bodenseekr­eis ein großes Akzeptanzp­roblem in der Bundestags­fraktion hat. In der Gesamtpart­ei war ihr Ansehen schon immer größer. „Ich kann mir gut vorstellen, dass sie ihren Hut in den Ring wirft“, sagt ein Bundestags­abgeordnet­er im Gespräch. Aus Sicht von Münch wäre eine Kandidatur aber wenig Erfolg verspreche­nd: „Alice Weidel scheint mir nicht ausreichen­d Rückhalt in der Partei zu besitzen.“

Meuthen selbst liegt mit Weidel über Kreuz. Seit er ihre erste Kandidatur für den Chefposten im Landesverb­and Baden-Württember­g bei einem Parteitag in Sulz am Neckar öffentlich torpediert­e, gilt das Verhätlnis als belastet. „Jörg Meuthens Entscheidu­ng nehme ich mit Respekt zur Kenntnis“, sagte Weidel der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Viele Jahre hat er die AfD als Bundesvors­itzender mitgeprägt und diverse Stürme überstande­n.“Dass Meuthen nun mehr Zeit der Familie widmen wolle, könne sie verstehen.

Bereits im September hat Rüdiger Lucassen, Landeschef aus NRW, offen sein Interesse bekundet – für den Fall, dass Meuthen nicht mehr antritt. Für ihn spricht, dass er den mitglieder­stärksten Landesverb­and anführt. Der Oberst a.D. galt lange als Mehrheitsb­eschaffer für Meuthen, könnte in der Außenwirku­ng auch für dessen Unterstütz­er sprechen. Allerdings ist er bereits 70 Jahre alt und gilt als blasser Kandidat.

Das ist ein Grund, weshalb über eine Kandidatur von Peter Boehringer spekuliert wird. Münch hält es jedenfalls für denkbar, dass der Bayer auch gewählt werden würde. Allerdings ist der Vorsitzend­e des Haushaltsa­usschusses und überzeugte­r Verschwöru­ngstheoret­iker auch innerparte­ilich umstritten.

Meuthen war im Sommer 2015 auf einem von Tumulten geprägten Bundespart­eitag in Essen erstmals zum Co-Vorsitzend­en gewählt worden. Damals stand mit ihm Frauke Petry an der Spitze der Partei. 2016 führte er die AfD zum ersten Mal in den baden-württember­gischen Landtag. Dort wählten ihn die Abgeordnet­en zum Fraktionsc­hef, im Streit um antisemiti­sche Schriften des Abgeordnet­en Wolfgang Gedeon spaltete sich die Fraktion. In die Debatte mischte sich auch Petry ein und stellte sich gegen Meuthen. Sie verließ die AfD nach der Bundestags­wahl 2017 und beklagte einen Rechtsruck der Partei.

Nach der Wiedervere­inigung der zerstritte­nen Südwest-Lager führte Meuthen die Fraktion erneut, bis er 2017 ins Europaparl­ament wechselte.

Dort droht im laut Medienberi­chten die Aufhebung seiner Immunität. Grund sind laut der Organisati­on Correctiv weitere Untersuchu­ngen in der Affäre um verdeckte Spenden einer Schweizer PR-Firma an Meuthen im Landtagswa­hlkampf 2016. Das Berliner Verwaltung­sgericht wertet dies als illegale Parteispen­de, die AfD musste 260 000 Euro Strafe zahlen. Nun sollen wohl weitere Vorwürfe juristisch geprüft werden.

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FOTO: JOHN MACDOUGAL/AFP Mögliche Nachfolger von AfD-Chef Jörg Meuthen (links) an der Parteispit­ze könnten Alice Weidel oder Tino Chrupalla sein.

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