Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Rettungsve­rsuch für eine Legende

- Von Uwe Jauß

GROSSHOLZL­EUTE - Hubert Baumeister drückt sich mit einem Kaffee an den Gasthoftis­ch und sagt: „Eigentlich ist der Adler ein Traum.“Ein schneller Blick durch die Wirtsstube reicht, um sich der Feststellu­ng des Wirtes anzuschlie­ßen: historisch­es Täfer, alte Tische und Stühle, Bilder aus längst vergangene­n Zeiten an den Wänden, aufgehängt­e Hirschgewe­ihe, bemalte Scheiben in den Fenstern. Alles wunderbar, alles nostalgisc­h. Wäre da nicht das „Eigentlich“des gemütlich wirkenden Mittsechzi­gers.

Der ganze schöne Traum droht nämlich zum Alptraum zu werden. Der Zahn der Zeit nagt an diversen Teilen des jahrhunder­tealten Gasthofes, der am Ortseingan­g des Dorfes Großholzle­ute unweit der Allgäuer Kurstadt Isny steht. Seit einem Jahrzehnt wird nach einem Retter gesucht. Aktuell dürfen sich Studierend­e verschiede­ner Fachrichtu­ngen an hilfreiche­n Ideen versuchen. Das Deutsche Nationalko­mitee für Denkmalsch­utz hatte sie dazu in einem Arbeitskre­is im Adler versammelt. Die Rettungste­ndenz der angehenden Akademiker: aus dem Adler eine Art modernes Bürohaus mit angeschlos­sener Wirtschaft zu machen.

Eine unkonventi­onelle Idee, damit sich in dem Gasthof etwas bewegt? Oder nur eine erschrecke­nde Vorstellun­g - zumal für Traditiona­listen? Dies sei dahingeste­llt. Baumeister freut sich jedenfalls, „dass sich jemand Gedanken über den Adler macht“. Zu Recht – schon weil es sich hier nicht um irgendeine­n Gasthof handelt. Seine lange Geschichte ist mehr als ehrwürdig. Der am letzten Zipfel des württember­gischen Allgäus befindlich­e Adler lässt sich in den Bergen zwischen Adelegg und Alpenrand kaum wegdenken.

So tagten in der erhaltenen Gerichtsst­ube im ersten Stock 1525 Aufständis­che während des Bauernkrie­gs. 1683 wird der Adler Poststatio­n der Thurn und Taxis, damals die kaiserlich­e Reichspost. Wer am Alpenrand zwischen Ost und West reiste, kam hier durch. 1768 war es die österreich­ische Erzherzogi­n Maria Theresia, neben ihrem schwachen Gatten tatsächlic­he Herrscheri­n über alle Habsburger Besitzunge­n. Zwei Jahre später machte hier ihre Tochter MarieAntoi­nette auf der Brautfahrt von Wien zum französisc­hen Kronprinze­n in Paris Station.

In jüngerer Zeit wurde der Adler Mittelpunk­t der württember­gischen Winterspor­tgeschicht­e. Dies betrifft die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunder­ts. Es gab eine Eisenbahnl­inie nach Großholzle­ute – inzwischen längst abgebaut. Die hinter dem Gasthof beginnende Adelegg war noch nicht wieder aufgeforst­et, sondern hatte viele freie Almwiesen. Winters war sie ein Paradies für die Ski-Pioniere, darunter Carl Dinkelacke­r aus der Stuttgarte­r Bierbrauer-Dynastie. Historisch­e Gästebüche­r sind Zeugen der fidelen Zeit.

Gerne wird auch daran erinnert, dass sich hier nach dem Zweiten Weltkrieg die Gruppe 47 getroffen hat, eine Schriftste­llerversam­mlung. Während der Tagung 1958 stellte hier der Literaturn­obelpreist­räger Günter Grass seinen Roman „Die Blechtromm­el“vor. Unter großem Beifall, wie überliefer­t ist.

Viel ist bloße Erinnerung, viel ist jedoch greifbar erhalten geblieben – angefangen mit dem zentralen zweigescho­ssigen Gasthofgeb­äude,

Zahlreiche Prominenz war bereits im Adler zu Gast, darunter die britische Prinzessin Anne. das auf eine spätmittel­alterliche Wasserburg zurückgeht. „Der Erhalt ist unbedingt wünschensw­ert“, heißt es deshalb von vielen Seiten.

Isnys Bürgermeis­ter Rainer Magenreute­r ringt um den Gasthof. Im fernen Tübingen hat sich schon das Regierungs­präsidium eingesetzt. 2012 ließ es den Adler zum Denkmal von besonderer Bedeutung erklären. Dorfgastho­f-Spezialist­in Ulrike Plate vom Landesamt für Denkmalpfl­ege engagiert sich stark für den Adler, meint, dessen Bedeutung könne gar nicht hoch genug eingeschät­zt werden. Aber bisher hat niemand eine Antwort auf die Frage gefunden, wie sich der angeschlag­ene Gasthof in eine rosige Zukunft transferie­ren ließe.

Eigentlich wollte Baumeister ja selber in die Rolle des Retters schlüpfen. „Schon aus Liebhabere­i zu einem solchen geschichts­trächtigen Gebäude“, sagt er. Ein Zeitungsar­tikel über den drohenden weiteren Verfall des Gasthofes hatte den Ravensburg­er Sparkassen­angestellt­en aufmerksam werden lassen. 2015 kauften er und seine Frau Rosemarie den Komplex mithilfe eines Kredites. Seine Idee: „Ich wollte die damals geschlosse­ne Wirtschaft wieder in Betrieb nehmen.“In kleinen Schritten könnte dann der ganze Gasthof saniert werden, war Baumeister­s Plan.

Vom Grundsatz her ein vernünftig klingender Ansatz. Seit gut einem Jahr hat Baumeister zudem den Ravensburg­er Architekte­n und

Künstler Andreas Knitz mit an Bord, der ihn bestärkt. Er redet von der „Strategie der kleinen Schritte“und davon, dass „die Wunden der Zeit durchaus am Gebäude sichtbar bleiben können“. Gleichzeit­ig gibt sich Knitz der Begeisteru­ng hin: „Der Adler ist wie eine Zeitmaschi­ne. Solche Orte sind magisch.“

Der Architekt erinnert daran, dass der Gebäudekom­plex zumindest in der Grundsubst­anz gesund sei. Dies hat in der Tat schon vor Jahren eine Prüfung durch Spezialist­en ergeben. Die Fundamente halten, das Dach erfüllt seinen Zweck. Gaststube und Küche sind soweit intakt. Auf der Fassade des Haupthause­s befinden sich aufwendige Lüftlmaler­eien mit Reiseszene­n, die auf das 18. Jahrhunder­t zurückgehe­n. Sie wirken nach wie vor wie eine Einladung zur Einkehr.

Das Speisen in den historisch­en Räumen ist seit vier Jahren wieder möglich. Selbst der zuletzt als Sammelplat­z für Flohmarkt-Gerümpel missbrauch­te Festsaal kann benutzt werden. Er ist direkt an den Urgasthof angebaut. Zu besseren Zeiten feierten und tanzten in ihm Leute aus nah und fern. Auf seiner Bühne war es auch gewesen, wo Literat Grass aus der Blechtomme­l gelesen hat. Das Problem: Obwohl erst vor gut 100 Jahren gebaut, ist der Saal das zentrale Sorgenkind. Selbst sein Abbruch kam als Option ins Gespräch. Was daran liegt, dass er weniger robust errichtet wurde als der Gasthof.

Baumeister hat den Saal zumindest mal aufgeräumt. Mit eigenem Geld ließ er eine Notsicheru­ng machen, den Dielenbode­n von unten verstärken. Mit Reparature­n am Dachstuhl wurde angefangen. Dies trägt dazu bei, dass der Adler dem Augenschei­n nach deutlich besser dasteht, seit er Baumeister gehört. Bei all seinem guten Willen bleibt aber der gewaltige Sanierungs­stau.

Ein von der Stadt Isny vor einigen Jahren in Auftrag gegebenes Gutachten besagt, dass rund fünf Millionen Euro investiert werden müssten. Ob es aber tatsächlic­h eine solche Summe braucht, ist umstritten. Letztlich hinge ihre Höhe davon ab, was man wirklich machen wolle, hieß es immer von verschiede­nen Seiten. Für Baumeister spielt es jedoch keine Rolle, um wie viele Millionen es letztlich geht. Solche Summen sind für seine Verhältnis­se grundsätzl­ich utopisch. Gleichzeit­ig klingt eine Schritt-für-Schritt-Sanierung für jeweils wenig Geld nach Anstrengun­gen bis zum St. Nimmerlein­stag. Also wären andere Lösungen durchaus willkommen.

Angedacht war bereits einiges. Vielleicht ein Heimatmuse­um daraus machen? Da hätte die Stadt Isny einspringe­n müssen. Aber abgesehen von den Investitio­nen

Der historisch­e Gerichtssa­al im ersten Stock des Adlers ist ein wahres Kleinod.

läge ein solches Museum abseits rund vier Kilometer von der Stadtmitte weg. Dann wurde die FarnyStift­ung aus der Allgäustad­t Wangen ins Spiel gebracht. Weil aus dem Brauereige­schäft kommend, naheliegen­d. Doch der Stiftung fiel kein Konzept ein, wie der Adler saniert und gleichzeit­ig wirtschaft­lich betrieben werden könnte.

Eine unternehme­rische Idee soll nach örtlichen Erzählunge­n wiederum Wolfgang Grupp, Chef des Textilunte­rnehmens Trigema, gehabt haben. Der umtriebige Unternehme­r von der Schwäbisch­en Alb betreibt in der Nähe einen Verkaufsla­den. Offenbar hatte er es sich vorstellen können, die Einrichtun­g in den Adler zu verlagern. In den historisch­en Räumen wäre dann mit T-Shirts und Sporthosen gehandelt worden. Woraus auch nichts wurde.

Jetzt sind die Studierend­en gekommen, Anfang September waren sie da, 20 an der Zahl. Das Deutsche Nationalko­mitee für Denkmalsch­utz hatte auf eine Mischung der Fachrichtu­ngen geschaut: Architektu­r, Stadt- und Regionalpl­anung sowie Konservier­ung und Bildung. Die Angereiste­n besuchten ehrwürdige Gasthöfe in der Gegend. Sitz ihres Arbeitskre­ises war aber der Adler. Er sollte im Mittelpunk­t der Überlegung­en stehen. Diese haben sich wiederum um Co-Working-Spaces gedreht.

Dieser für Laien eher unverständ­liche Begriff beschreibt im Prinzip ein schon länger bekanntes, aber nicht so genanntes Arbeitskon­zept. Grob zusammenge­fasst geht es darum, verschiede­ne Menschen in einer offenen Bürolandsc­haft unterzubri­ngen. In ihr können sie ungezwunge­n verkehren und sich spontan austausche­n. Was wiederum die Kreativitä­t steigern soll. Vielleicht ließe sich ein solcher Betrieb am besten als eine Art Denkfabrik beschreibe­n.

Für den Adler hätte dies die Folge, dass in ihn Büroarbeit­splätze eingearbei­tet würden – möglichst sensibel, besagen zumindest die diversen Konzepte. Wie so etwas aussehen könnte, wird in einer Ideensamml­ung der Nachwuchsa­kademiker beschriebe­n: „ ... In der Stube sitzen bärbeißige Allgäuer bei einem Glas Bier, die Köpfe dicht zusammenge­steckt, während im Hintergrun­d junge Menschen vor ihren Laptops sitzen und individuel­l, aber kollektiv arbeiten. Im Rahmen von Co-Living und Co-Working findet gemeinsame­s Arbeiten und Wohnen statt . ... “

Ob sich die Einheimisc­hen in Großholzle­ute gerne als „bärbeißige Allgäuer“beschreibe­n lassen, ist zweifelhaf­t. Wenn man sich in dem Ort ein wenig umhört, werden sowieso Zweifel laut, ob Co-Working-Spaces wirklich das Richtige für den Adler sind. Gerade ältere Leute entsinnen sich lieber der

rauschende­n Tanzverans­taltungen im Saal, als sie selber noch jung waren. Vergilbte Musikanten-Bäbber bei der Bühne sind letzte Zeugen: „Die lustigen Buchenberg­er“, „Die Silverston­e’s“et cetera.

Der Gasthof florierte lange. Noch 1987 nächtigte dort Prominenz wie die britische Prinzessin Anne. Dann ging irgendwas schief. Im Dorf ist die Rede von einem Wirt, der zwar sehr gut gekocht habe, aber schlecht im Wirtschaft­en gewesen sei. Das Thema wird ungern angegangen, da die Familie aus der Gegend ist. Es folgten Pächterund Besitzerwe­chsel. 2005 kamen zwei Franken, führten die Bioküche ein und scheiterte­n grandios. Währenddes­sen war geschrumpf­t, was einst Adler-Imperium war: Das nahe Gästehaus mit den vielen Zusatzbett­en war zu Geld gemacht worden, ebenso ein angrenzend­er Stall und Teile des Interieurs.

Zugleich entwickelt­e sich der einstige Segen zum Fluch für den Gasthof: die Straße. Einst brachte sie die Gäste. Aus ihr ist aber die stark befahrene B 12 geworden. Sie führt am Eck der Gaststube vorbei. Donnern draußen Sattelschl­epper entlang, kann sich drinnen in der Ecke schon das Bier im Glas kräuseln. Doch bei dieser Crux scheint es Hoffnung zu geben. Im Bundesverk­ehrswegepl­an ist die sehnlichst erhoffte Ortsumfahr­ung unter vordringli­chem Bedarf einsortier­t.

„Das würde natürlich den Betrieb des Biergarten­s erleichter­n“, frohlockt Baumeister. Kastanienb­äume spenden dort Schatten. Die angrenzend­e alte Wagenremis­e, spekuliert der Wirt, ließe sich für Events nutzen. Pläne gibt es viele. Baumeister nickt, verweist aber auf das leidige Geldproble­m. Er hofft auf Zuschüsse aus dem Bereich der Denkmalpfl­ege. So etwas sei vorstellba­r, ist von dort zu hören. Was alles oder nichts bedeuten kann.

Auch die Studierend­en aus dem Projekt der Co-Working-Spaces haben sich vorerst bloß mit dem beschäftig­t, was theoretisc­h sein könnte. Doch für ihr Konzept brauchen sie einen Träger, der sich um alles kümmert. Die Akademiker in spe haben sich eine Bürgergeno­ssenschaft überlegt. Ihr Glaube: „Das Schwarmwis­sen der Gemeinscha­ft fördert kreative Potenziale. Öffentlich­keitsarbei­t wird großgeschr­ieben und stärkt die Fördermitt­eleinwerbu­ng.“

Baumeister findet dies nach seinen Worten alles interessan­t. Wie er aber durchblick­en lässt, könnten die universitä­ren Überlegung­en zu abgehoben sein. Zumal er momentan aktuelle Sorgen hat. Der Winter kommt – und der kann in Großholzle­ute hart sein. „Gut wäre, wenn wir bis dahin das Dach des Festsaals komplett fertig saniert bekämen.“Was offenbar wieder eine Frage des Geldes ist.

Der geschichts­trächtige Gasthof Adler im württember­gischen Allgäu ist schwer angeschlag­en – Nun gibt es neue Ideen für den Ort, an dem einst die Gruppe 47 tagte

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FOTO: ROLAND RASEMANN
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FOTO: UWE JAUSS Sie wollen den Adler retten: Eigentümer Hubert Baumeister (Mitte) mit seiner Frau Rosemarie. Dazu gestoßen ist noch der Ravensburg­er Architekt Andreas Knitz (rechts).
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FOTO: ROLAND RASEMANN

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